Ein Missgefallen

Affären und Dreiecksbeziehungen bergen immer gewisse Risiken. Ein Teil verliebt sich in den anderen, Eifersucht und gleichzeitiges Begehren wechseln einander ab. Bei Politikerinnen und Politikern bergen sie großes Skandalpotential, wie wir in der zweiten Staffel der grandiosen Netflix-Serie The Politician sehen durften.

Die Geschichte einer solchen Dreiecksbeziehung hat vor kurzer Zeit nun auch die Amerikanerin Lillian Fishman gleichzeitig in den USA und in Deutschland veröffentlicht. Hierzulande ist die von Eva Bonné ins Deutsche übersetzte Version im Atlantik Verlag unter dem Titel Große Gefallen verfügbar. Leider jedoch tun sich die Käuferinnen und Käufer nicht unbedingt einen Gefallen, wenn sie sich zum Erwerb dieses Buchs entschließen.

Begehren und Verlangen

Worum geht es? Die queere New Yorkerin Eve, etwa Mitte 20, ist in einer eigentlich halbwegs harmonischen Beziehung mit ihrer Freundin Romi, lädt aber in einer spontanen Aktion Nacktbilder von sich ins Internet. Eine Frau namens Olivia meldet sich und zusammen mit deren Partner Nathan lässt sich Eve auf eine Dreiecksbeziehung ein, in der sie zwar zunehmend Nathans Aufmerksamkeit erfährt, aber dennoch ein Fremdkörper bleibt. Gossip Girl lässt grüßen!

Und doch, Eves Begehren, Nathans erwidertes Verlangen und Olivias Passivität führen dazu, dass sich die Dreiecksbeziehung zunehmend entwickelt. Eve und Nathan treffen sich ohne Olivia, Eve entdeckt zunehmend die Vorzüge eines männlichen Geschlechtspartners, der noch dazu genau weiß, was er will und es sich unbarmherzig nimmt – und sich genauso unbarmherzig verhält. Dass Eve und Olivia – wie von Eve ursprünglich beabsichtigt – sich erst einmal nicht näherkommen, tritt zunehmend in den Hintergrund.

Wer will denn hier so passiv sein?

Gerade Olivias fast schon unterwürfige Passivität – sowohl in der Beziehung zu Nathan, als auch im beruflichen Abhängigkeitsverhältnis zu ihm – und Eves vorwiegend unerwidert bleibendes Interesse an ihr sollen der Geschichte wohl ein gewisses Pathos geben. Während wir Eves Perspektive auf ihr eigenes Leben, ihre Entscheidungen, ihre Vorlieben und auch ihre Fehler präsentiert bekommen, lesen wir doch nichts von konkreten Eroberungsplänen oder ähnliches.

Leider bleiben die Hauptfiguren oft etwas schemenhaft, Nathan wird zu einem kaltherzigen Belzebub stilisiert, der sich nimmt, was er will – einfach weil er es kann. Eve eiert herum, versucht „sich selbst irgendwie zu finden“, was im Grunde nicht verwerflich ist, aber auch keine wesentliche Charakterentwicklung zeigt. Und Olivia ist und bleibt einfach blass und passiv, in sich aber vielleicht noch die stimmigste Figur der gesamten Beziehung.

Mancher Druck entlädt sich nicht

Eine ordentliche Portion sexueller Ladung soll die Leserinnen und Leser offenbar auch an die Geschichte fesseln. Wie das im Zeitalter des Onlinedating funktioniert, hat beispielsweise Dennis Cooper in seinem fabulösen Buch Die Schlampen bewiesen. Bei Fishman hingegen wirkt leider vieles gestellt und bringt nicht die nötige Tiefe mit, um eine echte, fesselnde Erregung bei den Leserinnen und Lesern zu erzeugen.

Die junge, weibliche Lust wird bei ihr leider nicht als Begehren und Ekstase beschrieben, sondern es scheint eher ein Ziel zu sein, auf das Eve angestrengt und ambitioniert hinarbeitet – egal ob mit Nathan und Olivia oder mit ihrer Freundin Romi. Nathans Lust hingegen wirkt eher plump wie der männliche Trieb nach möglichst umfassender Besamung in einem maximalen Aktionsradius. Der kühle, berechnende und erfolgreiche Geschäftsmann, am Ende doch nur ein Sklave seiner Triebe: Das kann eine charmante Geschichte sein, ist es an dieser Stelle aber leider nicht.

Trennung – und dann „Sex mit der Ex“?

Mit diesem Buch nämlich war es wie in einer On-Off-Beziehung: Es lief mal gut, mal eher frustrierend. Wirkliche Erkenntnisse stellen sich bei der Lektüre nicht ein, eine gute Charakterentwicklung leider auch nicht. Am Ende aber stand der seltene Entschluss, mit dem Buch vorzeitig Schluss zu machen – was etwa auf Seite 150 geplant war. Manchmal muss mensch sich eben doch von etwas trennen, das er oder sie sich zwar vielleicht wünscht, aber doch nicht in Erfüllung gehen mag. So war es bei Lillian Fishmans Große Gefallen.

Nichts half… // © the little queer review

Allerdings – auch das soll nicht unter den Tisch gekehrt werden – gab es noch eine Runde „Lies in der Ex“, denn als ich im ärztlichen Wartezimmer saß und kein anderes Buch dabeihatte, bekamen Eve und Co. nochmal zehn Seiten mehr zugebilligt als nach der eigentlichen Trennung eigentlich geplant waren. Aber so wie Sex mit der oder dem Ex auch meist eine schlechte Idee ist, war es das hier auch. Es gibt viel und gute queere Literatur. Vieles ist Geschmackssache, manches gefällt einigen, anderen wiederum nicht. In diesem Fall hat es einfach nicht gepasst, aber das heißt nicht, dass andere es genauso sehen müssen.

HMS

Lillian Fishman: Große Gefallen; Aus dem Englischen von Eva Bonné; Mai 2022; 256 Seiten; Hardcover mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-455-01393-1; Atlantik Verlag; 22,00 €

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