Wenn mal nicht immer ein Herz bricht

Dass es nicht immer ganz einfach ist Teenager zu sein – etabliert, weithin anerkannt. Dass es noch um einiges komplexer sein kann, wenn Du möglicherweise eines der einzigen Out-&-Proud-Gay- oder –Queer-Kids der Schule bist, nun das ist so überraschend auch nicht – erst kürzlich gab es dazu eine interessante Dokumentation zu sehen. Sicherlich gibt es Formate wie Love, Simon oder die wirklich feine Spin-Off-Serie Love, Victor (die den Film um Längen schlägt), in denen die vermeintlichen Außenseiter*innen beinahe zu Held*innen der Schule werden.

Schüchtern ja, quälen nein

Dass das allerdings nicht gelebter Alltag ist, siehe die vorhergehenden Sätze. Oder auch einfach die Graphic Novel Heartstopper von Alice Oseman, deren erster Band in der Übersetzung von Vanessa Walder mittlerweile in zweiter Auflage im Loewe Verlag vorliegt. Der 14-jährige Charlie besucht die 10. Klasse an der Truham School for Boys und hat sich im vorhergehenden Schuljahr als schwul geoutet – was ihn zum Ziel diverser Mobbing-Attacken werden ließ. 

Illustrationen und Text: Alice Oseman © 2022, Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Etwas, das in ihm, der er ohnehin schüchtern, introvertiert und empathisch ist, tiefe Spuren hinterließ. Allerdings führte sein Coming-out auch dazu, dass er eine heimliche Knutsch-Affäre mit Benjamin, der eine Stufe über ihm ist, beginnen konnte. Diese jedoch soll so geheim wie nur möglich bleiben, jedenfalls wenn es nach Ben geht, der nicht nur seine sexuelle Orientierung noch nicht für sich ausgemacht sondern auch noch eine Freundin hat.

Hier ist für Charlie ein Punkt erreicht, an dem es reicht: Schüchtern ja, sich unnötig quälen hingegen nein. Zudem taucht plötzlich Nicholas, ebenfalls eine Stufe über ihm, einigermaßen selbstbewusst und Held des Rugby-Teams, in seinem engeren Orbit auf… was zu allerlei Herzflattern, Gefühlsverirrungen und manchem Missverständnis führt. Denn Nicholas ist doch DIE Oberhete, dessen ist sich auch Charlies bester Freund Tao absolut sicher. Und damit nicht nur unerreichbar sondern zumindest in der Theorie doch Vorsteher aller Schul-Bullys. Ooooooder?

Ist der Mega-Hype gerechtfertigt?

Das ist die große Frage, deren Antwort zumindest in Teilen vielen schon bewusst sein dürfte. Entweder weil sie mittlerweile alles Mögliche zu und über Heartstopper hörten; denn seit Netflix sich entschloss daraus eine Serie zu machen und spätestens seit der erste zauberhafte Trailer herauskam, das Ding im Grunde nahezu weltweit (Fuck You, Katar, Ungarn und Co.) und auch hierzulande durch die Decke ging (in Großbritannien veröffentlichte Oseman erste Geschichten online bereits 2016, der erste gedruckte Band wurde 2018 publiziert). Oder auch weil ein gewisser Verlauf der Geschichte vorgezeichnet scheint.

Illustrationen und Text: Alice Oseman © 2022, Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Daraus aber ergibt sich eine andere große Frage: Ist dieser Mega-Hype gerechtfertigt? Isch sach ma ja. Denn Alice Oseman, Jahrgang 1994, schafft in Heartstopper etwas, das nicht vielen Autor*innen gelingt, die ähnliche Geschichten erzählen und dabei Komplexität (vorgeben) wollen. Oseman kreiert jedoch eine Welt die sowohl rein als auch ehrlich ist. Die Geschichte ist so warmherzig, wie sie zuweilen auch robust und durchaus weder gewaltfrei noch frei von Übergriffigkeit ist. Dies, ohne dass sich die Punkte gegenseitig auffressen würden oder ein Konflikt zugunsten einer allzu einfachen Lösung niedergestreckt würde.

Verschiedene Formen sexueller und geschlechtlicher Identität

Die Geschichte ist liebevoll aber nicht naiv. Ergreifend aber im noch gut erträglichen Maße kitschig, vor allem, da sie ihren Charakteren treu bleibt. Insbesondere natürlich den Hauptcharakteren Charlie und Nick (die, wie wir in einer Anmerkung erfahren, wohl schon in Osemans Debütroman Solitaire, der im Januar 2023 auch in Deutschland erscheint, als Nebenfiguren auftauchten), aber auch den im ersten Band noch recht überschaubaren Nebenfiguren (die Zahl wächst wohl noch). Ebenso ist zu begrüßen, dass in Heartstopper verschiedener Formen sexueller und geschlechtlicher Identität auftauchen (werden), wie beispielsweise die gern vernachlässigte Bisexualität.

Illustrationen und Text: Alice Oseman © 2022, Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Hinzu kommen die sehr manifesten Zeichnungen, die zwar aufs Nötigste im Umfeld reduziert, dennoch die Welt der beiden sich einander annähernden Jungs Charlie und Nick perfekt zu vermitteln wissen. Allein dass manche Seiten gänzlich ohne Dialog und nur über die Mimik und Gestik der Figuren funktionieren, beweist hier das Talent gezeichnet Geschichte zu erzählen. Abgerundet wird das ganze durch Erläuterungen zu den Schuluniformen, einem Mixtape und kurzen Lebensläufen zu den Figuren.

Etwas, das wir uns wünschten

Nicht zuletzt ist es vor allem eine Geschichte, und ich bin nicht der erste, der dies schreibt und ein Teil meines Umfelds sagt es ebenso immer und immer wieder, die sich natürlich viele von „uns“ in ihrer Schulzeit gewünscht hätten. Jene, die ihre erste bewusste Erfahrung mit der eigenen nicht heteronormativen Sexualität noch Ende der 90er- oder in den Nullerjahren machten, wissen, wie leicht es war, an den Rand zu geraten. Denn wo wurde das denn gezeigt? Klar, wir hatten Jack bei Dawson’s Creek und Will & Grace; und je nachdem, wo wir aufwuchsen, einmal im Jahr einen Bericht über die CSD-Parade, während dem wir dann gegebenenfalls sehen konnten, wie die eigenen Eltern den Mund verzogen. Na vielen Dank. 

Illustrationen und Text: Alice Oseman © 2022, Loewe Verlag GmbH, Bindlach

Das ist es auch, was Heartstopper generationenübergreifend so gut funktionieren lässt. Jugendliche von heute, können sich hier wiedererkennen, bestenfalls Mut und eine gewisse Anerkennung finden. Junge Erwachsene mögen sich einfach ihrer Jugend erinnern, manches Mal auch sehen, dass alles hätte anders sein können. Und jene, die schon ein ganzes Stück über die Wahrscheinlichkeit, es noch in den U27-Club (Hey, Amy Winehouse, miss ya) zu schaffen, hinaus sind, ja, die mögen eben jenes oben Genannte empfinden.

Wir sind keine Menschen-Nische

Durchaus sind mir Leute bekannt, die lange schlicht keine queeren Filme schauten, weil das Phänomen, es müsse tragisch enden, allzu lange bestand (Ausnahmen wie der wunderbare Film Trick aus dem Jahr 1999 bestätigen die Regel). Heute hat sich das glücklicherweise geändert. Sicherlich gibt es sie noch, die tragischen Storys, genau wie die Geschichten, die von HIV handeln (und das ist sehr nötig und sehr gut so); aber nicht jede queere Story muss den Zuschauer*innen heute unweigerlich das Herz zertrümmern und das Hirn zermartern. 

Das ist wunderbar und es ist schön und vor allem ist es richtig. Wir als Personen im LGBTIQ*-Spektrum sind keine Nische, die fortwährend zum Leid und Abgeschlachtetwerden verurteilt gehört. Hätten wir nie sein dürfen. So ist es wunderbar nun Geschichten wie Heartstopper zu haben und diese schlicht genießen und sich des Lebens erfreuen zu dürfen. 

AS

PS: Übrigens umso beeindruckender, dass Alice Oseman so eine Geschichte und Welt kreiert, bezeichnet sie sich selbst doch als aromantische asexuelle Person. 

Illustrationen und Text: Alice Oseman © 2022, Loewe Verlag GmbH, Bindlach

PPS: Dem Autoren ist bewusst, dass es auch The L Word und Queer as Folk gab, jedoch ebenso, dass beide erst ab 2006 simpel in Deutschland zu empfangen waren. Und nicht wenige von uns haben’s dann ohnehin nur heimlich schauen können.

Alice Oseman: Heartstopper – Volume One; Aus dem Englischen von Vanessa Walder; Januar 2022; 288 Seiten; durchgehend illustriert; Hardcover mit Spotlack; Format: 15.3 x 21.5 cm; ISBN: 978-3-7432-0936-7; 15,00 €

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