TW: Rehragout
„Die Wirklichkeit sei viel freier noch erfunden, als jegliche Erzählung das zustande bringen würde“, steht an einer Stelle im im S. Fischer Verlag erschienen Romandebüt des in Wien lebenden Dramatikers und Schriftstellers Ferdinand Schmalz, Mein Lieblingstier heißt Winter. Mit Blick auf die tagesaktuelle Wirklichkeit nicht nur im politischen Österreich, sondern so ganz allgemein auf der Welt, möchte mensch dem zustimmen. Womöglich wahlweise das „freier“ durch ein „feiner“ ersetzen, das aber käme ganz auf die Situation an.
Kein Toter, kein Geld
Absurd ist die Wirklichkeit jedenfalls allemal, so auch jene im auf einer 2017 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichneten Kurzgeschichte basierenden Prosaroman des 1985 geborenen Schmalz, der sowohl auf der Longlist des Deutschen Buchpreises wie auch der Shortlist des Österreichischen Buchpreises 2021 zu finden ist. In der Geschichte begegnen wir dem Tiefkühlkostlieferanten Franz Schlicht, der seinerseits mit dem Wunsch eines seiner Kunden, Doktor Schauer, konfrontiert wird. Dieser möchte sterben, heute. Sich dazu in seine Tiefkühltruhe begeben; TK-Experte Schlicht soll ihn dann später an einen anderen Ort verbringen. Das ist alles, dafür gibt es gutes Geld. Theoretisch.
Denn weder trifft das Geld bei Schlicht ein, noch ist der Leichnam des Doktor Schauer wie verabredet in der Tiefkühltruhe zu finden. Stattdessen überall aufgetautes, aus der Packung suppendes Rehragout, das Schlicht ihm immer lieferte. Dafür trifft er im Haus dessen Tochter Astrid, die ebenfalls den Vater sucht und Schlicht erstmal eines Verbrechens beschuldigt. Dies soll nur eine Stelle sein, in der der arme, ganz seinem Namen entsprechende Franz Schlicht etwas bezichtigt wird, das er nicht verbrochen hat.
Der kurzweilige Roman von Ferdinand Schmalz, genau wie seinen Figuren, hat der Autor auch sich selber einen klingenden Kunstnamen verpasst, führt uns Lesende von einer abstrusen Situation in die nächste. Dabei folgen wir nicht immer der eigentlichen Hauptfigur Schlicht, sondern treffen, gleich zu Beginn und dann immer wieder, auf eine alte Bekannte von ihm: Sabine Teufel, später Schimmelteufel. Die beiden kennen sich noch aus Zeiten, als sie dem Ministerialrat Kerninger ein Schnippchen schlagen wollten, irgendwas mit Nazi-Weihnachtsschmuck; dieser wiederum scheint mit dem Verschwinden von Doktor Schauer in Verbindung zu stehen. Oder?
„Zeittotschlagen bringt dich schleichend um“
Im Verlauf entwickelt die von bitterbösem Humor durchzogene Geschichte einen semi-ausgeklügelten Krimi-Plot, der die eine oder andere Finte schlägt (nicht jede davon mag sich einfügen) und dabei immer wieder noch eine absurde Figur oder eine abseitige Anekdote eines bereits etablierten Charakters einflicht. Dabei treffen wir in Mein Lieblingstier heißt Winter auf zwei Arten von Menschen: Jenen, die auf ihre Art schon gescheitert sind und immer und immer wieder beim Versuch einen Fuß in die Tür zu bekommen, aufs Scheitern zurückgeworfen werden und jenen, die ihnen dabei zusehen, die sie als sich in den Schmutz werfenden Pöbel benutzen.
In nicht wenigen Momenten vermittelt der Autor ein gutes Gespür für „die da unten“, wenn er etwa Franz Schlicht und dessen besten Freund Fabian, der ornithologisch begeistert ist und „gewisse Schwingungen“ in Bezug auf den Gerichtsmediziner in Crocs, Tulp, verspürt, miteinander Ursache und Wirkung einzelner Geschehnisse durchsprechen lässt. Oder der Austausch von Belanglosigkeiten, die aber Halt bieten, zwischen den Schergen Schimmelteufels, Harald und Norbert. Die Runde im „Wettcafé“ ließe sich so sicherlich vielerorts finden.
Ebenso versteht sich Schmalz aber auch auf die Kungeleien und Abgehobenheiten der oberen Zehntausend, besonders in der ihm natürlich nahen österreichischen Variante. Wenn er auch nie so zynisch wird wie Elias Hirschl in seinem großartigen (und dank Sebastian Kurz’ Beiseitetreten noch stärker die verdiente Aufmerksamkeit erfahrenden) Buch Salonfähig, spart er kaum eine Boshaftigkeit aus, um die Schlechtigkeit manch einer handelnden Person sprachlich passend einzurahmen.
Sprache zum Vibrieren bringen
Sprache ist es dann auch, was die Groteske von Ferdinand Schmalz ganz besonders auszeichnet. Eine Sprache, die der Autor praktisch für die Geschichte entwickelt hat. Sie kommt mit einer Mischung aus Altertümlichkeit, knackiger Prosa und österreichischem Dialekt daher und gibt dem Buch seinen ganz besonderen Reiz. Zuerst gewöhnungsbedürftig (zumal die kaum in Dialogen, sondern zumeist in indirekter Rede wiedergegeben Unterhaltungen gerade zum Anfang noch etwas sperrig wirken mögen), lohnt es sich aber, dranzubleiben. Einmal in der Geschichte drin, entfaltet die Kombination aus eigentümlicher und eigener Sprache und all dem Makabren und Verschrobenen eine ungemeine Sogwirkung.
Nicht umsonst dürfte immer wieder von Schwingungen, ob ausgelöst durch Ton, Schmerz, Temperatur oder Sonstiges die Rede sein. Auch wechselt der Sprachrhythmus dezent, wenn Schmalz Kälte, Schnee und Winter beschreibt und dann die sommerliche Hitze im Wien zur Zeit der Handlung. Von getarnter Kunst wird manches Mal gesprochen, wenn auch in Bezug auf Zähne, die im Buch eine wesentliche Rolle spielen. So tarnt auch Schmalz seine Sprachkunst als Krimi; dass es um diesen aber nicht unbedingt gehen sollte, merken wir spätestens im letzten Drittel des Buches, als das Abstruse und die Sprache unter der Überkonstruktion der Geschichte zu leiden beginnen, zumal diese dann auch irgendwie verpuffend endet.
Bezeichnenderweise heißt das letzte Kapitel „Kein Feuerwerk“. Ganz übertragen lässt sich das auf Mein Lieblingstier heißt Winter zwar nicht, jedoch startet das Buch weit famoser als es endet. Als größtenteils tiefblickendes und garstiges Leseexperiment sei es aber allemal empfohlen.
AS
PS: Bei allen Büchern, die wir besprechen, die für den Deutschen Buchpreis 2021 nominiert sind, wollen wir uns die Frage stellen: Sollte dieses Buch in der Breite gelesen werden? Nun, wie erwähnt ist Mein Lieblingstier heißt Winter recht eigen und wir wissen von einigen Leuten, die das Buch nach circa fünfzig Seiten abgebrochen haben, primär weil sie mit dem Stil Probleme hatten oder keinen Gefallen daran gefunden haben. Der Rezensent hat viel gelacht und mochte die Verknüpfung von Stil und Figuren, das war rund. Wer es aber sprachlich eher wie gewohnt mag und sich nicht gern herausfordert, nun, die- oder derjenige dürfte an dem Buch nichts finden.
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter; 3. Auflage, August 2021; 192 Seiten; Hardcover mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-10-397400-3; S. Fischer; 22,00 €; auch als eBook erhältlich
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