Mut wird nicht aus Rundfunkgebühren gezahlt…

…oder: Warum ein PR-technischer Fehlschlag durchaus eine Fortsetzung verdient hat. Ein Kommentar.

Wer sich als betroffener, mittelbar tangierter oder einfach nur interessierter Fernsehzuschauer queeres Geschehen auf dem Bildschirm wünscht, der wurde im Laufe der Fernsehjahre ja durchaus eher gebeutelt als gepampert. Umso schöner, dass sich seit dem ersten schwulen Serienkuss in der Lindenstraße diese deutsche Fernsehlandschaft durchaus verändert hat. Zu ihrem Positiven? Die Antwort auf diese Frage kann nur ein klares und entschiedenes JEIN sein.

Sarkasmus und Cliffhanger?!

Immerhin sahen vor nicht allzu langer Zeit 185 Schauspieler*innen die Notwendigkeit eines vielbeachteten #ActOut. Diese Aktion führt dann hoffentlich zu einer Änderung des Bewusstseins und des Umgangs mit der Queerness der Schauspieler*innen selbst, als auch dem queeren Geschehen auf dem Bildschirm. Und so hätte sich mit All you need eine wirkliche Chance geboten. (Der geneigte Leser ahnt es an dieser Stelle schon, dieser Konjunktiv wird hier gerade bewusst eingesetzt und das auch nicht zum letzten Mal) Auch wenn dieses Format zum Zeitpunkt des #ActOut bereits in Produktion war, hätte es den Auftakt zu einer wunderbaren Awareness-Aktion einer großen öffentlich rechtlichen Sendeanstalt werden können. Stattdessen wird es verschämt als erste reine Mediathek-Produktion „gefeiert“ um dann doch im Spartenkanal-Spätprogramm versenkt zu werden. Dass das ausgerechnet in der Nacht zum 17.05. (IDAHOBIT) startete, wirkt da schon eher wie Ironie oder gar Sarkasmus.

Die „Clique“ (v. l. n. r.) feiert: Robbie (Frédéric Brossier), Vince (Benito Bause), Sarina (Christin Nichols), Tom (Mads Hjulmand) und Levo (Arash Marandi). // © ARD Degeto/Andrea Hansen

Der Plot: Ein schwuler farbiger Mann, Vince (Benito Bause), lernt einen anderen schwulen weißen Mann, Robbie (Frédéric Brossier), beim Feiern kennen. Man kommt (in durchaus mehrfachem Sinn) zusammen und kämpft mit den Wirren einer Beziehung und der Vergangenheit. Ein weiterer schwuler Mann mit Migrationshintergrund, Levo (Arash Marandi), und verflucht viel körperlicher Liebeserfahrung hat eine Beziehung zu einem weißen, mit einer Frau verheirateten Mann, Tom (Mads Hjulmand, Sløborn), mit Kind, angefangen. Für diesen ist es die erste schwule Beziehung. Er hat sich dann von der Frau getrennt und sein neuer Mann zieht zu ihm in die Vorstadt-Villa. Der Zündstoff in beiden Beziehungen ist natürlich so alt wie das Leben, Liebe-Eifersucht-Besitzanspruch. Die Situation eskaliert. Cliffhanger.

Die Handlung der einzelnen Folgen lässt sich dann auch noch kürzer skizzieren:

  1. Folge: Schwulsein leicht verständlich
  2. Folge: Schwule gibt‘s auch anderswo
  3. Folge: Wie alles begann (nur die Handlung hier)
  4. Folge: Diskriminierung leicht erklärt
  5. Folge: Schwule können nicht treu sein (+Extra: Drama-Finish)

Wer das ganze jetzt gern noch ein wenig hintergründiger hätte, der kann das bei den Kollegen hier kriegen: „Robbie kann sich gut verlieben“ (ein tolles Interview).

Was aber hat uns denn die Werbung nun versprochen und was haben wir bekommen?

Die durchaus groß angelegte Werbung hat uns eine queere Serie Par excellence versprochen, bekommen haben wir einen Riesensack an Klischees. Beginnend mit einem Dick Pic, dessen Nutzen dem früher sehr umtriebigen Mitbewohner erläutert werden muss, und endend mit dem großen Drama haben wir eine Aneinanderreihung von Klischees, die leider komplett außen vor lässt, dass queer ausgerechnet NICHT nur gleich schwul ist. Also schrauben wir die Erwartungen einfach was runter und erwarten nicht queerness sondern schwules Leben. Da sind wir schon an einigen Ecken ganz gut an der Wahrheit. Das „wahre Leben“ sieht allerdings immer noch anders aus.

Dramedy hat man versprochen.

Puh, viel zum Lachen war es nicht, lächerlich einiges mehr und Drama, … Jupp das hat’s.

Neue Maßstäbe sollte die Serie setzen…. Öhm… Nein. Abgesehen von der Abhandlung eines schwulen Klischees nach dem nächsten, kommt diese Produktion leicht über das Niveau einer Daily Soap hinaus, hat der gegenüber allerdings den großen Vorteil, nämlich dass sie nach 5 Folgen durch ist.

No Sex in the Sauna: Robbie (Frédéric Brossier, re.) und Vince (Benito Bause, li.). // © ARD Degeto/Andrea Hansen

Man las auch, dass wir jetzt eine deutsche queere Version von Sex and the city hätten. Nun ich weiß nicht, wann ich jemals Carrie oder eine der anderen Damen in der hochkarätig besetzten und leicht philosophisch anmutenden Dauerbrenner Serie so dermaßen den Holzhammer hätte schwingen sehen, wie diese Produktion. Aber wie sagt man? Nicht erreichte Ziele sind ja immer noch besser als gar keine Ziele.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wenn diese Serie doch soooooo auf Queerness setzt, warum werden alle Jungs von heterosexuellen Schauspielern gespielt? Wobei man den Machern ein queeres Highlight durchaus lassen muss.

Ausgerechnet einen im „wahren Leben“ homosexuellen Schauspieler auf die Rolle des homophoben Vaters zu besetzen und diesen dann tatsächlich in dieser Rolle trockenst brillieren zu lassen, das grenzt an Kunst. Und dann auch noch Matthias Freihof – dem Mann, der in Coming Out, dem einzigen schwulen Film der DDR, die Hauptrolle spielte. Leider muss ich hier das Bild des „mit dem Ar… umhauen, was man mit den Händen aufgebaut hat“ bemühen.

Levo (Arash Marandi, Mitte) stößt mit seiner Mutter Anoush (Jale Arikan), seinem Vater Volker (Matthias Freihof) und seinem Partner Tom (Mads Hjulmand, re.) auf die Rede an. In den Gesichtern aller Beteiligter bilden sich die verschiedenen Stimmungen ab, die Zuschauer*innen auch gegenüber der Serie All you need haben können. // © ARD Degeto/Andrea Hansen

Die grundsätzlich sicher wunderbar geschürten hohen Erwartungen kann diese Produktion leider nicht erfüllen. Was Schade ist, denn man sieht allen Beteiligten durchaus die Liebe und Leidenschaft für das, was sie da tun wirklich an.

Wenn die Qualität also zwar mäßig aber liebenswert ist, woran liegt es also, dass man All you need eher als unscheinbar wahrnimmt, als als strahlenden Diamant, den man uns versprach? Es liegt am „Sendeplatz“ und der anderen Präsentation. Die große Mutter ARD tut hier sowas von fortschrittlich, was sie aber nicht ist. Sie versteckt diese Serie in der Mediathek (exklusiv dafür produziert…. aha) und in dem Spätprogramm eines Spartensenders. Der bekommt zwar gerade durch den Eurovision Song Contest – wenn auch „nur“ den Semifinales –  wieder etwas mehr Beachtung wird aber die gesamte Bandbreite der Gesellschaft eher weniger erreichen. Ende Gelände. Dieses echt peinliche Versteckspiel kann man durchaus als verpatzte Chance begreifen.

Hätte (um endlich wieder zum Konjunktiv zurück zu kommen) die ARD diese Produktion platziert, wie es sich für einen Diamanten gehört, dann… ja dann…. Mit Babylon Berlin haben sie ja schon gezeigt, dass sie es können. Und dann hätte nicht nur der kleine queere Sunny, sondern auch Oma Erna oder Tante Gertraud und Opa Wilhelm zur besten Sendezeit ein liebevolles Stück Fernsehgeschichte erleben können. Guck mal wie vielfältig wir in unserer Gesellschaft sind – und wir lieben es! Bildungsauftrag – Check! Diese großartige Chance wurde aber nicht nur aus Versehen vertan. Nein, hier wurde zielgerichtet der eigene Erfolg selbst torpediert und die eigene Werbekampagne mit Platzierung und Besetzung gleich ad absurdum geführt.

Paintball zum Kennenlernen! Tom (Mads Hjulmand, Mitte) stellt Levo (Arash Marandi, li.) seinen Sohn Nick (Dennis Hofmeister, re.) auf unkonventionelle Weise vor. Hätte absurd-humorvoll werden können. // © ARD Degeto/Andrea Hansen

Ist diese Serie deshalb ein Rohrkrepierer?

Ganz und gar nicht. Wer sich mit den Details beschäftigt, der stellt fest, dass hinter den offensichtlich platzierten Klischees Raum für echte Zwischenmenschlichkeit ist, die anrührt, wehtut, mitnimmt und …. jaaaaa schlussendlich auch begeistert. Und gerade deswegen ist es ein Erfolg, den es zu feiern gilt, dass die Geschichten der vier Jungs weiter erzählt werden, denn DAS haben sie wirklich und wahrhaftig verdient. Zu wünschen bleiben dafür weniger Klischees und vielleicht doch mehr Zuneigung und wahre Liebe (die übrigens WIRKLICH in offenen Beziehungen oder auch in Polyamorie möglich ist, liebe ARD, aber das nur am Rande, denn soweit bist Du wohl doch eher noch nicht.)

Wer also in der Ankündigung der ARD – noch vor dem Sendestart bereits eine zweite Staffel bestellt zu haben – ein mutiges Coming Out und Bekenntnis zur Community sehen möchte, der interpretiert fehl. Die Schranktür ist MAXIMAL einen Spalt weit auf und dahinter ist die Angst förmlich zu riechen. Aber genau das sollte uns als queerer Community Anlass genug sein, hier nun zu ermutigen. Komm liebe ARD, wir queeren Menschen haben es alle hinter uns, das ein oder andere Coming out. Bekenn Dich zum Bildungsauftrag und dazu, dass auch queere Menschen Rundfunkgebühren bezahlen und die daher auch auf dem öffentlich rechtlichen Bildungsfernsehen stattfinden sollten.

Auf die zweite Staffel! Levo (Arash Marandi, re.) stößt mit Robbie (Frédéric Brossier, li.) an. // © ARD Degeto/Andrea Hansen

Der Weg mit einer zweiten Staffel ist nicht schlecht. Aber Du kannst mehr! Und wenn Du nicht weiter weißt, frag die Communitiy. Aber ja, Du kannst das! Glaub dran. Ich tu’s!

Dein Frank-Fiete

© ARD Degeto/Andrea Hansen

All you need ist noch bis zum 7. November 2021 in der ARD-Mediathek verfügbar.

All you need, Deutschland 2020/2021; Regie und Buch: Benjamin Gutsche; Musik: Chris Bremus; Kamera: Felix Poplawsky; Darsteller*innen: Benito Bause, Arash Marandi, Frédéric Brossier, Mads Hjumland, Christin Nichols, Julius Feldmeier, Karsten Speck, Dennis Hofmeister, Mona Pirzad, Matthias Freihof, Jale Arikan, Martin Bruchmann; 5 Folgen jeweils ca. 24 Minuten; eine Produktion von UFA Fiction, durchgeführt von der UFA Serial Drama, im Auftrag der ARD Degeto für die ARD-Mediathek 

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