Lauter Kriegsberichte von der Gender-Front

Die britische trans*Aktivistin Shon Faye ruft mit „Die Transgender-Frage“ zu mehr Gerechtigkeit auf und liefert zugleich ein deprimierendes Bild von einer offen trans*feindlichen britischen Wirklichkeit.

Von Nora Eckert

Als ich neulich Kathleen Stocks Material Girls las, die in den Medien gern als Opfer einer trans*aktivistischen Kampagne inszeniert wird, war ich irritiert, mit welcher Militanz sie Transfrauen das Frausein und die Weiblichkeit abspricht, um gleichzeitig und wiederholt zu beteuern, nein, sie habe ganz und gar nichts gegen Transmenschen, im Gegenteil, sie unterstütze deren Rechte. Über weite Strecken widmet sich ihr Buch dem sogenannten biologischen Geschlecht, also Genitalien und Keimdrüsen, und referiert ausführlich die variierenden biologischen Erklärungsmodelle für Frau und Mann. Wobei es immer und ausschließlich um die reproduktive Biologie geht. Aber nicht nur das, sie zitiert einige Fälle, in denen trans*Personen in Frauenräumen durch ein übergriffiges Verhalten auffielen. Daraus folgt das pauschale Bild von der Transfrau als Vergewaltiger und Gefahr für cis Frauen.

Das biologische Geschlecht, so die Konsequenz für Stock, sei das alleinige Merkmal für die Definition von Frau und die einzige Berechtigung für den Zugang zu Frauenräumen (Toiletten, Umkleiden, Frauenhäusern, Frauengefängnissen). Wir kennen das zur Genüge und haben natürlich längst begriffen, dass es sich beim biologischen Geschlecht nicht um einen Debattenbeitrag, sondern um einen Schlachtruf handelt und um eine Art Totschläger-Argument, weil das trans*Sein mal eben aus der Biologie gecancelt wird, radikal und restlos. Übrig bleibt ein Krankheitsbefund und die Behauptung, Transmenschen seien das Opfer ihrer Illusionen und eben eine potentielle Gefahr für cis Frauen.

Nora Eckert // Foto: © privat

Wie gesagt, ich war von der Militanz in Stocks Argumentation wirklich irritiert und noch mehr verblüfft hat mich ihre Überzeugung, sie liefere ein faires, weil vermeintlich wissenschaftlich basiertes Gesprächsangebot. Was ich nicht kannte, das waren die britischen Verhältnisse, aus denen Stocks Stimme sich erhob. Nach der Lektüre von Shon Fayes um Aufklärung bemühtes Buch habe ich begriffen, Stock gibt nichts anderes als den Mainstream der britischen Medien wieder. Daran ändern auch nichts die umfangreichen Belehrungen in Sachen reproduktiver Biologie. Ihre „Tatsachen“ sind am Ende ideologisch instrumentalisiert, bei denen es um eine Leugnung der Geschlechtsidentität geht, die Stock & Co. als „Transideologie“ diffamiert. Stock ist also kein Sonderfall, sondern für das Meinungsbild in Sachen trans* im Vereinigten Königreich der gruselige Normalfall.

Mit Fayes Buch liegt nun ein gewichtiger Einspruch vor, denn die Autorin liefert eine materialreiche Aufklärung über die Situation von Transmenschen in Großbritannien. Sie nimmt sich dabei alle Lebensbereiche vor, verbunden mit einem differenzierten Blick für die einzelnen Generationen von den trans*Kids angefangen bis zu älteren trans*Personen und den zahllosen Hürden und Hemmnissen des britischen Gesundheits- und Sozialwesens, mit denen die einen wie die anderen konfrontiert sind.

Die geradezu überwältigende Fülle an medizinischen, rechtlichen, sozialen Problemlagen hat leider auch etwas Deprimierendes. Klar wird dabei, wie unterschiedlich die britischen Verhältnisse im Vergleich zu den unsrigen sind, auch wenn sich mittlerweile eine ähnlich militante Anti-trans*-Bewegung auch bei uns zu organisieren begonnen hat. Doch schon ein vergleichender Blick auf die Medien zeigt gravierende Unterschiede in den Ausgangssituationen. Die britische Boulevard-Presse ist seit je berüchtigt für ihre Schamlosigkeit und ihren Hau-drauf-Journalismus mit regelrechten Treibjagden und bewussten Falschmeldungen. Von Ausfällen abgesehen, haben wir es in Deutschland mit einer insgesamt eher verantwortungsbewussteren Medienlandschaft zu tun.

Die britische Presse stelle trans*Personen, so Faye, systematisch falsch dar, verleumde sie oder degradiere sie zu Witzfiguren. Sie sieht sich dabei nicht selten in der Rolle einer selbsternannten Moralpolizei, die – so die Behauptung – lediglich das Unbehagen der Öffentlichkeit widerspiegele. In Wahrheit ist die Presse diejenige, die dieses Unbehagen erst erzeugt und formt. Die Rede ist dann im Fall von trans*Aktivismus oft von einer mächtigen Ideologie, „die Institutionen für sich einnimmt und das öffentliche Leben dominiert“. Eine unrühmliche Rolle spielen oft Prominente, so beispielsweise die Schriftstellerin Joanne K. Rowling, die Faye mit der Aussage zitiert: „Frau ist kein Kostüm. ‚Frau‘ ist keine Vorstellung im Kopf eines Mannes. ‚Frau‘ ist kein rosa Hirn, keine Vorliebe für Schuhe von Jimmy Choo oder jede der anderen sexistischen Vorstellungen, die jetzt irgendwie als fortschrittlich angepriesen werden.“ Die soziale Wirklichkeit von trans*, die eine strukturelle Benachteiligung erkennen lässt, bleibt bei all dem ausgeblendet. Armut und Wohnungslosigkeit werden nicht als trans*Themen behandelt, aber genau das seien die existentiellen Fragen eines Teils von Transmenschen. Was natürlich auch daran erinnert – und das betrifft auch die Situation bei uns: Es fehlt an verlässlichen Sozialstudien zum Thema trans* mit aktuellen und belastbaren Zahlen.

Als problematisch empfand ich, dass Zitiertes und Statistisches nicht immer nachgewiesen wird und wir Leser*innen deshalb nicht erfahren, woher Faye diese oder jene Information hat. Wenn sie beispielsweise behauptet, nur 10 % derjenigen, die sich als trans* oder nicht-binär verstehen, würden keine Geschlechtsdysphorie erleben, woher weiß sie, dass also 90 % eine dysphorische Selbstwahrnehmung besitzen? Die Dysphorie ist zugleich das Argument für medizinische Maßnahmen, welcher Art auch immer. Andererseits kritisiert Faye, dass unsere Transitionen und Operationen im Fokus der Wahrnehmung durch die Mehrheitsgesellschaft stünden. Dabei sind wir es selbst, die diesen Vorgängen Gewicht verleihen und sie ins Zentrum unseres Interesses rücken. Es gibt nichts Wichtigeres, gerade dann, wenn wir glauben, ohne Medizin könnten wir nicht trans* sein. Andererseits hatte die Medikalisierung von trans* nicht zuletzt die Wiederherstellung der Binarität zum Ziel. Der Wechsel wurde erlaubt, aber nur, um die tradierte Geschlechterordnung zu bewahren. Was natürlich auch den Hintergrund hatte, dass immer nur Krankheiten als behandlungsfähig und -würdig gesehen wurden. Tatsächlich aber war trans* nie eine Frage psychischer Erkrankung, sondern immer schon eine politische Frage, wie Faye richtig bemerkt.

Sie nimmt es mit all den politischen Feldern recht ernst, wenn sie sich etwa dem sogenannten „Pinkwashing“ widmet, wo Diversity als Geschäftsmodell eingesetzt wird. Entscheidend, so Faye, sei jedoch ein systemischer Wandel. Es gehe nicht darum, Brände in einem Gebäude zu bekämpfen, das Gebäude selbst müsse neu gebaut werden. Politisch geht es auch beim Thema Sexarbeit zu. Faye verweist hier auf Neuseeland als Vorbild. Dort wurde Sexarbeit entkriminalisiert und arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen geschaffen. Denn schließlich gehe es nicht um Moral, sondern um wirkungsvolle Arbeitsgesetze.

Weitere Themen sind in dem Buch die Polizei und die Justiz. „Um zu verstehen“, so Faye, „warum die vollständige Trans-Befreiung und die institutionelle Macht der Polizei in einem unauflöslichen Widerspruch stehen, müssen wir uns ihren historischen Antagonismus in Erinnerung rufen. Fast alle historischen Aufzeichnungen über gendervariante Menschen […] sind Kriminalakten, die mit der Bestrafung sexueller Abweichung zu tun haben.“ Erst recht konfliktreich ist die Gefängnis-Situation, vor allem durch eine trans*feindliche Meinungsmache, die Transfrauen als Risiko im Frauenvollzug darstellt, wobei dann stets ausgeblendet werde, „dass sexualisierte Gewalt in Gefängnissen allgemein weit verbreitet ist. Sexuelle Nötigung von Gefangenen kommt häufig vor […]. Dazu gehört auch sexueller Missbrauch von Gefangenen durch das Personal.“

Nicht unerwähnt bleiben die problematischen Beziehungen innerhalb der LSBTI-Communitys mit Blick auf trans* und schließlich die wechselvolle Beziehung zwischen Feminismus und trans* mit einer erschreckenden Intoleranz gegen trans* im britischen Mainstream-Diskurs: „Das Plädieren für einen transinklusiven Feminismus beruht oft auf der Frage, ob es ‚nett‘, ‚gut‘ oder ‚richtig‘ sei, trans Frauen als Schwestern willkommen zu heißen, anstatt ernsthaft zu überlegen, warum es für die Emanzipation vom Patriarchat politisch notwendig sein könnte, trans Frauen einzubeziehen.“ Der genderkritische und radikale Feminismus besitzt aber ebenso in Deutschland einen starken Rückhalt, wie uns die EMMA-Redaktion und auch andere immer wieder lautstark zu verstehen geben. Wahrscheinlich ist das einzig Verlässliche wirklich die Dummheit des Menschen und die Vernunft mehr eine Frage des Glücks. Setzen wir auf das Glück und übergeben Shon Faye das Schlusswort: „Auch für viele nicht-trans Menschen sind wir ein Symbol der Hoffnung dafür, dass es möglich ist, ein erfüllbares, freieres Leben zu führen. Manche hassen uns genau deshalb: Der schillernde Reichtum unserer Freiheit macht ihnen Angst. Unsere Existenz bereichert die Welt.“

PS: Zu korrigieren bliebe Fayes Behauptung, Magnus Hirschfeld habe die ersten geschlechtsangleichenden Operationen durchgeführt. Dem ist nicht so. Im Gegenteil, Hirschfeld stand den chirurgischen Eingriffen anfangs skeptisch gegenüber. In einem Interview von 1933 bekannte er: „Am Anfang war ich stark gegen diese Methode, die ich zum einen für sehr gefährlich und zum anderen für unnötig hielt.“ Einen Sinneswandel bewirkte jedoch die Suizidgefahr bei Personen aufgrund von Geschlechtsdysphorie. Im Fall von Lili Elbe hatte Kurt Warnekros in Dresden die Operation durchgeführt und im Fall von Dora Richter war es Heinrich Stabel zusammen mit Erwin Gohbrandt. Ausgeführt wurde diese geschlechtsangleichende Operation am Urbankrankenhaus in Berlin. Nachlesen lässt sich das in Rainer Herrns fulminanter Geschichte des Instituts für Sexualwissenschaft Der Liebe und dem Leid.

Nora Eckert ist Publizistin und Vorstand bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Shon Faye: Die Transgender-Frage. Ein Aufruf zu mehr Gerechtigkeit; Juli 2022; Aus dem Englischen von Jayrôme C. Robinet, Claudia Voit; Fester Einband; 336 Seiten; ISBN: 978-3-446-27394-8; hanserblau, 25,00 €

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