Psychothriller-Musik und Sitcom-Lachschleife 

„What a day… and not just a day. Week, month, campaign. And the minute you think it’s over, new uncertainty raises it’s head.“ So die fiktive Präsidentin Mellie Grant (Bellamy Young) in Shonda Rhimes’ Polit-Soap Scandal, die nicht selten auch ein überspitzter Spiegel absurder Realitäten gewesen ist. Grants Statement vorausgegangen waren Entführungen und Erpressungen, Entfremdungen und Ermordungen. Folgen sollte noch einiges mehr davon, immerhin war die Serie hier noch nicht zu Ende. Soweit wir wissen hatte der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, ein gewisser Donald John Trump, nicht ganz so viel mit Entführungen und Ermordungen am Hut — eine scheppernde, erschreckende und groteske Soap lieferte er jedoch allemal.

Mechanismen von Kontroverse und Reaktion

Doch dies nicht nur während der Vorwahlen und des Wahlkampfs 2016, sondern auch schon in den Dekaden zuvor, nur war dies über die USA hinaus weniger bewusst, ja weniger gierig aufgesogen worden. Ebenso wenig war all dies nicht DJT allein, auch wenn er sich gern so verhielt, als würde er in einem Vakuum existieren. Nein, es gab immer ein ihn stützendes Umfeld, immer treue Ja-Sager*innen, durchblickende Augenzudrücker*innen und behände Aufräumer*innen. It takes a village heißt es und so war es auch hier. Ein Dorf, das sich im legendären New Yorker Trump-Tower, im Weißen Haus in Washington, D.C. und in Trumps Golfclub und Privatresidenz in Florida, Mar-a-Lago, versammeln sollte und immer wieder von den Medien hofiert und wenn nicht dies, dann doch häufig mit Faszination betrachtet wurde. 

„Die landesweiten Medien lernten allmählich, was die New Yorker Journalisten schon wussten: Trump hatte etwas Magnetisches an sich. Dabei ging es nicht nur darum, dass sein Instinkt für farbiges Drama gute Auflagen brachte. Er war faszinierend zu beobachten, seine Art zu sprechen war schnell, großspurig und selbstsicher, er konnte witzig und schneidend sein, charmant und spöttisch oft alles in einem Satz. Er zog Zuschauer an, entweder man mochte ihn, oder man mochte es, ihn zu hassen. Die Medien behandelten Trump in diesem Jahrzehnt und in den Jahren danach oft so, als würde er mit jeder Story neu geboren und seine früheren Missetaten, falschen Statements oder Lügen wären im Grunde weggewischt“

Maggie Haberman, „Täuschung“, S. 138

Dieser Absatz darf als eine Art Schlüsselstelle in Maggie Habermans in mehrerlei Hinsicht gewichtigem Werk Täuschung. Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas gelten, das im vergangenen Herbst pünktlich zu den Zwischenwahlen weltweit und hierzulande im Siedler Verlag erschien und nun die (republikanischen) Vorwahlen und den Präsidentschaftswahlkampf 2023/2024 begleiten kann. Es sei all jenen empfohlen, die sich wirklich mit den Hintergründen befassen und erfahren möchten, wie es zu einem Präsidenten Donald Trump kommen konnte. In welchem gesellschaftlichen Umfeld eine solche Figur als politische Gestalt reüssieren und in welcher Welt ein solcher Typ Mensch für manche als Ikone gelten kann.

Analyse einer profunden Kennerin

Allerdings keine Sorge: Genug Tratsch, Soap und Drama gibt es auch bei Haberman. 2018 wurde die Journalistin (seit 1996 u. a. New York Post, Politico, The New York Times — als Korrespondentin für das Weiße Haus — und politische Analystin für CNN) mit weiteren Kolleg*innen für Ihre Berichterstattung zu den Russlandverbindungen von Donald Trump mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet; nominiert war sie noch zwei weitere Male, ebenfalls für ihre Berichterstattung zu Trump und seiner Regierung (Corona und der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021). Es lässt sich also sagen, dass Haberman nicht nur eine Kennerin des politischen Geschehens, sondern auch Donald Trumps ist.

Mit Täuschung hat sie nun eine gut 800 Seiten starke Biografie vorgelegt, die wir beinahe als Trump-Enzyklopädie bezeichnen möchten (achtzig Seiten Anmerkungen und zwanzig Seiten Personenregister sind hier ein guter Indikator). Maggie Haberman geht in die Details dieser Figur, durchleuchtet sie, sowohl was den familiären und persönlichen Hintergrund als auch die Psyche und den Charakter angeht und ergänzt dies um die willfährigen Personen und Medienschaffenden, die Trump lange umgaben und noch immer umgeben — und sich bereitwillig in seinem Orbit bewegten. Gern von ihm, seinem breitbeinigen Schein und listigen Glanz profitieren. 

„Sag, dass du dich falsch ausgedrückt hast“

Dabei geht sie in 34 Kapiteln inklusive Pro- und Epilog größtenteils chronologisch vor, wenn sie natürlich an mancher Stelle auch einmal ein wenig vorgreift. Gerade in der früheren Zeit Trumps springen wir dabei dezent zwischen den Zeitebenen, da ihre Kapitel nicht nur einem Zeit-, sondern auch Themenstrahl folgen. Das ist komplex und sicherlich nicht einfach in Buchform zu bringen gewesen, erweist sich aber als ein Glück für uns Leser*innen. Erfahren wir so doch nicht nur allerlei über Donald Trump, sondern, wie angedeutet, über die Welt, in der er sozialisiert wurde sowie über das Amerika der vorrangig zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Nicht zuletzt sorgt es auch für einige Abwechslung beim Lesen. Monotonie jedenfalls stellt sich auf den nach akribischer Recherche, vielen Analysen, massig Interviews und genauer Beobachtung zusammengekommenen 800 Seiten nie ein.

„Die Medien waren im Großen und Ganzen nicht darauf vorbereitet, über einen politischen Kandidaten zu berichten, der so freizügig log wie Trump, bei wichtigen wie auch unwichtigen Dingen. Selbst diejenigen von uns, die jahrelang über Trump berichtet hatten, wussten nicht, wie sie mit der Flut von Falschinformationen umgehen sollten, die in seinen Aussagen verstreut waren.“

Maggie Haberman, „Täuschung“, S. 358

Dabei kann das Werk in zwei große Teile gegliedert werden: Trump, die New Yorker Gesellschaft und die USA vor dem Wahlkampf und Donald Trump, seine Umgebung, das Weiße Haus (wobei er mental New York wohl nie verlassen hat) und die USA während der Wahl, Präsidentschaft und das Nachspiel, denn natürlich finden auch Trumps Abwahl und die Erstürmung des US-Kapitols am 6. Januar 2021 Einzug in das Buch. Ob Maggie Habermans Schluss auf Seite 697, dass Trump „[w]enigstens dieses eine Mal […] auf den harten Boden der Tatsachen gefallen“ sei, zutrifft, muss sich wohl erst noch beweisen. Oft genug belegt sie in ihrem Buch nämlich, dass der Mann schon oft als abgeschrieben galt, Verluste und Verheerungen einzustecken hatte und diese dann doch immer zu drehen, manipulieren, ignorieren und/oder wegzulügen vermochte. 

Macht und gemocht werden wollen

Aus der eigenen Wahrnehmung zu streichen, was nicht passt und darauf hinzuwirken, dass das auch „den Menschen“ so geht, ist etwas, das sich durch das Leben Trumps zieht (auch seine Nichte Mary L. Trump wies in ihrem lesenswerten Buch Zu viel und nie genug darauf hin) und als eines der wesentlichen Charaktermerkmale des Mannes gelten kann. Ein großes „Ich seh’s nicht, dann ist es auch nicht da“. Ähnlich verfährt er mit manchen Menschen: „Ich seh dich nicht, du siehst mich auch nicht.“ Trump ist, mensch mag es kaum glauben, konfliktscheu. Wenn es darum ging, Leute zu feuern, ihnen auch nach seinem Dafürhalten schlechte Nachrichten zu überbringen und so weiter, schickte er immer Adjutant*innen vor. Nehmt das, ihr Apprentice-You’re-Fired-Fans!

So feige das erst einmal scheinen mag, gerade für einen Choleriker und Manipulator, so sehr macht ihn das aber auch wieder menschlich. Diese Note nämlich spart Maggie Haberman in ihrem wohl geschriebenen, manchmal allerdings etwas holprig und gerade im Mittelteil nicht fehlerfrei übersetzten (viele Finger und Köpfe am Werk: Christiane Bernhardt, Sylvia Bieker, Pieke Biermann, Gisela Fichtl, Katharina Martl, Karsten Singelmann, Ulrike Strerath-Bolz, Anke Wagner-Wolff sowie Henriette Zeltner-Shane) Buch nicht aus: Trump sei kein soziopathisches Monster, das nur Quid pro quo und keinerlei Freundschaft oder Zuneigung kennen würde. Es gibt sie, diese Menschen, um die er sich aufrichtig sorgt oder sorgte, die er nach Krankenhausaufenthalten oder dem Verlust eines oder einer Angehörigen täglich oder wenigstens regelmäßig kontaktierte, denen er unter die Arme griff.

Ein Film aus Konfusion

Allerdings wurde er grantig, sobald er das Gefühl hatte, diese Freundschaft und Loyalität seinerseits würden nicht im richtigen Verhältnis erwidert. Hier konnte und kann es schnell zu Brüchen kommen. Dann aber auch wieder zu Versöhnungen, nachdem man sich einmal gegenseitig das Leben schwer und mit Klagen überzogen hat. Das scheint auch nicht nur Trump als Person zu sein, sondern eben die Welt in der er lebt(e). Die New Yorker Gesellschaft, insbesondere im Immobilienbereich und der Lokalpolitik, ist ein ganz eigener Mirkokosmos, dazu dezent mafiös geprägt — über beides lernen wir viel in Täuschung. Ein weiterer Mehrwert dieses üppigen Bandes, jedenfalls für jene, die sich für Kontext und (New Yorker) Geschichte interessieren. (Haberman zeichnet übrigens ein weit weniger romantisiertes Bild von lokaler Politik, als etwa Barack Obama es im ersten Band seiner Memoiren tut.)

„Trump tat mit Vorliebe das Gegenteil von dem, was jemand, der ihn kontrollieren wollte, verlangte. Und diese Neigung verschärfte sich mit zunehmenden Alter noch.“

Maggie Haberman, „Täuschung“, S. 300

Jemand, der auf der einen Seite eine sehr klare, aber wohl auch etwas romantische Vorstellung von Donald Trump zu haben scheint, ist der Nixon-Fan und dandyhafte Teufel der amerikanischen Rechtskonservativen, Roger Stone, der schon seit Dekaden versuchte, Trump zu einer Kandidatur zu bewegen. Überhaupt ist es erstaunlich, wie vielen Namen wir mehr oder minder aktuell begegneten, die schon in den letzten dreißig oder vierzig Jahren im (erweiterten) Umfeld Trumps agierten. Spannend zu wissen wäre es, wie ein gewisser Roy Cohn zu Trumps Eskapaden im Wahlkampf und darüber hinaus gestanden hätte…

Trumps Verhalten als Spiegel der Gesellschaft

…der Anwalt, der 1986 an AIDS starb und als verkappter Homosexueller Senator Joseph McCarthy aggressiv bei dessen Kommunisten– und Schwulen-Hatz unterstützte, war lange Anwalt, Berater und im Grunde ein Freund Trumps. Etwas, das sich mit lauteren Gerüchten um dessen Homosexualität und Erkrankung natürlich schlagartig änderte. Haberman beschreibt hier ein recht typisches Trump-Verhalten — Abstand bei für ihn unpassenden Eigenschaften und Verhaltensweisen (etwas, das auch Roger Stone ein, zwei Mal erfahren durfte) — und spiegelt dabei gleichzeitig die amerikanische Gesellschaft, die nicht nur in den 80er-Jahren einen großen Bogen um alles HIV-bezogene zu machen versuchte. 

Überhaupt wird Donald Trumps vermeintliche Homophobie häufiger thematisiert, beziehungsweise seine Abneigung gegen alles „Weiche“ und „Unmännliche“. So ließ er nicht nur Chris Christie via Telefonanlage bestätigen, dass dieser keiner von denen sei, die sich irgendwann als „schwuler Amerikaner“ outen würden, wie es im Sommer 2004 kurz zuvor der nun Ex-Gouverneur New Jerseys, Jim McGreevey, getan hatte:

„‚Äh, Chris, er ist anders als ich und du nicht wahr? Wir haben auch Probleme, aber nicht so was. Ich und du, ausschließlich Weiber — stimmt’s, Kumpel? Ausschließlich Weiber.’ Während seine Mitarbeiter erstaunt dreinblickten, erwiderte Christie nur: ‚Ganz genau, Donald.‘“

Maggie Haberman, „Täuschung“, S. 236

Ebenso wollte er 1990 eine wenig schmeichelhafte Story im angesehen Forbes-Magazin dadurch verhindern, dass er drohte, die „stets unter Verschluss gehaltene Homosexualität“ von dessen kurz zuvor verstorbenem Inhaber Malcolm Forbes öffentlich zu machen — eine Geschichte, die er in einem seiner Bücher, „Surviving at the Top“, weiter ausführte. Auf der anderen Seite schmückte er sich mit seiner Bekanntschaft zu Elton John und David Furnish, schickte Gratulation zur Hochzeit. Dann wieder lästert er kontinuierlich darüber, dass sein Schwiegersohn Jared Kushner im Grunde ein Weichei und einiges darunter sei. (Ivanka Trump und Jared Kushner kommen im Buch übrigens nicht gut weg, auch hier interessante Einblicke. Ändert aber nichts daran, dass ich Kushner auf gruselige Art sexy finde.)

Was war, ist und folgen kann

Maggie Habermans Täuschung. Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas zeichnet aus, dass es dem Wust an Büchern über Donald Trump, seine Präsidentschaft, seine doch recht entsetzliche Person, das von ihm teils gestiftete, teils nur ausgenutzte Chaos (Haberman zeigt auch auf, in welchem desolaten Zustand sich die Republikanische Partei schon vor Trump befand) und die Brüche, die durch ihn deutlich(er) wurden, etwas Essentielles hinzuzufügen vermag. Dabei macht sie Trump nie versehentlich zu einer Ikone, gewährt uns Einblicke in ihre eigenen Gedankenwelt, gesteht Fehleinschätzungen ebenso ein, wie sie sich nicht scheut, ab und an sinngemäß „Wir haben es euch ja gesagt“ zu schreiben. 

Gelesen werden sollte dieses Portrait, dieses Stück Zeitgeschichte, diese Einordnung eines gar nicht so zufälligen und nur vermeintlichen Unfalls der Geschichte, auch und gerade hier in Europa und Deutschland, da es ein adäquates Bild der amerikanischen Seele und ihres Werdens abbildet, wenn auch primär mit Blick auf New York. Aber wirtschaftliche Krisen wie Ende der 1970er-Jahre unter Bürgermeister Abraham Beame, Rassismus (nicht nur in Bezug auf die so genannten „Central Park Five“) und Polizeigewalt, Gentrifizierung und Ghettoisierung, Homofeindlichkeit, Sexismus und reaktionäres Gebaren, Quid pro quo und Populismus — all dies sind Dinge, die ganz Amerika betreffen, die das ganze Land formen und eine Gesellschaft prägten und prägen. Eine Gesellschaft, in der Donald J. Trump Präsident werden konnte und es vielleicht wieder werden könnte (nicht, dass ein Menschenfeind wie Ron DeSantis so viel besser wäre…). Und erfahrungsgemäß schwappt vieles aus den USA auch zu uns herüber. 

Ob nun also zutrifft, was schon Mellie Grant sich in Scandal vergeblich wünschte — „ I’ve had enough of it. And I’m sure, the American people have had their fill.“ —, das wird die kommende Geschichte zeigen. Nach Lektüre von Maggie Habermans eindrücklichem und teils erschütterndem Werk ist eines jedenfalls sicher: Donald Trump können wir uns nicht nicht einfach wegwünschen.

AS

PS: Beim Schreiben konsequent Scores von Nicholas Britell gehört: Vice, The Big Short, Succession sowieso (in der Serie ist übrigens mal von einem „President Orange“ die Rede), The King, She Said, Cruella und Don’t Look Up. Alles auch sehenswerte Filme und Serien (und nun wisst ihr mal, was so ein Text an Zeit einnehmen kann).

PPS: Zum Wust an Büchern: Erwähnter Titel von Mary L. Trump gehört hier zu den lesenswerten Titeln. Ebenfalls Bob Woodwards Wut und Warnung aus dem Weißen Haus von Anonymous (Miles Taylor, damals Stabschef im Ministerium für Innere Sicherheit), die Maggie Haberman auch beide erwähnt, sowie Carol Leonnigs und Phil Ruckers Trump gegen die Demokratie – „A Very Stabile Genius“. Für Gossip auch Michael Wolffs, primär auf Gesprächen mit Steve Bannon fußenden, Feuer und Zorn

Täuschung von Maggie Haberman

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Maggie Haberman: Täuschung. Der Aufstieg Donald Trumps und der Untergang Amerikas; Oktober 2022; Aus dem amerikanischen Englisch von Christiane Bernhardt, Sylvia Bieker, Pieke Biermann, Gisela Fichtl, Katharina Martl, Karsten Singelmann, Ulrike Strerath-Bolz, Anke Wagner-Wolff, Henriette Zeltner-Shane; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; 832 Seiten; mit zwei Bildteilen; ISBN: 978-3-8275-0164-6; Siedler Verlag; 36,00 €

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert