Innerer Reichs(partei)tagsbrand?

„Lügenpresse“ und „Meinungsdiktatur“, „Deep State“ und „Weltverschwörung“. Diese und viele andere Vokabeln haben es in den letzten Jahren zu trauriger Bekanntheit gebracht. Die Flüchtlingsproblematik und Corona haben – hierzulande mit dankenswerter Unterstützung der AfD – den öffentlichen Diskurs und das Sagbare verschoben, die Kölner Silvesternacht 2015 das Vertrauen in Staat und Medien nachhaltig beschädigt.

Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass sich der mediale Diskurs in den letzten etwa zehn Jahren deutlich verschoben hat. Dinge, die vor zehn Jahren noch unsagbar gewesen wären, weil sie unwahr oder geschmacklos sind und waren oder einfach keine Resonanz gefunden hätten, werden heute in den Echokammern der einst sozialen, aber auch manch traditioneller Medien, viel leichter repliziert und unkritisch verbreitet. Eine Reihe von rechtslastigen Medien, Blogs und Influencern trägt ihren Teil dazu bei – und dürfte vermutlich nicht ganz schlecht daran verdienen.

Selbstversuch im rechten Dauerfeuer

Was macht es mit einem halbwegs kritikfähigen und aufgeklärten Menschen, wenn sie oder er dem permanenten Dauerfeuer der hetzenden rechten Meinungsmacherinnen und Meinungsmacher ausgesetzt ist. Stumpft mensch dann ab? Übernimmt er oder sie doch irgendwann die eine oder andere Unwahrheit? Wird das Vertrauen in „das System“ doch irgendwann erschüttert?

Der Journalist und Autor Hans Demmel hat sich daran gemacht, dies in einem Selbstversuch herauszufinden. Für ein halbes Jahr hat er sich ausschließlich in „alternativen Medien“ aus der rechten oder rechtslastigen Szene informiert und seine Erfahrungen und Empfindungen in dem Buch Anderswelt – Ein Selbstversuch mit rechten Medien festgehalten, das bereits 2021 im Verlag Antje Kunstmann erschienen ist. Als Sidekick diente sein langjähriger Bekannter Friedrich Küppersbusch (vielen bekannt als „Irgendwer mit Medien“ aus der ZDF heute show), der ihn während seines Experiments mit Perspektiven aus dem „Mainstream“ versorgte.

Sturm auf die Parlamente und Jana labert Mist

Von Ende August 2020 bis Ende Januar 2021 hat Demmel ausschließlich rechte oder rechtslastige Medien konsumiert. In diese Zeit fallen intensivere Corona-Proteste in Deutschland, der „Sturm auf den Reichstag“, übergriffige Personen im Bundestag („Peter Altmaier vor dem Aufzug“) und eine zunehmende Radikalisierung, personifiziert beispielsweise in einer kurzzeitig bundesweit bekannten „Jana aus Kassel“, die sich mit Sophie Scholl verglich.

International fällt in diese Zeit vor allem die letzte Präsidentschaftswahl in den USA, inklusive der letzten Monate des aufgeregten Wahlkampfs zwischen Joe Biden und Donald Trump, einer lange dauernden und von vielen Seiten angezweifelten Auszählung sowie der „Sturm auf das Kapitol“ am 6. Januar 2021. Gerade in Amerika wirkt dieser von Trump orchestrierte Putschversuch bis heute nach, aber auch hierzulande hatten wir – siehe oben – ein ähnliches Erlebnis mit glücklicherweise nicht ganz so dramatischen Folgen für das kollektive Gedächtnis.

Fünf Medien ihn zu knechten

Mit fünf „Hauptmedien“ – dem Blog Tichys Einblick des einst recht klugen Chefredakteurs der Wirtschaftswoche, MMNews des ebenfalls einst bekannten Wirtschaftsjournalisten Michael Mross, den rechten Zeitungen Compact und Junge Freiheit und dem berüchtigten Podcast KenFM des früheren rbb-Moderators Ken Jebsen – begibt sich Demmel in die Anderswelt, diese Welt der alternativen Fakten und Perspektiven. Von diesen fünf Publikationen jedoch kommt er schnell auf zahlreiche dubiose Blogs, Videokanäle mit stundenlangen Beiträgen, ausländische Kanäle und sonstige aus vielerlei Sicht merkwürdige Medien.

Die erste wichtige Erkenntnis also ist direkt: Diese Anderswelt ist deutlich größer und komplexer, als wir das manchmal wahrhaben möchten und können, quasi eine Art Darknet, die uns ständig umgibt, wir aber nicht wahrnehmen (wollen). Demmel macht diese Erfahrung in einem recht zeitraubenden und anschaulichen Selbstversuch, ist in den ersten Tagen noch sehr skeptisch, droht aber durchaus an manchen Stellen  mehr oder weniger mitgerissen zu werden. Sein gesunder Menschenverstand und das kritische Urteilsvermögen, das er sich in seiner langen Karriere aufgebaut hat, scheinen ihn aber am Ende jedoch davor zu bewahren.

Themen, Methoden und Hintergründe

Gleichzeitig gibt es neben den Hauptthemen der letzten Jahre – Flüchtlinge/Asyl sowie Corona – eine Reihe von Methoden, die die Journalistinnen und Meinungsmacher in der Anderswelt einsetzen, um ihre Nachrichten zu verbreiten. Da geht es immer wieder um alternative – und oft auch nicht komplett falsche – Perspektiven auf oder Aspekte von verschiedenen Sachverhalten. Oder ein haarscharfes Vorbeischrammen an der Wahrheit, inklusive manch einem Zurückrudern („War ja nicht so gemeint“ – ein Gruß geht an die Vertreterinnen und Vertreter der AfD). Gerade diese Methoden und Systematiken scheint Demmel sehr gut erkennen und beschreiben zu können und uns so zu zeigen, wie die Menschen, die in dieser Bubble aktiv sind, arbeiten und ihre Meinungen unters Volk bringen.

Dazu gibt es von Küppersbusch immer wieder Faktenchecks, Hintergründe, Einschübe zu einzelnen Themen und Geschehnissen sowie Kurzbiografien von wesentlichen Akteuren – Journalistinnen und Journalisten, Meinungsmachende oder Personen, die in diesem Umfeld unterwegs sind. Dabei fällt übrigens auf, dass gerade unter den Medienprofis viele sind, die einst bei der sonst eher linksgerichteten taz arbeiteten und von dieser besonders viele eine Erwähnung finden (was Zufall sein mag – und auch von Welt, FAZ, ZDF oder anderen Leitmedien finden sich durchaus Namen von ehemaligen, teils namhaften Redakteurinnen und Redakteuren wieder).

Emotionen in Laboratmosphäre

Besonders eindrücklich sind die wenigen kurzen Gespräche zwischen Demmel und Küppersbusch, die im Buch ebenfalls integriert sind. Demmel schreibt auf den letzten Seiten, dass manche Stellen vielleicht sehr emotional klingen mögen und er eine gewisse Abstumpfung erfahren haben mag. Diese Auswirkungen und Verläufe sind es aber doch eigentlich, die – wie er selbst auch erkennt – wertvoll sind. Gerade so können wir doch erkennen, was es mit einem macht, wenn sie oder er zwar eine gewisse Urteilsfähigkeit besitzt (oder gerade dann), aber dennoch dem medialen Terror von rechts über eine gewisse Zeit ausgesetzt ist.

Gleichzeitig – und das mag eine grundsätzliche Schwäche dieser Versuchsanordnung sein – ging Demmel natürlich mit der Prädisposition dorthin, hier einen Selbstversuch zu wagen, der von ihm selbst erdacht und designed wurde und sich freiwillig dem auszusetzen, was ihn erwartet. Dabei war er von Anfang an auf Basis seiner individuellen Prägung und seiner Motivation für diesen Versuch unweigerlich voreingenommen. Ein gewisser Laboreffekt muss bei der schlussendlichen Analyse der Ergebnisse berücksichtigt werden, aber Demmel erhebt selbstredend auch keine wissenschaftlich lupenreinen Ansprüche an seine Versuchsanordnung.

Ein Ausflug in die Anderswelt

Somit handelt es sich bei Hans Demmels Experiment, aus dem Anderswelt entstand, um eine wichtige Individualstudie, die Strategien und Methoden des rechten Journalismus aufdeckt und das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer auf den Konsum dieser Medien für Laien nachvollziehbar darlegt. Vor allem, wenn Fakten und deren sorgfältige Interpretation nicht mehr gewährleistet sind und dabei an „der Wahrheit“ nur so halb vorbeigeschrammt wird, droht die Meinungsfreiheit nach rechts die Demokratie deutlich zu untergraben.

Dass, wenn sich die Grenze des Sagbaren verschiebt, auch neue Gefahren drohen, hat sich im letzten Herbst gezeigt, als bekannt wurde, dass eine Gruppe von „Reichsbürgern“ – von vielen lange als „Spinner“ abgetan – unseren Staat in seinen Fundamenten ablehnt und beseitigen wollte. Der Putsch war offenbar bereits in seinen fortgeschrittenen Planungen. Und dass Medien aus dem rechten Spektrum hieran einen Anteil an der Radikalisierung hatten, ist zwar bislang nicht belegt, aber es wäre nicht überraschend, wäre dies der Fall. Umso wichtiger ist es für uns zu verstehen, was es mit jemandem macht, wenn sie oder er sich dem medialen Dauerfeuer von rechts längere Zeit aussetzt und dieses Fallbeispiel von Hans Demmel zeigt uns, welche Gefahren von einer permanenten rechten Indoktrination ausgehen.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier

Hans Demmel, Friedrich Küppersbuch: Anderswelt — Ein Selbstversuch mit rechten Medien; September 2021; 224 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN 978-3-95614-458-5; Verlag Antje Kunstmann; 22,00 €

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