Liebe machen in der steifen Upper Class

Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass die Verfilmung des quasi weltweit erfolgreichen, sehr, sehr, seeeehr queeren Buches Royal Blue (OT: Red, White & Royal Blue) von Casey McQuiston heißer erwartet wurde, als etwa hierzulande das Finale und die Reunion der Charming Boys oder womöglich gar rund um den Globus die zweite Staffel der ebenfalls sehr, sehr, seeeehr queeren Fortsetzung von Heartstopper – sowohl der NetflixSerie als auch der Graphic Novel-Reihe. Zugegeben, auch hier herrschte ein wenig Vorfreude und Spannung, obgleich auch Skepsis. Schließlich war der Autor dieser Zeilen weit weniger angetan vom Roman, als er es sich gewünscht und nach all den positiven Stimmen erwartet hätte…

Cakegate vor Cockgate

…andererseits dachte ich mir schon bei der Lektüre des – viel zu langen und eher mäßig ins Deutsche übertragenen – Buches, dass es sicherlich einen guten Film abgeben würde. Einige Auslassungen und Raffungen sowohl diverser Nebenhandlungen als auch klischeehafter Figuren vorausgesetzt. Womöglich dachten sich dies auch Ted Malawer und Matthew Lopez, die gemeinsam mit McQuiston am Drehbuch zu Royal Blue arbeiteten. Lopez, ein angesehener Dramatiker, liefert mit der Buchverfilmung auch direkt sein Regiedebüt ab – und muss sich dabei nicht verstecken. Steckt die zwei Stunden lange queere RomCom, die seit gestern via Prime Video verfügbar ist, doch voller feiner Inszenierungskniffe.

Hoppala! // © Jonathan Prime/Prime Video

Wie etwa einem nächtlichen Telefonat zwischen dem Sohn der ersten US-Präsidentin Ellen Claremont (Uma Thurman), Alex Claremont-Diaz (Taylor Zakhar Perez), und dem Spare auf den englischen Thron, HRH Prinz Henry (Nicholas Galitzine) – da sehen wir keinen Splitscreen, sondern bekommen die inzwischen gewachsene Nähe zwischen den beiden jungen Männern viel ansprechender und ästhetischer vermittelt.

Dass diese Nähe entstehen würde, war dabei nicht klar (also doch, war es, aber duh). Eigentlich mögen die zwei einander nämlich nicht, werden allerdings dazu verdonnert auf Bromance zu machen, nachdem auf der royalen Hochzeit von Thronfolger Prinz Philip und Prinzessin Martha (Thomas Flynn, Bridget Benstead) eine 75.000 Pfund-Torte über den Streithähnen Alex und Henry hereinbricht und so etwas wie einen internationalen Skandal auslöst. Sowohl auf politischer wie auch Yellow Press-Ebene.

Mit Esprit, Charme und Zielstrebigkeit

Alex‘ Mutter steckt mitten im Wahlkampf um ihre Wiederwahl – und will dieses, sich als knapp abzeichnendes, Rennen nicht gegen den republikanischen Kandidaten verlieren. Schon gar nicht als erste weibliche US-Präsidentin, was in der Verfilmung glücklicherweise nicht gefühlte eintausdenmal erwähnt wird, wie dies im Roman der Fall ist. Überdies sind die USA kurz davor, ein Handelsabkommen mit Großbritannien abzuschließen, das nun natürlich ähnlich stark ins Wanken gerät, wie zuvor ein betrunkener Präsidentinnensohn und anschließend die Torte.

Broschüren oder Pizza bestellen? // © Jonathan Prime/Prime Video

Gleich ob mensch das Buch McQuistons, das fraglos eine ansprechende Prämisse bietet, kennt oder nicht: Dass die teils maliziösen Sticheleien der privilegierten Jungs eher einer unterdrückten Anziehung sowie womöglich einem Missverständnis und nicht echter Abneigung entspringen, dürfte nicht nur erfahrenen Zuschauer*innen von (queeren) romantischen Dramedys von Beginn an klar sein.

Dennoch sind die häufig pointierten Anwürfe der beiden durchaus unterhaltsam und nicht selten gar charmant bis kurzweilig. Das liegt zum einen an den zwei so sympathischen wie attraktiven Hauptdarstellern Taylor Zakhar Perez (The Kissing Booth 2 & 3) und Nicholas Galitzine (spielte auch im wunderbaren Handsome Devil eine schwule Rolle und zuletzt einen Marine im eher schwachen Purple Hearts), zwischen denen die Chemie durchaus stimmt. Zum anderen aber auch an erwähnten Raffungen. Die Dialoge wirken spritzig, werden sie doch nicht ständig von einordnenden Erläuterungen und soeben geäußerten Gedankenausführungen unterbrochen.

Sexy Romanze mit kritischen Tönen

Auch verschwendet der Film nicht allzu viel Zeit auf die anfängliche, zögerliche Annäherung, die im Buch unnötig viel Raum einnimmt und unglaublich redundant ist. An mancher Stelle wurde zwar kritisiert, dass die Royal Blue-Verfilmung auf die (seichten) politischen Intrigen verzichte, die im Buch immer mal wieder auftauchten. Der Fokus auf die Beziehung zwischen dem bisexuellen Alex und dem schwulen („I‘m as gay as a maypole.“) Henry allerdings taugt dem Film eher, als dass es ihm schaden würde. Vor allem da diese Intrigen einem House of Cards für ganz, ganz arme Politnoviz*innen und Soap-Liebhaber*innen glichen.

Prinzessin Beatrice (Ellie Bamber) und Bruder Prinz Henry // © Jonathan Prime/Prime Video

Zumal die komplexe Gemengelage der Herkunft von Alex und Familie – die Mutter aus den Südstaaten, der Vater Einwanderer aus Mexiko, alle der Mittelschichts-Arbeiterklasse angehörend – durchaus thematisiert wird, wie auch die kritische Haltung Henrys zur Monarchie nicht unerwähnt bleibt. Auch die Privilegien der Oberen Zehntausend und ein möglicher (angeborener oder anerzogener) Abstand zum gemeinen Volk, dem Plebs quasi, ist immer wieder Thema von Royal Blue.

Heads will brexit

Dass die Schwester von Alex im Film (der bei uns auch als Rot, Weiß und Königlich Blau geführt wird) nicht existiert, ist zwar schade, aber mit der eindrucksvollen Nora (Rachel Hilson, Love, Victor) und der herrlichen Zahra (Sarah Shahi) haben zwei starke und wichtige Figuren Raum. Und wenn Zahra, nachdem sie Alex und Henry im Zimmer eines Hotels, in dem es von Reporter*innen und politischen Beobachter*innen nur so wimmelt, ertappt, Henry androht „I will brexit your head from your body“, wenn er sich nicht schleunigst und unentdeckt zurück nach England mache, ist das schon arg witzig.

Auf der legendären New Years Party von Alex: Prinz Henry, Percy Okonjo (Malcolm Atobrah), Nora (Rachel Hilson) und Alex // © Jonathan Prime/Prime Video

Und erneut: Der durchaus auch in der Vorlage von Casey McQuiston vorhandene Sprachwitz spielt sich im Film besser aus. Dies nicht zuletzt gerade deswegen, weil er nicht auf Teufel komm raus versucht, allem und allen gerecht zu werden und so korrekt zu sein, dass es schon beinahe aufdringlich ist. Ebenso passt die Mischung von Komödie, Drama und Romanze (etwa ein nächtlicher Museumstanz zu Perfume Genius) recht gut. Ein wenig Sexyness ist auch drin – ob nun ein eher beschwingter Freundschaft-mit-Extras-Zusammenschnitt während eines Poloturniers oder ein verliebt wirkendes „Love-Making“ etwas später (in den USA ist der Film, wenig überraschend, mit dem Rating R versehen, also quasi ab 18).

Lieber ein gutes, schnelles Ende, als ein offenes Ende

Untermauert wird das Ganze von queer-poppigen Songs, einem feinen, sehr RomCom-tauglichen Score von Drum & Lace (They/Them, Cobweb), ansprechenden Bildern von Stephen Goldblatt und manch kritischer Einlassung zu unserem Umgang mit Coming-out-Momenten. Somit ist Royal Blue, hierzulande ab 12 Jahren freigegeben, durchaus eine nicht-heteronormative, heiter-dramatische Romanze für diverse Generationen, die aufgrund ihrer Unverkrampftheit womöglich manch Kopf und Herz zu öffnen vermag.

Nächtliche Liebesbekenntnisse im Museum // © Jonathan Prime/Prime Video

Ein Manko mag das schnell ablaufende Ende des Films sein, allerdings orientiert er sich da vollends an der Romanvorlage, die nach vielen, vielen Seiten wohl nicht schnell genug zum Absch(l)uss kommen konnte. Andererseits: Genug Romantik gab es und im Grunde ist das Ende süß und alles, was wichtig war, wurde erzählt. In diesem Sinne: Eine feine, queere RomCom, die vieles richtig macht und, bei allem zu vermutenden Erfolg dennoch hoffentlich fortsetzungsfrei bleibt. Manche Stories, auch die schönen – die sind eben beim ersten Mal fertig.

AS

PS: […] occassionally vulgar but genuine“ sagt König James III (der unvergleichliche Stephen Fry in einer Minirolle) über die Mails, die die jungen Männer ausgetauscht haben. Trifft auch auf den Film zu.

PPS: „It‘s clearly copper.“ – Eben. Ganz offensichtlich.

PPPS: „Fruit“ von Oliver Sim sowie „Can‘t Help Falling in Love“ von Perfume Genius findet ihr auch auch in unserer QUEER SOUNDS-Spotify-Playlist.

PPPPS: Apropos House of Cards: Das Haus am Ende des Films ähnelt jenem von Francis und Claire Underwood, das immer mal wieder auftaucht.

PPPPPS: „Can‘t keep you locked away forever.“ – „We really need to get you a book on English history.“

Royal Blue ist seit dem 11. August 2023 via Amazon Prime Video verfügbar.

Royal Blue; USA 2023; Regie: Matthew Lopez; Drehbuch: Matthew Lopez, Ted Malawer, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Casey McQuiston; Bildgestaltung: Stephen Goldblatt; Musik: Drum & Lace; Darsteller*innen: Taylor Zakhar Perez, Nicholas Galitzine, Rachel Hilson, Uma Thurman, Sarah Shahi, Ellie Bamber, Clifton Collins Jr., Stephen Fry, Malcolm Atobrah, Aneesh Sheth, Thomas Flynn, Sharon D. Clarke, Akshay Khanna; Laufzeit ca. 121 Minuten; FSK: 12

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