Klassentreffen der Königinnen

Bayern hat vor drei Wochen gewählt und Markus Söder ist und bleibt König. Oder zumindest so etwas in der Art. Im größten Flächenland Deutschlands darf er sich weiter um seine Schäfchen kümmern und Bäume umarmen. Oder wasauchimmer.

Kalli (Ferdinand Hofer, links) versucht mit Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, 2. von links), Annelie (Daria Vivien Wolf, Mitte) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) die richtige Königin zu finden // Foto: BR/Odeon Fiction GmbH/Luis Zeno Kuhn

Aber wo ein König, da auch eine Königin. Oder wie im neuesten Münchener Tatort, sogar viele Königinnen (Karin Söder ist allerdings nicht dabei). Die Landwirtschaftsköniginnen des Freistaats kommen nämlich einmal im Jahr zusammen, um einen der begehrten Plätze im Königinnenkalender mit spärlichem Outfit zu ergattern. Wie eine Art Klassentreffen – und übrigens nach dem Wiener Tatort: Bauernsterben vor zwei Wochen bereits der zweite in kurzer Zeit, der die Landwirtschaft thematisiert.

Bolzenschuss und Bienenstich

Nur dass der Oberlehrer Josef Gehrling (Wolfgang Fierek) tot in seinem Zimmer aufgefunden wurde. Also so halb tot, denn weder der Schuss mit dem Bolzenschussgerät noch der allergische Schock auf einen Bienenstich hat ihn bisher das Leben gekostet. Wirklich jung, knackig und vital wie das Gemüse der Nördlinger Zwiebelkönigin (Daria Vivien Wolf) ist er aber auch nicht mehr.

Luise (Phenix Kühnert) wird von Josef Gehrling (Wolfgang Fierek) angesprochen // Foto: BR/Odeon Fiction GmbH/Luis Zeno Kuhn

Die Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) müssen also samt ihres erst beförderten Adjutanten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) in die Provinz ausrücken, um für Aufklärung zu sorgen. Unter den weiteren Teilnehmerinnen (primär sind es Frauen) des großen Shootings gibt es nämlich einige, die ein Motiv hätten, dass Gehrling nicht nur die Nördlinger Zwiebeln von unten sieht…

Weißwurst, Honig, Spargel

Drei der anwesenden Königinnen lernen wir neben der bereits genannten Zwiebelkönigin und Polizeischülerin Annelie näher kennen und jede hat ihre individuelle Geschichte mit Gehrling. Sina, die Bayerische Weißwurstkönigin (Bernadette Leopold), musste wohl nicht nur einen sexuellen Übergriff Gerlingers Erdulden, die Kemptener Honigkönigin Toni (Lilly Wiedemann) hat gar sein Kind abgetrieben.

Annelie (Daria Vivien Wolf, links) gerät in einen Streit mit Luise (Phenix Kühnert, Mitte) und Toni (Lilly Wiedemann) // Foto: BR/Odeon Fiction GmbH/Luis Zeno Kuhn

Die Aichacher Spargelkönigin Luise wiederum ist eine Trans*frau und Gehrling begegnet ihr mit reichlich Transfeindlichkeit. Direkt der erste Pluspunkt: Phenix Kühnert kann hier so authentisch wie ansonsten wohl niemand eine Trans*frau spielen. Ach ja, und weil sie ohnehin immer irgendwie dubios ist: Veronica Ferres als Ausputzerin Gehrlings und De-facto-Chefin der Veranstaltung könnte durchaus auch etwas mit dem Anschlag auf den „alten weißen Mann“ zu tun haben – eine Ex-Königin ist sie (wie Annelies Mutter) übrigens auch…

Königinnenkult

Alle der drei Hauptverdächtigen hatten also ein Motiv, das mit ihrer individuellen Selbstbestimmung und Identität zu tun hat. Gehrling verkörpert diesen „alten weißen Mann“ mit seiner geballten Ignoranz ganz vortrefflich, denn er reproduziert ein Stereotyp nach dem anderen: Die Frau, die dem Mann hörig sein muss, die Frau, die sich um die Kinder zu kümmern hat, die „Transe“, die doch wohl nicht den Aichachern ihre Agenda überstülpen und den armen Leuten „ihr Spargelfest“ zunichtemachen will.

Ivo Batic (Miroslav Nemec, links) bei der Befragung von Sylvia (Veronica Ferres) und Clemens Raupach (Max Rothbart) // © BR/Odeon Fiction GmbH/Luis Zeno Kuhn

Bayern ist bekanntermaßen ein sehr katholisches und erzkonservatives Land. Der Kult, der um viele Königinnen nicht nur zur jetzigen Erntedankzeit gemacht wird, bietet vielen ein Sprungbrett für die Karriere, das die anwesenden Frauen nutzen möchten. Dass dort trotzdem so ein Prototyp des „alten weißen Mannes“ die Zügel in der Hand hält, ist ein Problem. In dem Tatort: Königinnen aber schaffen es die Macherinnen und Macher um Regisseur Rudi Gaul und Drehbuchautor Robert Löhr, die Themen von sexueller und identitärer Selbstbestimmung so sanft anzusprechen, dass selbst im konservativen Bayern ein bisschen mehr Laptop als Lederhosn Einzug halten kann.

Einfühlsam bis in den Chiemgau

Prototypisch ist hier erneut eine Szene zwischen Kommissar Leitmayr und Luise: Er kommt etwas verunsichert auf sie zu und möchte sie zu ihrer Transsexualität befragen – was den Fall betrifft. Die Unsicherheit ist ihm anzumerken, aber Phenix Kühnert gibt gekonnt die einfühlsame Trans*frau, die bereit ist, mit dem zurückhaltenden und auch aus seinen Fehlern lernenden Beamten über Queerness etc. offen zu sprechen. Selbst bis in den Chiemgau ganz im Süden – die Musik zum Fall stammt übrigens von der dort sehr bekannten und beliebten Band LaBrassBanda um Frontmann Stefan Dettl – dürfte das nun dringen können.

LaBrassBanda spielt auf dem Genießermarkt des Königinnentages // Foto: BR/Odeon Fiction GmbH/Luis Zeno Kuhn

Das wirkt alles sehr durchdacht und ist gerade im sonst so konservativen bayerischen Umfeld (und nach mehr als 2/3 der Stimmen für mindestens konservative, zu wesentlichen Teilen aber faschistoide Parteien vor drei Wochen) eine gute Gelegenheit, einmal aufzuräumen, wenn seitens der Populisten von „Gender-Gaga“ oder „traditionellem Familienbild“ gesprochen wird. Wenn manches, wie der Tatort: Murot und das Paradies aus der letzten Woche vielleicht eher in die Kategorie „meschugge“ fallen dürfte, dann erhält der Fall Königinnen eindeutig das Prädikat „ausgezeichnet und Bildungsauftrag erfüllt“.

HMS

Von links: Ferdinand Hofer (Rolle: Kalli Hammermann), Michael Hammon (Kameramann), Berit Hille (Producerin), Udo Wachtveitl (Rolle: Franz Leitmayr), Veronica Ferres (Rolle: Sylvia), Miroslav Nemec (Rolle: Ivo Batic), Cornelius Conrad (Redakteur BR), Rudi Gaul (Regisseur) und Wolfgang Fierek (Rolle: Josef Gehrling) // Foto: BR/Odeon Fiction GmbH/Luis Zeno Kuhn

Tatort: Königinnen läuft am 29. Oktober 2023 um 20:30 Uhr im Ersten (zuvor gibt es einen Brennpunkt zum Krieg in Nahost), um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für zwölf Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Königinnen; Deutschland 2023; Buch: Robert Löhr; Regie: Rudi Gaul; Bildgestaltung: Michael Hammon; Musik: LaBrassBanda, Stefan Dettl; Darsteller*innen: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Ferdinand Hofer, Veronica Ferres, Wolfgang Fierek, Robert Joseph Bartl, Max Rothbart, Daria Vivien Wolf, Phenix Kühnert, Bernadette Leopold, Lilly Wiedemann, u. v. a.; Eine Produktion der Odeon Fiction (Produzentin: Claudia Schneider, Producerin: Berit Hille) im Auftrag des BR

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