Krankes System zum Leidwesen kranker Menschen

Kranke Geschäfte – ein Polit-Drama mit Elementen eines Thrillers – ist von wahren Ereignissen inspiriert, packt diese aber in eine rein fiktionale Geschichte, was den Film nicht weniger wahrhaftig erschreckend sein lässt. Das Kapitel um diese Art Medikamententests in der DDR ist noch immer nicht abschließend aufgeklärt, für viele – insbesondere in den alten Bundesländern – gar ein gänzlich unbekanntes Thema und wird sicherlich noch einigen Anlass zu Spekulationen, der Notwendigkeit einer differenzierten Aufarbeitung (eine erste Studie wurde 2016 veröffentlicht) und womöglich auch juristische Konsequenzen nach sich ziehen.

Regimetreu, bis es die eigene Familie trifft

Der linientreue Stasi-Oberleutnant Armin Glaser (Florian Stetter) lebt mit seiner Frau Marie (Felicitas Woll) und Tochter Kati (Lena Urzendowsky) ein bequemes, in geordneten Bahnen verlaufendes Leben in Karl-Marx-Stadt. Überraschend wird bei Kati Multiple Sklerose diagnostiziert, dank seines Status und mit Hilfe seines Vorgesetzten Oberst Peterhans (Stephan Grossmann) kann Glasers Tochter in der Obhut von Dr. Sigurd (Corinna Harfouch) schon bald im Bezirkskrankenhaus an einer neuartigen Behandlung teilnehmen. Doch der Oberleutnant stößt schnell auf Ungereimtheiten und in ihm reift der Verdacht, dass ein westdeutsches Pharmaunternehmen ein nicht zugelassenes Medikament an seiner ahnungslosen Tochter und anderen Patienten testet. Er will sie aus der Klinik holen, doch seine Frau und die Ärzte stellen sich dagegen. Dennoch hört er nicht auf nach Antworten zu suchen, was natürlich kaum verborgen bleibt. So schafft sich Glaser auch Feinde innerhalb der Stasi.

Marie Glaser (Felicitas Woll, 2.v.r.) und Armin Glaser (Florian Stetter) wissen nicht, warum es ihrer Tochter Kati (Lena Urzendowsky, re.) trotz Medikamenten und der Behandlung durch Dr. Sigurd (Corinna Harfouch) immer schlechter geht. // © ZDF/ARTE/Dusan Martincek

Der Film macht sich zum 30-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung daran, ein wenig Licht ins Dunkel in vom Westen bezahlte Medikamententests in der DDR zu bringen und nutzt seine verschachtelte und clever gezeichnete Geschichte, um alle Seiten dieses Dramas zu beleuchten. Er arbeitet somit nicht nach einem Täter-Opfer-Schema, sondern das Drehbuch von Johannes Betz bemüht sich um Grautöne und Ausgewogenheit. Das lässt den letzten Film des kurz nach Beendigung der Dreharbeiten verstorbenen Regisseurs Urs Egger zu einem klugen Stück fiktionalisierter Zeitgeschichte werden.

Ein persönliches Anliegen der Produzentin

Produzentin Dr. Franziska An der Gassen entwickelte den Stoff, nachdem sie 2013 in einer Tageszeitung die Überschrift „Westdeutsche Pharmafirmen testeten Medikamente an ostdeutschen Bürgern“ las. Da sie selber ostdeutscher Herkunft sei, in Ost-Berlin aufwuchs und ihr dieses Thema unbekannt gewesen sei, begann sie zu recherchieren. Aus über 600 Originaldokumenten und weiteren Gesprächen entwickelte sie dann mit dem Autoren Johannes Beitz die fiktionale Geschichte, die sicherlich auch aufgrund des hohen Rechercheaufwands so authentisch wirkt.

Stasi-Oberstleutnant Armin Glaser (Florian Stetter) nutzt seine Stellung, um eigene Nachforschungen zu betreiben. // © ZDF/ARTE/Julie Vrabelova

Zur Authentizität tragen auch die Ausstattung (Kostüme: Stan Sloserova; Szenenbild: Adéla Hakova), die Musik von Ina Seifert und der Nebenhandlungsstrang um das Depeche Mode-Konzert in Ost-Berlin am 7. März 1988 bei. Dieser wird zwar dann auch für eine einigermaßen kitschige Note genutzt, aber dennoch markiert sie einen Wendepunkt für den ehemals regimetreuen Armin Glaser. 

Denn natürlich benötigt Kati das Medikament und ganz klar wurde das Einverständnis der Eltern zur Teilnahme an einer Medikamentenstudie nicht eingeholt, sie wurden lediglich über die Nebenwirkungen des theoretisch verabreichten Medikaments informiert. So kann man die wachsende Verzweiflung des Stasi-Mannes Glaser verstehen, da er natürlich nun auch beginnt, seinen Staat und dessen Methoden zu hinterfragen. Was uns als Zuschauer.innen wiederum fragen lässt: Musst du erst selber Leid erfahren, um das Unrecht zu erkennen, für das du selber so lange eingestanden hast? 

Viele Perspektiven, clever verknüpft

Corinna Harfouchs zweifelnde, engagierte, durchaus systemkritische Ärztin Dr. Sigurd, absolut glaubwürdig und vielschichtig gespielt, bringt einen wahren Punkt auf, nach dem Motto: „Wo denken Sie denn, leben wir hier?“ Sie hat das System nicht geschaffen, muss aber nun mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln arbeiten, auch wenn es an ihr zehrt. Da braucht es die neue, aber im Grunde aus egoistischen Motiven gewachsene Systemkritik Herrn Glasers auch nicht.

Dr. Sigurd (Corinna Harfouch, re.) klärt Marie Glaser (Felicitas Woll, li.) über die Nebenwirkungen der Medikamente ihrer Tochter auf, jedoch nicht darüber, dass es sich um eine Studie handelt. // © ZDF/ARTE/Dusan Martincek

Auch auf seine Frau Marie wirkt sich sein beinahe manisches investigatives Vorgehen aus. So wird ihr durch Kollegen und vermeintlichen Freunden ihres Mannes eine Verbindung zum Widerstand angedichtet und sie wird an ihrer Arbeitsstelle degradiert. Es reichen wenige Szenen um die ganze Wucht, Durchtriebenheit und im Grunde den Zynismus der Stasi deutlich werden zu lassen, was dem Film eine weitere Facette verleiht.

Selbst die westdeutsche Pharmafirma wird, wie sonst so oft, nicht verteufelt, auch wenn dort keine großen Sympathieträger unterwegs sind, mal abgesehen vom Pharmalieferanten Florian Diller (Johannes Allmayer). So haben sie dennoch eine Mission und ihre Aufgabe ist nun einmal die Entwicklung, Erprobung und Vermarktung neuer Medikamente. Kranke Geschäfte macht auch unzweifelhaft klar, dass das Medikament tatsächlich eine große Hilfe für an Multipler Sklerose Erkrankte sein dürfte.

Rechtfertigt dies nun ein solches Vorgehen? Das ist sicherlich eine Frage, die sich reflektierende Zuschauerinnen und Zuschauer nach dem Anschauen des dieses zeitgeschichtlichen, sehenswerten, multiperspektivischen Films wohl mehr als einmal stellen werden. 

AS

Der Film lief am 25.9.2020 auf arte (Wdh.: 13.10, 13:45 Uhr), am 28.9.2020 im ZDF. Er ist derzeit in der arte-Mediathek verfügbar (bis 13. August 2022).

Kranke Geschäfte; Deutschland 2019; Regie: Urs Egger; Drehbuch: Johannes Betz; Musik: Ina Seifert; Kamera: Lukas Strebel; Darsteller: Corinna Harfouch, Florian Stetter, Felicitas Woll, Lena Urzendowsky, Jörg Schüttauf, Johannes Allmayer, Stephan Grossmann; Laufzeit: ca. 104 Minuten; ZDF/ARTE, Rat Pack Filmproduktion GmbH, An der Gassen Film

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitstzeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert