Die Energiekrise ist trotz überwiegend milden Winters in aller Munde. Putins Überfall auf die Ukraine hat diese – Achtung: Wortspiel – befeuert. Früher oder später, so ehrlich müssen wir sein, wären wir aber dennoch in sie hineingeschlittert. Oder noch schlimmer: Wir hätten den Zeitpunkt verpasst, zu dem wir auf eine wirklich saubere und nachhaltige Erzeugung von Energie in jedweder Form hätten umstellen müssen. Nun haben wir wenigstens noch eine Chance umzusteuern.
Bekannte Wunderwaffe
Als Wunderwaffe gilt nun das einfachste Element, das das Universum zu bieten hat: Wasserstoff. Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck waren im letzten Spätsommer in Kanada, um dort nach Wasserstoff zu fracken, äh zu verhandeln. Und bereits vor Beginn des Kriegs war Außenministerin Annalena Baerbock in der Ukraine, um mit dem heute so geschundenen Land über eine Wasserstoffpartnerschaft zu verhandeln. Daraus dürfte absehbar erst einmal nichts werden.
Wasserstoff ist nichts Neues, die Technologie ist bereits lange bekannt. Nur war sie bislang kaum attraktiv nutzbar, woran auch die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung aus dem Jahr 2020 nichts änderte. Dementsprechend fehlt es vielfach an Wissen um dieses kleine Molekül. Um dem entgegenzutreten, hat sich die Journalistin Monika Rößiger aufgemacht und recherchiert. Ergebnis dieser Recherche ist das Buch Die Wasserstoff-Wende – So funktioniert die Energie der Zukunft, das im Sommer in der Edition Körber erschienen ist.
Ein vielseitiges Element
In sechs Kapiteln erläutert die Autorin die Anwendungsmöglichkeiten von Wasserstoff und wie er uns bei der Energiewende unterstützen kann. Technologische Grundlagen und Informationen zur so genannten „Sektorenkopplung“, also der zusammenhängenden Nutzung über mehrere Anwendungsfelder hinweg bilden den Auftakt, der aber auch Nichttechnikerinnen und Nichttechnikern verständlich ist. Die Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten des Wasserstoffs je nach seiner Gewinnung ist aber beispielsweise sehr nachvollziehbar und einer interessierten Öffentlichkeit auch keine Neuigkeit mehr.
Drei Sektoren mit hohem Energiebedarf und die Möglichkeiten zum Einsatz von Wasserstoff beleuchtet Rößiger anschließend genauer: Industrie, Verkehr und Wärme, wobei der Fokus klar auf den ersten beiden Bereichen liegt. Abgerundet wird das ganze durch einen kurzen, aber intensiven Ausblick auf die Energiewende, die auch einige innovative Punkte jenseits des Wasserstoffs behandelt.
Nicht neu, nur vergessen
Wie bereits illustriert ist Wasserstoff keine neue Technologie, nur wurde sie in den letzten Jahrzehnten kaum beachtet. Es gibt daher kaum publikumswirksame Bücher, die präzise und fundiert, aber dennoch für Laien nachvollziehbar die Zusammenhänge rund um den Wasserstoff aufarbeiten. Allein das ist ein großes Verdienst von Monika Rößigers Buch, denn solch eine Zusammenstellung hat in der gesellschaftlichen Debatte bisher weitgehend gefehlt.
Unaufgeregt, sachlich und nachvollziehbar erläutert die Autorin die wesentlichen Anwendungsfelder von Wasserstoff, von der Dekarbonisierung des schmutzigen Stahls über de facto emissionsfreie Mobilität und den schrittweisen Ersatz von Erdgas durch Wasserstoff als Heizmaterial. Dabei macht sie jedoch nicht den Fehler, lediglich ein losgelöstes Element der Wertschöpfung zu betrachten, sondern analysiert die gesamte Kette.
Wasserstoffkette ohne Kohlenstoff
Von der Produktion des Wasserstoffs – als Abfallprodukt in chemischen Prozessen oder durch die Elektrolyse mithilfe von überschüssigem Strom aus erneuerbaren Energien – über die Nutzung und eben die Emission als Wasser(dampf) betrachtet sie den gesamten Nutzungszyklus und lässt dabei auch externe Effekte nicht außen vor. Natürlich wächst der Wasserstoff nicht auf Bäumen, muss produziert und transportiert werden, aber all dies kalkuliert sie mit ein und bietet ihren Leserinnen und Lesern ein komplexes und dennoch anschauliches Geflecht aus Informationen über den gesamten Nutzungszyklus hinweg.
Gerade in den beiden Kapiteln zur Industrie und zur Mobilität ist das sehr aufschlussreich: Sie besucht Stahlproduzenten und Hersteller von Brennstoffzellen, die in Fahrzeugen verbaut werden. Sie zeigt, wo in der Nachrüstung von bestehenden Gefährten eine Chance für Umwelt und Mittelstand liegt, wie ein Industriegebiet bei Rostock seine gesamte Wirtschaft entsprechend umstellt oder wie beispielsweise ein Wasserstoffnetzwerk in Hamburg die Energieversorgung der Hansestadt umkrempeln kann.
Der Norden liegt vorn
Auffällig ist, dass sehr viele der von ihr porträtierten Projekte im Norden der Bundesrepublik liegen. Das liegt – so räumt Rößiger gleich zu Beginn ein – einerseits an der Corona-Pandemie, die aufwändigere Reisen schwierig machte, andererseits aber auch daran, dass gerade in Norddeutschland das Potential für Wasserstoff sehr viel höher ist als im Süden. Und deshalb gibt es dort eben auch mehr Projekte, über die sie schreiben kann. Das nehmen wir gerne so an.
Verhältnismäßig schwach ist leider das Kapitel zur Wärmewende. Während sich Rößiger anfangs noch mit der Nutzung von Wasserstoff als Heizmaterial befasst, ist sie hier relativ schnell bei anderen Arten nachhaltiger Heizlösungen wie industrieller Abwärme oder Geothermie. Das ist alles nicht falsch, hat aber mit Wasserstoff nur bedingt etwas zu tun.
Worüber wir reden wollen – und worüber nicht
Bei all diesen Projekten und Einrichtungen spricht Rößiger mit den Menschen, die ihr ihre Arbeit erläutern, ihre Motivation und Ziele darlegen und den Nutzen der jeweiligen Initiative für die breite Nutzung von Wasserstoff darstellen. Rößiger hat das sauber dokumentiert und für uns aufbereitet und dennoch ergibt sich hier eine kleine Schwäche, die jedoch ein wenig in der Natur der Sache liegt.
Die Menschen nämlich, mit denen die Autorin spricht, versuchen natürlich sich selbst und ihre Projekte vorzustellen und sich von ihrer besten Seite zu präsentieren. Sie sind vielleicht Überzeugungstäterinnen und -täter oder Pioniere, aber sie sprechen eben auch als diejenigen, die ein Projekt – oft gefördert mit öffentlichen Mitteln – verantworten. Natürlich stellt sich niemand hin und sagt, dass das Projekt eigentlich ein Flop werden könnte, welche Probleme vielleicht ungelöst sind oder wo es auch Schattenseiten gibt, denn das würde ein schlechtes Licht auf sie selbst werfen.
Es zeigt sich daher ein kleines Problem des Vorgehens mittels vieler Interviews: Vielfach ist Rößiger darauf angewiesen wiederzugeben, was ihr ihre Gesprächspartnerinnen und -partner erzählen. Auch wenn Rößiger Informationen sehr gut einordnet und kritisch nachfragt sowie sich mit der Plausibilität der Projekte auseinandersetzt, gleicht die Zusammenstellung all dieser Kurzportraits der Projekte in dieser Hinsicht eher einer Sammlung von Hochglanzbroschüren, die für Wasserstoff in x verschiedenen Nutzungen werben. Dazu mag auch beitragen, dass es sich – wie eingangs geschildert – eben um eine Studie in einem bislang öffentlich wenig beachteten wissenschaftlichen Feld handelt, das nun in den Alltag der Menschen dringt und es kaum Gegenstudien mit anderen Designs gibt.
Gewichtige Rolle des leichtesten Elements
Gleichzeitig darf das aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Monika Rößiger mit Die Wasserstoff-Wende ein überaus anschauliches Buch geschrieben hat, das uns sehr gut darlegt, welch gewichtige Rolle das leichteste Element des Universums für unseren Alltag haben kann. Wasserstoff besitzt ein unglaubliches Potenzial, das wir bisher kaum kennen und heben, das aber im Zuge der Energiewende zunehmend an Bedeutung gewinnen dürfte.
Monika Rößiger fasst für Laien sehr gut nachvollziehbar die Nutzungsmöglichkeiten von Wasserstoff zusammen, welche Schwierigkeiten und Erwägungen damit verbunden sind und welch innovative Projekte es bereits heute hierzulande gibt. Wenn eine breite Mehrheit der politischen und gesellschaftlichen Entscheiderinnen und Entscheider sich der Lektüre dieses Buchs annimmt, könnte dem Wasserstoff eine große Zukunft bevorstehen. Und für alle ohne Entscheidungsgewalt findet sich hier ein überaus informatives Buch über eine der spannendsten Technologien, die unsere Gesellschaft dieser Tage umkrempeln könnte. Statt Jules Verne, der Wasserstoff einst als „neues Erdöl“ bezeichnete, bietet auch Monika Rößiger eine spannende Geschichte über das leichteste Element des Universums.
HMS
Monika Rößiger: Die Wasserstoff-Wende. So funktioniert die Energie der Zukunft; Juli 2022; Klappenbroschur; ISBN 978-3-89684-295-4; Edition Körber; 20,00 €
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