Kein Kleinkrieg

„Krieg kennt keine Gewinner“ – so hört man häufig. Vermutlich ist das nicht korrekt, denn irgendjemand gewinnt eben doch immer. Und wenn es „nur“ Waffenhersteller sind oder diejenigen, die sich (nachvollziehbarerweise) Aufträge für Investitionen und Wiederaufbau sichern. Und doch: Die Zahl der Verlierer ist in Kriegen stets hoch. Umso glücklicher können wir uns in Westeuropa schätzen, seit nunmehr mehr als siebzig Jahren in einer Phase relativen Friedens leben zu dürfen.

Krieg ist nicht unvermeidlich

Dennoch: Krieg ist nicht unvermeidlich und wir müssen gerade mal nach Belarus, Bosnien-Herzegowina oder in die Ukraine blicken, um in nicht allzu großer Entfernung auf bewaffnete Konflikte zu stoßen oder solche, die drohen, sich dorthin zu entwickeln.

Die Beschäftigung mit Krieg mag müßig sein, grausam, erschreckend. Und dennoch ist sie notwendig, denn ohne den Krieg zu verstehen, ist es fast unmöglich, ihn zu verhindern. Die kanadisch-britische Historikerin Margaret MacMillan hat diese Motivation zum Anlass genommen, ihre jahrzehntelangen Arbeiten und Recherchen in einem umfassenden Werk zum bewaffneten Konflikt zusammenzutragen. Ergebnis ist das Buch Krieg – Wie Konflikte die Menschheit prägten, das 2021 in der deutschen Übersetzung von Klaus-Dieter Schmidt im Propyläen Verlag erschien.

Krieg von Anfang bis zum Ende

In neun Kapiteln zuzüglich Einleitung und Schlussbetrachtung widmet sich MacMillan verschiedenen Perspektiven auf den Krieg und kann trotz aller Detailtiefe doch nur Grundlagen aufarbeiten – zu groß ist die Flut an Büchern, Aufsätzen und sonstigen Beiträgen zum Krieg. Von philosophischen und anthropologischen Grundlagen über die Gründe für Krieg sowie Mittel und Wege der Kriegsführung kommt sie zum Begriff des „Modernen Kriegs“. Dieser fokussiert sich stark auf die Entwicklungen und Verläufe der beiden Weltkriege, der unseren modernen Vorstellungen des Kriegs nicht nur aus zeitlicher Nähe am nächsten kommt.

Sie widmet sich anschließend der Frage, wie Krieger gemacht werden, wie Kampf und Kriegsführung aussehen und auch, welche Rolle Zivilisten in der Kriegsführung spielen. Einen Blick ins Kriegsrecht, das humanitäre Völkerrecht, wirft sie direkt im Anschluss und zeigt auf, wie moderne Gesellschaften versuchten, den Krieg zu regeln und weniger inhuman zu gestalten. Die Betrachtungen und künstlerischen Darstellungen von Krieg und Gewalt sowie verschiedene Formen der Erinnerung runden die Arbeit MacMillans im letzten Kapitel mit einer etwas ungewöhnlichen und dennoch aufschlussreichen Perspektive ab.

Wieso Krieg?

Um noch einmal die Eingangsfrage aufzugreifen: Wieso sollte man sich mit Krieg auseinandersetzen? Sollte man das überhaupt? Wird er nicht allein dadurch verherrlicht oder relativiert (wie es aus politisch „linken“ oder „aktivistischen“ Kreisen gleich reflexartig zu hören sein dürfte)? Margaret MacMillan setzt sich gleich zu Beginn auch mit diesen Fragen auseinander und das ist äußerst wichtig für die weitere Einordnung. Denn ja, nur ein tieferes Verständnis für den Krieg, sein Wesen, seine Geschichte und die Bedeutung für Mensch und Menschheit kann dazu beitragen, ihn zu verhindern.

Menschen lernen aus Fehlern – zumindest manchmal. Aber wenn sie Fehler nicht erkennen und aufarbeiten, dann werden sie wieder und wieder begangen. Ein Beispiel ist die Appeasement-Politik vor dem Zweiten Weltkrieg: Damals wurde sie für richtig gehalten und in der Tat hat sie einen gewaltvollen Einmarsch der Nationalsozialisten in die Tschechoslowakei verhindert, was per se schon einmal gut ist. Gleichzeitig hat sie ein vollkommen falsches Signal an die Nazis gesendet, nämlich dass sie sich schon nehmen könnten, was sie nur gut verhandeln. Angesichts der Drohkulisse, die sich an der russisch-ukrainischen Grenze aufbaut ist das beispielsweise eine wichtige Erkenntnis.

Gekonnte Einordnung…

Historikerinnen und Historiker ordnen ein – und dem verschreibt sich auch Margaret MacMillan. Sie zeigt die Zusammenhänge auf, die sich aus einzelnen Ereignissen ergeben. Und allein dafür ist Krieg bereits ein überaus lesenswertes Buch. Gekonnt schafft sie es, historische Beispiele aneinanderzureihen und dabei Parallelen aufzuzeigen, ohne gleichzeitig enorme gedankliche Sprünge zu machen. Auf einer Seite können somit gleichzeitig der Peloponnesische Krieg, Napoleon und Albert Einstein stehen, ohne dass hier große inhaltliche und gedankliche Brüche erkennbar wären. Das lenkt allerdings auch nicht davon ab, dass Zwischenüberschriften und Unterkapitel wohl zur besseren Lesbarkeit mancher Teile beitragen hätten können.

MacMillan wagt dabei einen Streifzug durch mehrere Tausend Jahre Weltgeschichte. Von den antiken Ägyptern, Griechen und Römern über Armin Laschets Vorfahren, Karl den Großen, über besagten Napoleon Bonaparte bis zum Ersten und Zweiten Weltkrieg und Vietnam ist alles dabei. Der Fokus liegt zwar nicht zuletzt auf den beiden großen Konflikten des 20. Jahrhunderts, aber, auch das erläutert MacMillan, diese haben,wie erwähnt, eben unser modernes Verständnis des Krieges deutlich beeinflusst.

…und wichtige Perspektiven

Oftmals kann MacMillan zwar nur an der Oberfläche kratzen und ein gewisses Vorwissen der Weltgeschichte sollte vorhanden sein. Der Westfälische Frieden und der Wiener Kongress sollten den Leserinnen und Lesern beispielsweise bekannt sein – und wenn nicht, dann sollte die Bereitschaft vorhanden sein, sich über diese in Online-Suchmaschinen etwas kundig zu machen. Vielfach aber eröffnet sie wichtige, etwas randständige Perspektiven, die bislang bei vielen weniger Aufmerksamkeit erfahren haben dürften.

Es geht bei MacMillan beispielsweise auch um Kriegsberichtserstattung. Wie verläuft sie? Wer betreibt sie? Wie wird der Krieg, sein täglicher Verlauf, dargestellt? Wie wird er auch in der Kunst dargestellt? Eine spannende Sichtweise ergibt sich aus ihren Ausführungen. Wohl noch wichtiger und positiv herauszuheben ist, dass MacMillan sich verhältnismäßig viel Platz und Zeit dafür nimmt, die verschiedenen Rollen und Perspektiven von Frauen aufzuarbeiten: Frauen als Kriegerinnen, Frauen als Zivilistinnen, Frauen als Opfer von Strafe und Massenvergewaltigung, Frauen als Kriegsarbeiterinnen. Es ist schön, dass sie hier immer wieder und recht ausführlich auch die weibliche Perspektive auf ein doch in der Geschichtsschreibung männlich dominiertes „Phänomen“ einnimmt.

In Summe ist also zu sagen, dass Margaret MacMillan mit ihrem Buch Krieg – Wie Konflikte die Menschheit prägten ein inhaltlich zwar komplexes Buch zu einem schwierigen Thema geschrieben hat, das Gewalt nicht verherrlicht, aber als das anerkennt, was sie ist: ein Übel, das existiert, nicht verschwinden wird und das wir nicht ignorieren sollten. Ihr Buch kann bei vielen Dingen nur an der Oberfläche kratzen, denn zu groß ist die Literatur aus Geschichts- und Politikwissenschaft. Und dennoch gibt sie einen guten und leicht erschließbaren Überblick für alle, die sich mit dem Krieg auseinandersetzen möchten oder müssen. Und das sollten wir in großer Zahl tun, denn, wie heißt es auch so „schön“ (wenn auch, wie eingangs erörtert, nicht immer korrekt): „Krieg ist unvermeidlich!“

HMS

Margaret MacMillan: Krieg – Wie Konflikte die Menschheit prägten; Aus dem Amerikanischen von Klaus-Dieter Schmidt; August 2021; Gebunden mit Schutzumschlag; 384 Seiten, mit Bildteil; ISBN: 978-3-549-10042-4; Propyläen Verlag; 30,00 €; auch als eBook erhältlich

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