Das Ende aller Kriege?

Als die radikalislamistische Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 Israel angriff, jährte sich der Jom-Kippur-Krieg beinahe auf den Tag genau zum 50. Mal. (Ägypten und Syrien griffen am 6. Oktober 1973 an und brachen somit den fünften arabisch-israelischen Krieg vom Zaun.) Im Gegensatz zu heute war der Jom-Kippur-Krieg allerdings nach zehn Tagen beendet. Damals wie heute jedoch lässt sich der politischen und militärischen Führung der einzigen Demokratie im Nahen Osten der gleiche Vorwurf machen: Nicht gewusst zu haben, was sich dort zusammenbraut. Oder schlimmer noch: Aus Hybris Hinweise geflissentlich ignoriert und Vorkehrungen versäumt zu haben.

Ignoranz und Überschätzung

Die damalige israelische Premierministerin Golda Meir nahm vor der zur Klärung von Fehleinschätzungen und -verhalten eingesetzten Agranat-Kommission die Schuld für die Geschehnisse im War Room auf sich. Hier setzt Guy Nattivs Film Golda – Israels Eiserne Lady, der seine Premiere auf der diesjährigen Berlinale feierte, ein. Eine rauchende Golda Meir, fantastisch interpretiert von Helen Mirren, sitzt 1974 vor der Kommission und erinnert sich der Geschehnisse.

Benny Peled (Ed Stoppard), David „Dado“ Elazar (Lior Ashkenazi) und Golda Meir (Helen Mirren) // © Aidem Media Ltd, Foto Sean Gleeson

Anfang Oktober 1973 erhält der israelische Geheimdienst Mossad Mitteilung, dass ein möglicher Angriff Ägyptens und Syriens bevorstehen könnte. Meir wird in Kenntnis gesetzt, misstraut der Meldung jedoch und auch ihr Verteidigungsminister Moshe Dayan (Rami Heuberger) ist skeptisch. Für zu wackelig hält man Ägypten und deren Präsidenten Anwar as-Sadat; außerdem glaubt man, über eine nahezu unschlagbare Armee zu verfügen…

Eine Biografie von Mensch und Krieg

Das ist dann wohl die erste große Fehleinschätzung, ohne welche der kriegerische Konflikt sicherlich hätte früher befriedet werden können – und diverse der 2 812 getöteten israelischen Soldaten hätten verschont werden können. Dass es mitnichten nur die Verantwortung Meirs war, die in diesen Krieg führte, ist heute, nach Veröffentlichung diverser Protokolle und Untersuchungsergebnisse, klar. So wurden der in Kiew geborenen und in Milwaukee aufgewachsenen Halbamerikanerin wesentliche Informationen vorenthalten.

Golda Meir (Helen Mirren) und Moshe Dayan (Rami Heuberger) // © Aidem Media Ltd, Foto Sean Gleeson

Dies nicht zuletzt vom Generalstabschef David Elazar (Lior Ashkenazi), der, sich seiner Sache zu sicher, nach dem Ende des Jom-Kippur-Krieges immerhin zum Rücktritt gedrängt wurde. Wem also vertrauen, wenn der engste Beraterstab eigene Ziele verfolgt und darüber die eigenen Schwächen ignoriert? Dafür, dass wir Golda Meir immer wieder in Teambesprechungen, mit ihrem Männerkabinett über Karten gebeugt und nicht selten mit Kopfhörern die Einsätze verfolgend sehen, ist es doch erstaunlich einsam um sie, in dieser Kriegsbiographie.

Jewfacing?

Im Vorfeld des 2021 und somit lange vor dem aktuellen Krieg gedrehten Films gab es eine kleine Kontroverse, da Mirren keine Jüdin ist (auch wenn sie eine zeitlang in einem Kibbuz lebte) und zudem unter anderem eine Nasen-Prothese angefertigt bekommen sollte. Das sei Jewfacing, erzürnten sich so manche. Da spielte es auch kaum eine Rolle, dass mit Guy Nattiv, im Jahr des Jom-Kippur-Krieges geboren, ein jüdischer Israeli (wenn auch derzeit in den USA lebend) die Regie übernahm oder Goldas Enkel, Gideon Meir, darauf bestand, dass es ausschließlich Helen Mirren sein sollte, die seine Großmutter spielt.

Golda (Helen Mirren) vor der Agranat-Kommission // © Aidem Media Ltd, Foto Sean Gleeson

Die Debatte legte sich, Maskenbildnerin Karen Hartley Thomas (Royal Blue) wurde für den Oscar nominiert und Nattivs Film gewann den Cinema for Peace Award als Most Valuable Film of the Year 2024. So viel dazu. In der Tat ist Golda, der den Zusatz „Israels Eiserne Lady“ in der deutschen Fassung gar nicht gebraucht hätte (der Thatcher-Vergleich ist ja bekannt, wenn er wohl auch primär da herrühren dürfte, dass beide Frauen waren), ein so spannender wie aufwühlender Film über die zeitweilig meistgehasste Frau Israels, der durchaus als intensiv bezeichnet werden darf. Dafür, dass wir etwa keine Kriegsszenen zu sehen bekommen, gehören jene Momente in denen Meir und Stab dem Einsatz folgen, zu den fesselndsten und beunruhigendsten.

Den Prinzipien treu

Helen Mirren schafft es auf die ihr unnachahmliche Art und Weise, die wachsende Unsicherheit der Premierministerin zu zeigen und diese mit ihrer charmant unbeugsamen, weil ihren Prinzipien treuen, Haltung zu kombinieren. Dass Meir sich inmitten dieses Krieges noch einer Krebsbehandlung unterzieht, von der so gut wie niemand außer ihrer Assistentin und engsten Freundin Lou Kaddar (Camille Cottin, Killing Eve, Call My Agent!, A Haunting in Venice), die ihrerseits bei einem Anschlag arabischer Terroristen auf der Gebäude der Jewish Agency 1948 (dem Jahr des ersten arabisch-israelischen Krieges, dazu lest ihr in Kürze eine Buchbesprechung bei uns) schwer verletzt wurde, weiß, spricht Bände.

Das Drehbuch von Nicholas Martin sitzt und bei aller Bitterkeit und zeitweiligen Aussichtslosigkeit der verfahrenen Lage erleben wir eine schlagfertige Golda Meir, die einem seinerseits etwas heimatlos wirkenden US-Außenminister Henry Kissinger (zurückhaltend: Liev Schreiber) bei Borschtsch einen Deal abnötigt, der ihn selber zu überrumpeln scheint. Wie das im Krieg – bei dem es natürlich auch um Öl geht – eben so ist.

Verteidigung um (fast) jeden Preis

Einziger Wermutstropfen an diesem ansonsten recht großen, kleinen Film (das Budget betrug nur 6 Millionen US-Dollar), ist, dass mensch sich mehr Breite wünscht. So auch Regisseur Nattiv, der durchaus gern Kriegsszenen, die Entwicklung vor dem 6. Oktober 1973 sowie auch die ägyptische Seite gezeigt hätte. Ursprünglich sei der Film angelegt gewesen wie Im Westen nichts Neues… und dann kam Corona und das einmal mit 80 Millionen veranschlagte Budget wurde zusammengestrichen…

Guy Nattiv

…in diesem Sinne war es wohl erst recht ein Segen, dass Helen Mirren dem Film und Autoren Nicholas Martin die Treue hielt (Nattiv kam erst später an Bord und hätte sich gar eine Mini-Serie à la Chernobyl gewünscht), ohne deren Beteiligung wäre Golda sicherlich eingestampft worden. Im Grunde ist es seltsam, dass ihre Person und Geschichte noch so gut wie gar nicht in Film und Fernsehen verewigt wurde, wenn wir einmal von einem TV-Zweiteiler aus dem Jahr 1982 mit Ingrid Bergman als Meir oder einer kleinen Rolle in Steven Spielbergs München absehen.

Insofern könnten wir uns kaum einen passenderen Film wünschen, den Jasper Wolf in stark bewegte aber nie hektische Bilder packt und der dank Dascha Dauenhauer auch musikalisch passend begleitet wird, als diesen, um näher an die Person Golda Meir herangeführt zu werden. Wie auch an Israel und den unbedingten Willen sich und die eigene Existenz zu verteidigen. Unbedingt sehenswert.

AS

PS: Grüße gehen raus zum Weltnichtrauchertag.

PPS: „Verlieren unsere Feinde die Angst vor uns, greifen sie immer wieder an.“

Golda – Israels Eiserne Lady ist seit dem 30. Mai 2024 in unseren Kinos zu sehen.

Golda – Israels Eiserne Lady; Großbritannien, 2023; Regie: Guy Nattiv; Drehbuch: Nicholas Martin; Bildgestaltung: Jasper Wolf; Musik: Dascha Dauenhauer; Darsteller*innen: Helen Mirren, Rami Heuberger, Lior Ashkenazi, Camille Cottin, Liev Schreiber, Ellie Piercy, Dominic Mafham, Ed Stoppard, Henry Goodman, Rotem Keinan, Dvir Benedek; Laufzeit ca. 100 Minuten; FSK: 12; im Verleih von Weltkino

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