Mehr als ganz passabel

Joseph Kanjaa (Michael Klammer, l.) und Clarissa Jakobs (Samia Chancrin, M.) bieten Timo Viatov (Anton Rubtsov, r.) einen köstlichen Deal an // © ZDF/Frank Dicks

Schon zu Beginn stellt sich nun die Frage, ob aus dem Titel dieses Beitrag eine angemessene Einschätzung erwachsen kann oder nicht. Immerhin heißt es in dem Thriller Unbestechlich: „Das Wort passabel sollte in einer kulinarischen Frage nicht vorkommen.“ Gilt das auch für Filme und Ähnliches? Leider sagt diesen Satz eine fiktive Figur, nämlich der interne Ermittler Joseph Kanjaa. Ob dessen Darsteller Michael Klammer das auch so sieht? Oder die Drehbuchautoren Klaus Burck und Jens Anders? Was soll’s — verlassen wir diesen Nebenschauplatz. Wir befinden uns schließlich nicht in der Vorschule der filmischen Wertung. 

Bunte Figurenkonstellation

Dieses wunderbare Bonmot jedenfalls fällt, als Kanjaa mit seiner neuen Kollegin Clarissa Jakobs (Samia Chancrin) in einem Düsseldorfer Restaurant (das wir kürzlich erst in Die Füchsin — Alte Sünden sahen, in dem Liza Tzschirner mitspielt, die sowieso toll ist, aber insbesondere, weil sie Ralph Kinkel animierte für The Drag and Us vorzusprechen und die Serie so ein wenig weniger leidet) brainstormen, wie es in ihrem Fall weitergehen soll. Die beiden arbeiten für das LKA Düsseldorf und haben eine Gruppe von drei Polizisten — Stefan Krohn (Alex Brendemühl), Simone Westermann (Maja Schöne, hat eben erst im Polizeiruf 110: Ronny zu lange bei ihrem Sohn weggesehen) und Gerrit Cloos (Christian Hockenbrink) — im Visier. Es liegt der begründete Verdacht nahe, dass die drei nach einem größeren Drogeneinsatz mit Schusswaffengebrauch sowohl Bargeld als auch Kokain haben — Simsalabim — verschwinden lassen.

Stefan Krohn (Alex Brendemühl) sichert Geld und Kokain einer geplatzten Drogenübergabe // © ZDF/Frank Dicks

Dies geschah auch so halb vor den Augen des noch recht frischen Vierten im Teambunde, Timo Viatov (Anton Rubtsov), den die drei ein wenig von oben herab behandeln und doch geneigt sind, ihn in ihre Machenschaften einzubeziehen. Der allerdings will gern ganz woandershin und bietet sich nach anfänglicher Skepsis Kanjaa und Jakobs als blondschöpfiger Maulwurf an. Es ist vor allem der erfahrene, dezent stoische, regeltreue Joseph Kanjaa, der es anfangs schafft, Viatov davon zu überzeugen, gegen die Kollegen vorzugehen. 

Immer allein am Tisch?

Kanjaa, dem wegen seiner Hautfarbe sowie seiner Integrität weder direkte noch indirekte Diskriminierung (und mehr) fremd sind, erkennt schnell, dass auch der russischstämmige Viatov in der Truppe am Rand steht. Doch auch Clarissa Jakobs hat so ihre Erfahrungen… wegen ihres Nicht-Mannseins, wegen ihrer durchaus engstirnigen Art, die einem Mann jedoch als Durchsetzungsvermögen ausgelegt würde, wegen ihrer Prinzipien, etc. Wie sagt sie so schön: „Mal ehrlich, neben uns will doch nicht mal jemand in der Kantine sitzen.“

Clarissa Jakobs (Samia Chancrin, l.) und Joseph Kanjaa (Michael Klammer, r.) treffen sich mit Timo (Anton Rubtsov, M.), um ihn in den Plan einzuweihen // © ZDF/Frank Dicks

So ist mensch in Unbestechlich also schon einmal im Außenseitertum vereint. Doch nicht nur darin. Beide verstehen sich auf gewisse Regeln und Grundsätze (wenn die im Detail auch abweichen können) und eine Art Wertekanon. So etwas eint natürlich. Ebenso sind sie zutiefst empathisch, was wir Zuschauer*innen auch an ihrem Umgang mit denjenigen sehen können, hinter denen sie her sind.

Denn dass auch diese nicht einfach nur „Gejagte“, sondern Menschen mit einem Leben und Bedürfnissen sind, ist durchaus klar. Auch dank eines alles in allem soliden Drehbuchs und der vielfältigen Geschichte, die auf einer Idee Malte Cans basiert, der zuletzt unter anderem auch den starken Solo-KarowTatort: Das Opfer produzierte. Diesen, wie hier, gemeinsam mit Hana Geißendörfer (beide übrigens auch für den wunderbaren Verena-AltenbergerPolizeiruf 110: Frau Schrödingers Katze verantwortlich) — da dürften ohnehin einige Ohren klingeln. 

Ein zutiefst menschlicher Thriller

Unbestechlich ist somit ein zutiefst menschlicher Thriller, ohne jemals in sonderlich gefühlige Gefilde oder plärrendes Melodrama abzugleiten. Wofür wir sehr dankbar sind. Regisseurin Christiane Balthasar versteht es ihre Figuren an den richtigen Stellen zu treiben, sie an anderen ruhen und in den nächsten schäkern zu lassen. (Wie wir in der Pressemappe von Hana Geißendörfer erfahren, dies sogar wegen Corona „ein paar Tage aus ihrer Quarantäne heraus per Livestream“ — Respekt!)

Joseph Kanjaa (Michael Klammer) überwacht einen Drogendeal, um die korrupten Polizisten auf frischer Tat zu fassen // © ZDF/Frank Dicks

Das führt bei den geneigten Zuschauer*innen zu zweierlei: Unser Puls geht hoch und runter, wir lachen mit und wir fiebern mit; sind gespannt, was als Nächstes kommt — für einen Film, in dem es um Betrug, interne Ermittlungen, Machtmissbrauch, Ehrgefühl, Loyalität und Verrat geht, immer gut. Und wir folgen arg interessiert dem Geplänkel von Kanjaa und Jakobs — in dem es immer wieder um Sexualität und Queerness geht, etwas, das später nicht einfach verpuffen soll — und wissen doch, dass da nicht nur Harmonie sein wird, sein kann. 

Simone Westermann (Maja Schöne, l.) verabschiedet sich von ihrem Sohn Viktor (Vico-Simone Magno, M.) und ihrem Mann Martin (Peter Sikorski, r.) // © ZDF/Frank Dicks

Michael Klammer und Samia Chancrin verkörpern ihre Figuren wirklich erfrischend, die Chemie stimmt. Dass die beiden einander seit Studienzeiten aus Salzburg kennen, mag nicht schaden. Auch die anderen Darsteller*innen sind größtenteils top besetzt. Allen voran Maja Schöne, die von den drei unehrlichen Polizisten noch das nahegehendste Motiv hat. Auch Anton Rubtsov weiß zu gefallen, wenn seine Rolle auch ein wenig an jene aus Die Toten von Marnow erinnert. Wieder ein junger Polizist, der viel will, dabei sich und andere unnötig in Gefahr bringt und womöglich den Preis dafür zu zahlen hat. 

Charmante Bodenständigkeit

Mit der von der wunderbaren Angelika Bartsch gespielten Mathilda Herzog, die Kanjaa und Jakobs zusammenbringt, hadere ich noch ein wenig. Das mag aber auch daran liegen, dass sich ihre in wenigen Auftritten unglaublich stark unsympathisch gespielte Jan-Pawlak-Schwiegermutter Britta Tremmel so eingebrannt hat. Christian Hockenbrink hat das unschuldig aussehende Arschloch perfektioniert und Alex Brendemühl funktioniert als Kopf von dit janze sowieso gut.

Kommissarin Clarissa Jakobs (Samia Chancrin, l.) ist anfangs wenig erfreut, als sie von Mathilda Herzog (Angelika Bartsch, r.) erfährt, in welcher Abteilung sie in Zukunft arbeiten soll // © ZDF/Frank Dicks

Zum Verlauf der Story soll(te) hier auch nicht allzu viel verraten werden. Uns hat gefallen, dass sie nicht dem 08/15-Thriller-Schema folgt, sondern durchaus ein paar weniger ausgetretene Pfade nutzt und es in Unbestechlich sehr oft auch um den Aufbau der Ermittlungsarbeit geht und nicht einfach nur kurz „du kümmerst dich um dies und das“ gerufen wird. Eine feine Abwechslung, die auch für charmante Bodenständigkeit sorgt.

Offensichtlich scheint uns, dass Unbestechlich, der am morgigen Montag um 20:15 Uhr im ZDF gezeigt wird, als möglicher Auftakt zu einer Reihe angelegt ist (wir denken da erneut an Die Füchsin, mit möglicherweise zwei Teilen pro Jahr) und wenn manch ein wohl eher versehentlicher Hickser noch ausgeklopft würde, wären wir absolut an Bord. Die Figuren überzeugen, die Menschen, die sie spielen, ebenso. Subtiler Humor und angenehme Spannung geben sich den Büroschlüssel in die Hand. Genuss und Stil spielen eine ebenso feine Rolle wie unaufdringliche Diversität. Der Queerness-Faktor ist da und die Lust darauf scheinbar ebenso. 

AS

PS: In der kommenden Woche lest ihr noch ein Gespräch, das wir mit Hauptdarstellerin Samia Chancrin führen konnten.

PPS: „Sie sprechen also fließend kroatisch.“ — „Jeder hat so seine Interessen.“

Joseph Kanjaa (Michael Klammer) und Clarissa Jakobs (Samia Chancrin) ermitteln intern – sind aber auch draußen unterwegs // © ZDF/Frank Dicks

Das ZDF zeigt Unbestechlich am Montag, dem 27. März 2023 um 20:15 Uhr; in der ZDF-Mediathek ist der Film noch bis zum 16. März 2024 verfügbar.

Unbestechlich; Deutschland 2023; Regie: Christiane Balthasar; Drehbuch: Klaus Burck, Jens Anders nach einer Idee von Malte Can; Bildgestaltung: Felix Poplawsky; Musik: Michael Kadelbach; Darsteller*innen: Michael Klammer, Samia Chancrin, Maja Schöne, Alex Brendemühl, Anton Rubtsov, Christian Hockenbrink, Angelika Bartsch, Peter Sikorski, Vico-Simone Magno, Niko Lukic, Simon Rußig, Katharina Schmalenberg, Harry Schäfer, Baris Ar, Jonas Baeck; Laufzeit ca. 90 Minuten

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