Die komplexe Materie der Verteidigungspolitik anhand aktueller Debatten

Hans-Peter Bartels ist seit 2015 Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages und somit einer der obersten Lobbyisten der Parlamentsarmee bei unseren Volksvertretern. Als solcher hat er eine profunde Kenntnis der Außen- und Sicherheitspolitik und fasst diese in seinem aktuellen Diskussionsbeitrag Deutschland und das Europa der Verteidigung – Globale Mitverantwortung erfordert das Ende militärischer Kleinstaaterei zusammen. Dieses soll im Folgenden besprochen werden.

„Inseln funktionierender Kooperationen“

Zuerst zur Struktur des Buches mit dem durchaus etwas sperrigen Titel: Bartels gliedert es in sechs Kapitel zuzüglich Vorwort und Dankeszeilen. Kapitel 1 stellt die aktuell wahrgenommene Bedrohungslage dar, Kapitel 2 die sicherheitspolitische Geografie Europas. Im dritten Abschnitt zeigt der frühere SPD-Politiker auf, wie die Debatte zur militärischen Strategie in Deutschland geführt wird, was an manchen Stellen allerdings arg trocken wirkt.

In den Kapiteln 4 und 5 stellt Bartels zuerst dar, welche „Inseln funktionierender Kooperation“ es bereits heute zwischen europäischen Staaten gibt und welchen Restriktionen und Hemmnissen eine noch breitere Zusammenarbeit ausgesetzt ist. Den Abschluss macht er nicht mit einem eigentlich zu erwartenden Plädoyer für eine engmaschigere Zusammenarbeit der westlichen und demokratischen Staaten im Sicherheits- und Verteidigungsbereich. Er bindet den Text hingegen damit ab, die aktuellen sicherheitspolitischen Fragestellungen national wie auch international noch einmal aufzuwerfen. Welchen Bedrohungen sehen Deutschland, Europa und westliche Demokratien sich ausgesetzt? Wieso ist es wichtig sich hiergegen zu verteidigen? Dies sind die letzten – und beileibe nicht unbedeutenden – Punkte, die Bartels mit seinem Buch macht.

Faktenreichtum und sicherheitspolitische Debatten

Deutschland und das Europa der Verteidigung ist eine sehr lehrreiche und ausführliche Zusammenstellung einer Reihe von Zahlen und Fakten aus der europäischen Verteidigungspolitik. Das ist angesichts der sich aus dem Untertitel ergebenden Zielsetzung des Buches sehr nachvollziehbar und führt zu einer sehr präzisen und wertvollen Ansammlung von Fakten. Gleichzeitig liegt hierin auch eine Schwäche des Buches: An manchen Stellen finden sich absatz- und fast seitenweise Fakten aneinandergereiht, wie beispielsweise auf Seite 38 und 39, die fast ausschließlich aus den aneinandergereihten Namen und Einwohnerzahlen europäischer Staaten bestehen. Die (Online-)Enzyklopädie des Vertrauens tut in diesem Fall einen ähnlich guten Job.

NATO-Flagge

Verteidigungspolitik ist eine komplexe Materie – nicht umsonst gilt der Sessel des Verteidigungsministers (bis 2013 hatten den Job ja nur Männer inne) als Schleudersitz. Von daher verwundert es nicht, dass viele Abschnitte von Deutschland und das Europa der Verteidigung sehr technisch und teils auch trocken wirken. Deutlich wird dies beispielsweise in der ersten Hälfte von Kapitel 4, wo es um kleinteilige Probleme auf der Gorch Fock geht oder um detaillierte Strukturen und Prozesse in der NATO. Umgekehrt wird das Kapitel in seiner zweiten Hälfte sehr griffig, da es schöne Anschauungsbeispiele zusammenfasst, wie europäische Kooperation im Sicherheitsbereich bereits heute funktioniert und wie diese als Nukleus für eine weiter integrierte Zusammenarbeit in diesen Themen wirken können.

Wenn man sich in der sicherheitspolitischen Debatte und den Themen der Verteidigungspolitik ein wenig auskennt, dann ist das Buch eine sehr gute Zusammenstellung der aktuellen Debatten und Strukturen. Vermutlich ist es dem Zeitgeist geschuldet, dass gleich den Beginn die Bedrohungen, die sich mittelbar oder unmittelbar aus dem Klimawandel ergeben, machen. Für die Leser ist das aber auch einfacher zu verstehen als die komplexeren, unmittelbar darauf folgenden, Themen Cybersicherheit und Afghanistan. Hierzu und zu vielen weiteren Problematiken (Russland, China, etc.) stellt das Buch eine sehr wertvolle Sammlung an Informationen dar, die dem Leser die Komplexität und die Dimensionen der Außen- und Sicherheitspolitik gut darstellen können.

Komplex und kompakt

Deutschland und das Europa der Verteidigung ist zusammenfassend betrachtet eine wertvolle Sammlung von Zahlen und Fakten, von Entwicklungen und Hindernissen für eine europäische Zusammenarbeit im außen- und sicherheitspolitischen Bereich. Gleichzeitig ist es dennoch ein komplexes, wenn auch kompaktes Werk, was unter anderem der nicht sehr einfachen Materie geschuldet ist. Auch wenn es rein durch den Titel und an vielen Stellen mittelbar sichtbar wird, es lässt einen flammenden Appell an die deutschen und europäischen Politiker zu einer weiteren Integration in der Verteidigungspolitik vermissen. Von einem erfahrenen SPD-Politiker wie Bartels wäre dieser eigentlich zu erwarten und auch zu wünschen gewesen. Dennoch wird der aktuelle Stand der Debatte sehr gut in dem Buch wiedergegeben und es liefert wichtige Impulse für weitere Diskussionen. 

Vermutlich werden diese allerdings lediglich in der entsprechenden Community geführt und darüber hinaus kaum wahrgenommen werden. Das ist sehr schade, denn mehr Kenntnis über die sicherheitspolitischen Strukturen und Regime, in die die Bundesrepublik Deutschland eingebunden ist, würde vielen Bürgerinnen und Bürgern sehr gut tun.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Hans-Peter Bartels: Deutschland und das Europa der Verteidigung – Globale Mitverantwortung erfordert das Ende militärischer Kleinstaaterei; November 2019; 136 Seiten; Broschur; ISBN: 978-3-8012-0562-1; Dietz Verlag; 14,90 €

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Beitragsbild: Buchcover auf einer Grafik des politischen Europas (Grafik/Foto: Thomas Griger) / Kompostion: the little queer review

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