Wer denkt, dass die Geschichte vom alten, weißen Mann auserzählt sei, der irrt gewaltig. Der heutige Kieler Tatort trägt genau diesen Akteur im Titel und erzählt pünktlich zum morgigen Internationalen Frauentag eine weitere Facette des weißen Mannes, nämlich von Frauenhass, von Incels. Incel steht für „involuntary celibate“, also für unfreiwillig keusche Männer. Quasi diejenigen, die nicht zum Schuss kommen und sich in ihrem Frust gegenüber Frauen radikalisieren.
Tod am Club
Kommissar Borowski (Axel Milberg) ermittelt gemeinsam mit seiner Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) in Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer in einem Mordfall an einer jungen Frau, die in der Nähe des Kieler Clubs Paradise aufgefunden wird. Relativ schnell landen die Kommissarin und der Kommissar beim schüchternen Mario Lohse (Joseph Bundschuh), der das Mädchen im Club ansprach, aber erst einmal kein offensichtliches Motiv zu haben scheint.
Nach und nach führen die Ermittlungen aber zunehmend ins Incel-Milieu, in dem auch der Pick-Up-Artist Hank Massmann (Arnd Klawitter) aktiv ist und agitiert. Zum auch im Fall bevorstehenden Weltfrauentag scheint sich eine größere Aktion anzudeuten, was auch der sich selbst hinzuziehende Staatsschutz vermutet. Eine wesentliche Rolle dabei soll auch die Kieler Politikerin Birte Reimers (Jördis Triebel) spielen, allerdings ohne sich der Gefahr wirklich bewusst zu sein, in der sie schwebt.
Incels: Unsichtbar und doch gefährlich
Der Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer fällt ganz eindeutig in die Kategorie „Thema vor Fall“. Der Mord an der jungen Frau wird als Aufhänger genommen, um allgemein die Problematik von Frauenhass im Internet, Radikalisierung und der Incel-Bewegung zu thematisieren. Borowski und Sahin arbeiten sich nach und nach selbst erst in die Thematik ein und das hilft den Zuschauerinnen und Zuschauern dabei, die Problematik gut zu durchdringen und selbst Schritt für Schritt ein Gespür für die Gefahr zu gewinnen.
Frauenhass durch Incels ist ein Thema, das tatsächlich bislang wenig Beachtung findet, aber beispielsweise auch bei den Attentätern von Hanau, Christchurch oder Oslo durchaus einer der häufig öffentlich nicht genannten oder als wichtig befundenen Motive Beachtung findet. Insoweit erfüllt diese Folge aus Kiel eindeutig ihren Bildungsauftrag, indem sie Aufmerksamkeit für das Thema schafft. Gerade in Zeiten, in denen auch über die gesonderte Erfassung von frauenfeindlichen Straftaten diskutiert wird, liefert das sehr weibliche Produktionsteam um Regisseurin Nicole Weegmann und die Produzenten Kerstin Ramcke und Johannes Pollmann einen wichtigen Impuls für die Debatte.
Der Rechtsstaat beruht nicht auf Intuition
Die tatsächlichen Ermittlungen um den ursprünglichen Fall treten dabei allerdings eher in den Hintergrund. Borowski ist gefühlt griesgrämig wie eh und je und die Ermittlungen halten sich auch nicht immer an das rechtlich vorgesehene Drehbuch, bzw. Protokoll. Einfach vor der Tür eines Verdächtigen zu stehen und ohne Verdacht oder Durchsuchungsbeschluss hineinzukommen und in den Dingen des Besuchten herumzuwühlen geht in einem Rechtsstaat eigentlich nicht. Und überhaupt scheinen die Ermittlungen der beiden Hauptcharaktere eher auf (teils weiblicher) Intuition und Zufall zu beruhen und nicht so sehr einer durchdachten Strategie zu folgen.
Alles in allem handelt es sich daher hier um einen eher durchschnittlichen Tatort. Das Thema ist sehr wichtig und der Zeitpunkt zum Internationalen Frauentag ist sehr gut gewählt, um hierauf aufmerksam zu machen. Und auch das durchaus von Spannung geprägte Ende ist eines, mit dem man als Zuschauerin oder Zuschauer leben kann. Aber der Fall selbst überzeugt nur bedingt, was auch an der nicht allzu ausgeprägten kohärenten Ermittlungsstrategie liegt.
Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer wird am 13. August 2023 um 20:15 Uhr im Rahmen der Tatort-Sommerpause als Wiederholung im Ersten gezeigt.
Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer; Deutschland, 2021; Regie: Nicole Weegman; Drehbuch: Peter Probst, Bearbeitung Daniel Nocke; Kamera: Willy Dettmeyer; Darsteller*innen: Axel Milberg, Almila Bagriacik, Thomas Kügel, Anja Antonowicz, Jördis Triebel, Joseph Bundschuh, Vidina Popov; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der Nordfilm Kiel GmbH, gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für Das Erste.
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