Er kommt durchs Telefon

Das verflixte siebte Jahr ist es, in dem der SWR dem Heike-Makatsch-Tatort aus Kostengründen den Hahn zu-, den Hals umdreht. Der letzte Fall der von Makatsch stoisch bis lakonisch verkörperten Kriminalhauptkommissarin Ellen Berlinger aus Mainz läuft unter dem Titel Aus dem Dunkel heute Abend um 20:15 Uhr im Ersten und bietet neben einer spannenden Stalking-Geschichte ebenso ein würdiges Ende, das neben Berlinger auch die Rückkehr manch neuer Figur möglich sein lässt.

Selbsttötung oder Mord

Wie erwähnt geht es in diesem fünften und letzten Berlinger-Tatort um einen Stalker und wir beginnen direkt düster: Amira Hassan (Elmira Bahrami) sitzt verzweifelt in ihrer Wohnung derweil, ihr eine verzerrte Stimme einflüstert, dass sie nichts wert, schuld am Tod ihres Bruders und überhaupt Platzverschwendung auf dieser Welt sei und sie dem doch ganz einfach ein Ende setzen könnte. Wenig später hämmert es an ihrer Wohnungstür und sie springt vom Balkon.

Selbstmord oder Fremdverschulden? Ellen Berlinger (Heike Makatsch) und ihr Kollege Lukas Wagner (Ludwig Trepte, rechts) sowie der Rechtsmediziner (Jerry Kwarteng, links) untersuchen den Tod von Amira Hassan (Elmira Bahrami), die von einem Stalker verfolgt wurde // © SWR/Peter Porst

Der, der dort hämmerte, war Hauptkommissar Thomas Engels (Andreas Döhler). Er wird es auch sein, der die Kolleg*innen von der Mordkommission verständigt, da er, im Gegensatz zu Berlinger und dem Kollegen Lukas Wagner (Ludwig Trepte), der für den abwesenden Martin Rascher einspringt, nicht an eine Selbsttötung glaubt. Viel eher vermutet Engels, dass es einen Zusammenhang mit dem Tod einer Kollegin, die von einem Stalker verfolgt und schließlich erstochen wurde, geben könnte. Nun stellt sich die Frage: Vermutet oder weiß er es, da er möglicherweise der Stalker ist?

Fragen über Fragen

Viel mehr soll zur Handlung dieses gelungenen Mainzer-Abschlusstatorts gar nicht gesagt werden, da im Lauf der stimmungsvoll verheißungsvollen Inszenierung von Regisseur Jochen Alexander Freydank diverse falsche und manch richtige Fährten gelegt werden. Wir Zuschauer*innen also konstant zweifeln dürfen, wer hier wirklich in Frage kommt oder nicht. Wem wir glauben sollen und wem nicht.

Die Aufgabe, die Ellen Berlinger (Heike Makatsch) dem Rechtsmediziner (Jerry Kwarteng) gestellt hat, war etwas speziell: Er sollte eine ermordete Katze obduzieren // © SWR/Peter Porst

Was hat es etwa mit der Fehde zwischen Engels und dem sexistischen Dienststellenleiter Niklas Zerrer (Rainer Sellien) auf sich, die einander gegenseitig ein Motiv unterstellen?! Wieso erkundigt sich das vermeintliche neue Opfer des Stalkers, Julia Ritter (stark: Susanne Wuest), bei Kommissar Lukas Wagner kontinuierlich danach, ob er den Täter denn erschießen würde? Und weshalb ist dem Rechtsmediziner (Jerry Kwarteng) seine Betriebsratssitzung wichtiger als Ellen Berlingers Anliegen?

Komplexe Ellen Berlinger

Schön an dem von Jürgen Wernerder sich mit Tatort-Abschieden auskennt – geschriebenen Drehbuch ist, dass wir Berlingers Motive und ihre… sagen wir entschlossene Patzigkeit nachvollziehen können, ebenso aber verstehen, warum sie nicht bei allen Kolleg*innen wohlgelitten ist. Zumal wir auch andere Seiten an ihr sehen und von ihr kennen, sei es auf der Dienststelle oder im Umgang mit ihrer besten Freundin Maja Ginori (immer gern: Jule Böwe).

Julia Ritter (Susanne Wuest) fürchtet um ihr Leben und hat wenig Verständnis dafür, dass Berlinger (Heike Makatsch) ohne stichhaltige Beweise nichts unternehmen kann // © SWR/Peter Porst

Irgendwie verwundert es daher kaum, dass der in drei Fällen von Sebastian Blomberg verkörperte Rascher sich wohl nun eher dem Bohème-Leben verschreibt, als weiter an der Seite der manches Mal mit einer irritierenden Mischung aus Wortkargheit und spitzer Zunge agierenden Berlinger zu arbeiten. Die läuft in Aus dem Dunkel allerdings noch einmal zu Höchstform auf und wir sehen Heike Makatsch (zuletzt u. a. Intimate, Der König von Palma) sehr gern dabei zu, wie sie die Figur ein vorerst letztes Mal mit Leben füllt.

Rundes Ende mit Offenheit

Leben werden in diesem Tatort schlussendlich auch gar nicht allzu viele genommen. Was jedoch nicht bedeutet, dass nicht diverse zerstört werden. Ganz gleich, ob verdient oder unverdient. Und Moral ist ohnehin subjektiv oder? So entwickelt sich der Krimi in der zweiten Hälfte von einem gruseligen Stalker-Thriller, der dezent an den von Erol Yesilkaya geschriebenen Dresdner Fall Tatort: Wer ist jetzt allein? mit Daniel Donskoy erinnert, zu einem Thriller-Drama.

Thomas Engels (Andreas Döhler) ist genauso enttäuscht, wie Ellen Berlinger (Heike Makatsch), dass sie einen Verdächtigen wieder laufen lassen mussten // © SWR/Peter Porst

Als dieses setzt sich der Film neben moralischen Fragen auch mit jenen von Verantwortung für Fall, Opfer aber auch Täter sowie dem Umgang mit unlauteren Kollegen (ja, Männer – immer nur Männer!) auseinander. Immer begleitet von einer Prise Abgeklärtheit, die jedoch nie in Zynismus umschlägt. Wenn das Tor der Mainzer Dienststelle sich also nach etwa 87 Minuten schließt, gehen wir mit dem Gefühl einen komplexen Krimi passend zur Hauptfigur gesehen zu haben, der durchaus Lust auf eine Rückkehr macht. Oder einfach einen feinen, runden Abschluss bildet.

AS

PS: Die Tatorte dürften ruhig häufiger mal als Crossover agieren oder auch mal ausgeschiedene Ermittler*innen als Gäste hinzuziehen. Hätte Charme. Es muss ja nicht so ausarten wie bei In der Familie.

PPS:

„Für den SWR war es eine große Ehre, mit einer so unverwechselbaren und facettenreichen Schauspielerin wie Heike Makatsch im ‚Tatort‛ zusammenarbeiten zu dürfen. Für die Darstellung der Hauptkommissarin Ellen Berlinger hätte es keine Bessere geben können. Umso schmerzlicher ist es für uns, die in Mainz verortete Reihe nach dem neuen Fall ‚Aus dem Dunkel‛ aus finanziellen Gründen beenden zu müssen. Die Inflation führt auch bei unseren fiktionalen Produktionen zu spürbaren Kostensteigerungen, die wir ohne Einschnitte im Angebot leider nicht mehr auffangen können. Zudem müssen wir im Rahmen unseres digitalen Umbaus Geld umschichten, um mehr Serien für die ARD Mediathek realisieren zu können. Deshalb konzentriert sich der SWR künftig auf seine drei anderen ‚Tatort‛-Reihen in Ludwigshafen, Stuttgart und im Schwarzwald mit unverändert jeweils zwei neuen Fällen pro Jahr. Ich danke Heike Makatsch für ihr großes Engagement für den Mainzer Tatort und hoffe, dass wir sie möglichst bald wieder für andere Rollen gewinnen können. Mein Dank gilt auch dem Produzenten Marc Müller-Kaldenberg von Ziegler Film Baden-Baden, der alle fünf Episoden mit Heike Makatsch produziert hat.“

SWR Programmdirektor Clemens Bratzler
Auf perfide Weise hat der Stalker auch Maja (Jule Böwe) in sein Bedrohungsszenario hineingezogen. Das macht Ellen wütend // © SWR/Peter Porst

Tatort: Aus dem Dunkel ist am Sonntag, 8. Oktober 2023, um 20:25 Uhr im Ersten zu sehen und ist anschließend für sechs Monate in der Mediathek verfügbar.

Tatort: Aus dem Dunkel; Deutschland 2023; Buch: Jürgen Werner; Regie: Jochen Alexander Freydank; Bildgestaltung: Namche Okon; Musik: Andrej Melita; Darsteller*innen: Heike Makatsch, Andreas Döhler, Ludwig Trepte, Susanne Wuest, Matthias Lier, Rainer Sellien, Jule Böwe, Anastasia Papadopoulou, Melanie Staub, Jerry Kwarteng; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der der Zieglerfilm Baden-Baden im Auftrag des SWR

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