Beitragsbild: Eines der schönsten Liebespaare der Literaturgeschichte: Franz Kafka (gespielt von Sabin Tambrea) und Dora Diamant (gespielt von Henriette Confurius) // ©Majestic/Mathias Bothor
Falls es irgendwer noch nicht mitbekommen haben sollte – etwa weil er*sie als Käfer eingeht, in einem verwinkelten Schloss dahinsiecht, aus irgendwelchen Gründen vor Gericht steht oder sich in langen Therapiesitzungen mit dem eigenen Vater auseinandersetzen muss – 2024 ist Kafka-Jahr. Und zwar Franz Kafka und nicht Frank Kafka, wie es Claudia Roth und ihr BKM kürzlich vermuten ließen. Krasser noch: Am heutigen 3. Juni jährt sich der Todestag des weltweit meistgelesenen deutschsprachigen jüdischen Autoren zum 100. Mal.
Eine letzte Liebe
Bereits im März startete in unseren Kinos die auf dem Roman von Michael Kumpfmüller basierende diamantene Liebes- und Abschiedsgeschichte Die Herrlichkeit des Lebens des Inszenierungsduos Georg Maas (auch Drehbuch mit Michael Gutmann) und Judith Kaufmann (auch Bildgestaltung). In dem wunderbar berührenden, niemals jedoch kitschigen Film, geht es um das letzte Lebensjahr Kafkas und seine ihn kurz vor seinem Tuberkulose-Tod mit nur 40 Jahren verändernde Liebe zur 25-jährigen Dora Diamant.

Zum 100. Todestag hat der Majestic Filmverleih die biografische Literaturverfilmung erneut ins Kino gebracht und dies mit einer Aktion verbunden. So gibt es beispielsweise zwei Kinokarten zum Preis von einer oder vergleichbare Ermäßigungen. Das passt gar sehr gut, musste doch auch Kafka zeitlebens finanziell pragmatisch denken, in den letzten Monaten mit Dora, die sie gemeinsam auch in Berlin verbrachten, erst recht.
Und es war Sommer
Es ist der Sommer 1923, als die aus Polen aus einer jüdisch-orthodoxen Familie stammende Dora Diamant (fantastisch verkörpert von Henriette Confurius) am Ostseestrand auf einen Mann in Anzug, Krawatte und mit Hut trifft. Ein nicht ganz typisches Sommerstrand-Outfit. Was allerdings war an Franz Kafka, der hier mit einem unfassbar stark und doch zurückgenommen aufspielenden Sabin Tambrea perfekt besetzt ist, schon typisch? Eben.

Die beiden nähern sich an, verlieben sich, Franz entschließt sich nach einem längeren Aufenthalt in Prag bei der Familie und trotz eher weniger guter körperlicher Verfassung „seiner“ Dora, die in einem jüdischen Kinderhaus als Erzieherin tätig ist, nach Berlin zu folgen. Hier leben sie ihre Liebe aus, vor allem aber leidet Kafka mehr und mehr unter dem harten, kalten Winter in der Stadt. Und doch schreibt er in dieser Zeit einige seiner berühmtesten, posthum von seinem besten Freund Max Brod (solide: Manuel Rubey) und gegen Kafkas ausdrücklichen Wunsch veröffentlichten, Texte. Luft zum Atmen findet er beziehungsweise finden die beiden Liebenden nicht zuletzt auch im Mittelmeerhaus im Botanischen Garten nahe ihrer Wohnung in Steglitz.
Nähe statt Distanz
Es soll gar nicht allzu viel über den Handlungsverlauf erzählt werden. Zum einen dürfte nicht wenigen (interessierten) Menschen die Geschichte einigermaßen bekannt sein. Und falls nicht – umso besser. Denn Die Herrlichkeit des Lebens, übrigens der bisher erfolgreichste deutsche Arthouse-Film des Jahres, funktioniert auf erzählerischer und emotionaler Ebene vor allem in jenen Momenten, die wir noch nicht in unzähligen Beiträgen zu Kafka durchexerziert haben. Die Chemie zwischen Confurius und Tambrea ist merklich, was auch daran liegen mag, dass die beiden bei Narziss und Goldmund bereits miteinander gearbeitet haben und sich freundschaftlich verbunden sind. Ebenso erlauben Maas, Kaufmann und Gutmann sich manch einen inhaltlichen und inszenatorischen Kniff, der zwar nicht als kafkaesk, doch aber als mutig beschrieben werden darf.
„Ein wichtiger Aspekt der filmischen Umsetzung ist für uns, diese feine Balance von Glück und Bedrohung sichtbar zu machen. Der Film bleibt stets nah an den Figuren und zeigt ihre tiefe Verbindung ohne historisierende Distanz oder schmückendes Beiwerk.“

Diesem Anspruch werden die Macher*innen gerecht und verzichten dankenswerterweise auf irgendwelchen 20er-Jahre-Schnick-Schnack, der „dank“ einer überschätzten Serie wie Babylon Berlin nun irgendwie zum guten Ton gehört – und entsprechend ausgelutscht ist. Da sind Filme wie Die Herrlichkeit des Lebens oder die Serie Eldorado KaDeWe, die 20er-Jahre-Style mit heutigen Elementen verknüpft, ein Lichtblick.
Lichtblicke auf Augenhöhe
Ein Lichtblick ist für Kafka nicht nur Dora, sondern auch die Seite, die Buch und Film von Kafka zeigen. Nämlich jene, die ihn zwar nachdenklich und durchaus mit sich ringend, und doch humorvoll, neugierig und offen zeigt (etwas, das auch die famose Mini-Serie Kafka von Daniel Kehlmann und David Schalko in Teilen umzusetzen vermag). „[D]urch die Augen von Dora Diamant habe ich den liebevollen, zärtlichen, humorvollen Menschen kennengelernt der Kafka war“, so die ideal besetzte Henriette Confurius im Presseheft, in welchem sie auch betont, wie gut und wichtig es war, Dora und Franz auf Augenhöhe zu erzählen. Ein Punkt, der nur unterstrichen werden kann.

So ist Die Herrlichkeit des Lebens auch kein klassisches Biopic, das einfach mal die letzten Monate eines sterbenden Künstlers erzählt. Der Film ist eine wilde Mischung aus kleiner Werkschau, biografischen Schlaglichtern aus dem Leben zweier Personen, RomCom (ja!), Drama und gar der Erzählung von Wirtschaftskrise und Inflation. Mit der Berliner Vermieterin Frau Kasulke (herrlich: Michaela Caspar) gibt es gar die skurrile und sehr reale Nebenfigur, über die Kafka übrigens eine wunderbare Kurzgeschichte schrieb.
Nicht täuschen lassen
So erzählt auch Sabin Tambrea, dass er sich in Vorbereitung auf die Rolle unter anderem intensiv mit Kafkas Texten und solchen über ihn befasst habe, was auch ihm einen erweiterten Blick auf den Schriftsteller eröffnet habe. So ließen „Fotos und Tagebuchnotizen ein vielschichtigeres und helleres Bild von Kafka erahnen, als gemeinhin etabliert ist.“ Ebenso vermittelte ihm die Produktionsfirma den Kontakt zur „Kalligrafin Vera Rubenbauer, welche seit Jahren historische Handschriften für Filme reproduziert, bei der ich Unterrichtsstunden nehmen durfte.“ Etwas, das sich in jenen Szenen, in denen wir Tambrea als Kafka schreiben sehen, bezahlt macht.
Wie sich überhaupt die liebevolle Akribie und aufrichtige Hingabe aller Beteiligten bezahlt macht. Anders als der schwache Trailer vermuten lässt, ist Die Herrlichkeit des Lebens keine vor Kitsch triefende Liebesschnulze, die sich einen berühmten Namen nimmt und ihn verhunzt. Nein. Die deutsch-österreichische Koproduktion Die Herrlichkeit des Lebens ist eine wunderbar berührende, hervorragend inszenierte, musikalisch von Paul Eisenach und Jonas Hofer fein untermalte, grandios gespielte Romanverfilmung, die überraschend leichtfüßig und doch nie belanglos oder betulich daherkommt. In der Tat einer des besten Filme des Jahres.
AS
PS: „Ich fürchte ich bin nicht für die Ehe geschaffen.“ – „Das ist gut zu wissen. Erzählen Sie mehr über sich.“

PPS: Der Roman von Michael Kumpfmüller ist als gebundene Ausgabe 2011 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und als Taschenbuch 2013 im S. Fischer Verlag. Beide Titel sind noch erhältlich, hier und hier kommt ihr zur jeweiligen Verlagsseite.
PPPS: Im Film, sowie sicherlich auch der Romanvorlage, finden sich einige Zitate Kafkas, die es auch im mahlers Kafka für Boshafte geschafft haben – eine Kurzbesprechung dazu lest ihr in den kommenden Tagen. Ebenso werden wir uns unter anderem einer auf diversen Roman(auszüg)en und Schriften Franz Kafkas basierender Graphic Novel von Danijel Žeželj sowie dem im Verlag Klaus Wagenbach erschienenen Band Kafkas Familie – Ein Fotoalbum widmen.

Die Herrlichkeit des Lebens ist seit dem 14. März 2024 in unseren Kinos zu sehen und seit dem 31. Mai 2024 im großen Rahmen als Sonderaktion wiederaufgeführt.
Die Herrlichkeit des Lebens; Deutschland, Österreich, 2024; Regie: Georg Maas, Judith Kaufmann; Drehbuch: Georg Maas, Michael Gutmann, basierend auf der gleichnamigen Romanvorlage von Michael Kumpfmüller; Bildgestaltung: Judith Kaufmann; Musik: Paul Eisenach, Jonas Hofer; Darsteller*innen: Henriette Confurius, Sabin Tambrea, Manuel Rubey, Daniela Golpashin, Alma Hasun, Luise Aschenbrenner, Leo Altaras, Michaela Caspar, Klaus Huhle, Mia Klein Salazar u. a.; Laufzeit ca. 99 Minuten; FSK: 6; Eine Produktion von Tempest Film Produktion und Lotus Film, gefördert mit Mitteln von Medienboard Berlin-Brandenburg, Film- und Medienstiftung NRW, MV Filmförderung, FFA und DFFF, sowie von ORF (Film/Fernsehabkommen), Österreichisches Filminstitut, ÖFI+ und Filmfonds Wien; im Verleih von Majestic
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