Gigatonnen für tonnenweise Schutt und Asche

Beitragsbild: Britische Bomber im Tiefflug über Deutschland // © IMPERIAL WAR MUSEUM, PROGRESS Filmverleih

Seit Ende Januar ist nun entschieden, dass Deutschland – nach langem Zögern und Drängen – Kampfpanzer an die Ukraine zur Abwehr von Putins Armee liefert. Lange, lange hat’s gedauert, bis sich die Bundesregierung hierzu entschließen konnte und im Anschluss wurde klar, dass Deutschland für viele nur der Buhmann war, hinter dem sich andere europäische Staaten bequem verstecken konnten.

Nun sind Jets dran

Wie dem auch sei, kaum hatte Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt, den Leopard 2 zu liefern, kam auch schon die nächste Forderung aus Kiew: Kampfjets. Auch hier ziert sich die Bundesregierung seither (wie auch prinzipiell alle anderen NATO-Staaten), während die Ukraine zunehmend und nachvollziehbarerweise drängt. Wo diese Diskussion hinführt und wie lange sie anhält, wird sich erst noch herausstellen. Erst vergangene Nacht jedenfalls hat Moskau die seit langem schwerwiegendsten Angriffe auf die Ukraine geflogen und die Situation dort noch einmal verschärft.

Eine Frau schützt sich vor der Hitze im brennenden Hamburg // © PROGRESS Filmverleih

Was wir jedoch bereits heute wissen, ist, dass der Luftkrieg im Zweiten Weltkrieg erstaunliches Leid über viele Teile Europas und Nazideutschlands gebracht hat. (Wenn die Ukraine dies im eigenen Land verhindern will, ist das umso mehr ein Grund, sie in ihrem Ansinnen zu unterstützen.) Wie dies in den 1940er-Jahren aussah, hat der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa in seinem Dokumentarfilm Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung überaus eindrucksvoll festgehalten.

„Cologne, Rosteck, Lubeck“

Ausgehend von einer heilen Welt in Zwischenkriegsdeutschland kommen wir schnell zum dramatischen Höhepunkt des Films: Deutschland unter Bomben. Während erst noch gesungen, getanzt und Vieh gehütet wurde, werfen britische und amerikanische Bomber nur wenige Momente später zahllose Bomben auf deutsche Städte nieder. Wir sehen Aufnahmen aus Flugzeugen, fallende Sprengkörper, die sich ihren Weg auf die Beton- und Steinwüsten unter ihnen bahnen.

Britische Bomber über Deutschland werden von Flugabwehr beschossen // © IMPERIAL WAR MUSEUM, PROGRESS Filmverleih

Wir sehen Explosionen, die von oben wie ein kurzes Aufflackern aussehen, unten jedoch jede Menge Lichter ausknipsen und Gigatonnen die tonnenweise Schutt und Asche produzieren. Das Leid, das dort unten entsteht, können wir zu Beginn nur erahnen, werden wir aber später noch zu Gesicht bekommen. Deutsche Städte wie „Lübeck, Rostock, Cologne“ werden bombardiert, die zivile Bevölkerung wird unmittelbares Kriegsopfer (haben wir da was Passendes?). Die Parallelen zur Ukraine dieser Tage – selbst wenn sie nicht unter dauerhaftem Bombardement von Flugzeugen steht (das erledigt traurigerweise die Artillerie) – sind frappierend.

Grausamkeit gegen noch größere Grausamkeit

Dazwischen schneiden Drehbuchautor und Regisseur Loznitsa und sein Monteur Danielius Kokanauskis immer wieder Eindrücke aus Reden von Generälen und Politikern, die die Notwendigkeit und die Grausamkeit dieser Maßnahmen gleichermaßen erläutern. Ja, der Krieg ist grausam, ja diese Maßnahmen sind es auch. Aber Nazideutschlands erbarmungsloser Vernichtungskrieg ist noch viel grausamer.

Die Grausamkeit wird durch die Musik zusätzlich unterstrichen. Komponist Christian Verbeek und Sound Designer Vladimir Golovnitski unterstreichen mit dramatischen und atonalen Stücken das Grauen und die Verbrechen, die hier verübt werden, um noch härtere Verbrechen zu beenden. Gerade im Dunkel eines Kinosaals kommt dies schaurig-eindringlich zur Geltung.

„Da denkt man, man hat schon alles gesehen“

Sergei Loznitsa bedient sich bei seinen Bildern ausschließlich an Archivmaterial. Ob es eingeschnittene Szenen von Flugplätzen sind, die Arbeiten in den Munitionsfabriken, die Luftaufnahmen der explodierenden Bomben oder die Bodenaufnahmen von zerstörten Städten, wir bekommen einen bewegenden Eindruck von dem Leid, das der Luftkrieg anrichtete.

Verwundete Frauen gehen nach einem Bombenangriff durch Frankfurt am Main // © BUNDESARCHIV, PROGRESS Filmverleih

„Da denkt man, man hat schon alles gesehen – und dann so etwas“, sagte jemand im Anschluss an die Vorführung im Kinosaal. Und in der Tat, wie Loznitsa und sein Team hier die Bilder so gekonnt arrangierten, fesselte uns bis zum bitteren Ende an die Sessel – regelmäßiges Schaudern inklusive. (Allerdings sagte auch jemand, dass es immer das Gleiche gewesen sei… Dem guten Mann sei eine Reise in die Ukraine empfohlen.)

Eindrückliche Geschichte des Krieges

In Luftkrieg – Die Naturgeschichte der Zerstörung wird somit eine auf schreckliche Weise eindrückliche Geschichte des Krieges erzählt. Der technologische Fortschritt, so Loznitsa im Presseheft zum Film, diente hier dazu, „eine Zivilbevölkerung zu terrorisieren und ihr Lebensumfeld zu zerstören.“ Stimmt, aber genauso war es die nazideutsche Bevölkerung, die moderne Technologien einsetzte, um Juden und „minderwertige Menschen“ gnadenlos und hart kalkuliert zu vernichten.

Auch wenn letzteres hier nicht gezeigt wird, wir wissen alle davon. Genau wie es damals viele wussten. Die Fragen, die wir uns nach diesem Film aber stellen, sind Fragen nach einer gesellschaftlichen Verantwortung (nicht einer Kollektivschuld), danach, welche Mittel und Sanktionen im Krieg legitim und ethisch vertretbar sind. Und wie ein grausames Morden mit drastischen Mitteln beendet werden kann.

Nicht siegen, aber brechen

Auch wenn bereits einige militärhistorische und -strategische Studien bewiesen haben, dass ein Krieg durch Angriffe aus der Luft quasi nicht beendet oder gewonnen werden kann. Und dennoch kann er entscheidend dazu beitragen, den Gegner zu schwächen und die Moral in Armee und Zivilbevölkerung so weit zu brechen, dass eine Fortführung des Krieges nicht mehr attraktiv ist.

Brennende Häuser nach der Bombardierung von London // © BRITISH PATHE, PROGRESS Filmverleih

Das ist mit brutaler Gewalt verbunden, mit der Zerstörung von Leben, Existenzen und Gebäuden. Mit Explosionen und Feuer, mit Grauen und Terror. Aber leider ist das die Natur des Krieges, die wir nach 1990 geglaubt haben, überwunden zu haben. Wie sehr wir geirrt haben, lernen wir heute auf grausige Weise jeden Tag erneut in der Ukraine und bereits seit 2014 auf der Krim und im Donbass. Und Sergei Loznitsa zeigt uns auf schaurig-eindrückliche Weise, wie der Luftkrieg gegen Deutschland aussah.

HMS

Luftkrieg — Die Naturgeschichte der Zerstörung ist ab Donnerstag, 16. März 2023, in unseren Kinos zu sehen. Eine Premiere findet in Anwesenheit von Regisseur Sergei Loznitsa sowie Produzent Gunnar Dedio und dem Produktionsteamam am Mittwoch, 15. März 2023 um 20:15 Uhr im Kino Filmkunst 66 in der Bleibtreustraße 12, 10623 Berlin, statt.

Luftkrieg — Die Naturgeschichte der Zerstörung; Litauen 2022; Buch und Regie: Sergei Loznitsa; inspiriert von Winfried Georg Sebalds Buch „Luftkrieg und Literatur“; Komposition: Christiaan Verbeek; Sound Design: Vladimir Golovnitski; Montage: Danielius Kokanauskis; Laufzeit ca. 109 Minuten; Originalton mit deutschen Untertiteln; FSK: 12; Eine Produktion von LOOKSfilm (Deutschland), Studio Uljana Kim (Litauen), ATOMS & VOID (Niederlande), Rundfunk Berlin-Brandenburg und Mitteldeutscher Rundfunk – gefördert durch Eurimages, Mitteldeutsche Medienförderung, Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Medienboard Berlin-Brandenburg, The Lithuanian Film Center, The Netherlands Film Fund und Creative Europe MEDIA; im Verleih von Progress Filmverleih im Kino ab dem 16. März 2023

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