Das Ding ist da! Ach nee, wirklich?

Das Ding heißt ein wenig umständlich, aber korrekt „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“, kurz SBGG, und benennt zugleich, was es eigentlich soll: Wir sagen, welches Geschlecht wir haben – und wir, das sind trans*, inter* und nicht binär lebende Menschen.

Von Nora Eckert

Als jemand, die in den 1970er Jahren noch rechtlose Zeiten erlebt hat, die 1982 dann das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) für eine Namensänderung in Anspruch nahm und der damals die Änderung des Geschlechtseintrags verweigert wurde, weil ich nicht fortpflanzungsunfähig war, wie es das TSG vorschrieb, und weil ich das Recht auf körperliche Unversehrtheit höher bewertete, als jemand, die darum bis auf den heutigen Tag rechtlich als männlich gilt, obwohl ich seit 1976 als Frau lebe und meine Umwelt in mir so gut wie nie etwas anderes wahrgenommen hat, als dieser Jemand erkläre ich: 47 Jahre lang habe ich auf ein Gesetz wie das SBGG gewartet, dessen Entwurf nun endlich vorliegt. Ich habe 47 Jahre gewartet und immer nur davon träumen können, dass unser Staat auch mir die Menschenrechte zuerkennt, die in den ersten Artikeln unseres Grundgesetzes festgeschrieben sind. Ja, ich habe 47 Jahre gewartet, den größten Teil meines Lebens, um nun endlich die Chance zu erhalten, in diesem Land gleichberechtigt, gleichbehandelt und selbstbestimmt wie alle anderen Menschen zu leben, und in einem Staat, der mein Persönlichkeitsrecht achtet und mich nicht länger für krank befindet. Ich empfinde darüber Genugtuung, so pathetisch dies hier alles klingen mag. Diese Genugtuung trägt den schönen Namen: Selbstbestimmung.

Dies vorauszuschicken ist mir vor allem aus einem Grund wichtig. In der Diskussion um den Entwurf könnte möglicherweise aus dem Blick geraten, worum es in dem Gesetz eigentlich geht: Vornamen und den Geschlechtseintrag zu ändern und beides auf die denkbar einfachste Weise, nämlich durch einen Gang zum Standesamt und durch Selbstauskunft. Für trans*Menschen (und ich meine hier stets inter* und nicht binäre Menschen mit, für die das Gesetz gleichermaßen gelten wird) sind beide Änderungen von elementarer und existentieller Bedeutung und noch nie hat ein Gesetz uns dies durch ein praktisch diskriminierungsfreies Verfahren ermöglicht.

Ich würde mir wünschen, dass diese Tatsache vor allem in der Community nicht aus dem Blick gerät. Weder eine Alles-oder-Nichts-Haltung von Maximalforderungen noch allzu rigide und eng gezogene sogenannte rote Linien dürften unserer Sache dienlich sein. Das ist kein Votum gegen Kritik oder fürs Abnicken. Doch eines sollte klar sein, dieses Gesetz ist eine historische Chance und eine zweite wird es in absehbarer Zeit nicht geben.

Die Gegner*innen des Gesetzes, jene vereinigten Reaktionäre, wie ich sie nenne, die es leider in allen politischen Farben gibt und die wir seit einem Jahr nur zu gut durch ihre schrillen Angriffe kennen, werden nichts unversucht lassen, das Gesetzesvorhaben zu torpedieren. Wir sollten ihnen auf keinen Fall auch noch zuarbeiten und deshalb unsere Kritik, wo immer sie berechtigt sein mag, sachlich halten, denn Sachlichkeit ist etwas, was unsere Gegner*innen am wenigsten vertragen und ihre Hass-Attacken am wirkungsvollsten entlarven.

Nun stehen in dem Gesetzentwurf noch eine Reihe anderer Dinge, mehr oder weniger notwendige Regelungen und Präzisierungen, vor allem auch wo sie bereits bestehende Gesetze tangieren, aber die jeweiligen Notwendigkeiten mögen sicherlich unterschiedlich beurteilt und bewertet werden, und ich bin sicher, dass wir in den zu erwartenden Stellungnahmen der Verbände darüber einiges lesen werden. Anderes hingegen, wie etwa die Regelungen zum Offenbarungsverbot könnten möglicherweise zu lasch sein, um gegen alle relevanten Diskriminierungen vorgehen zu können. Ich werde mich hier jedoch auf einen Punkt beschränken: Das ist die Regelung für Jugendliche. Ich komme darauf zurück.

Zwei grundsätzliche Beobachtungen möchte ich vorausschicken: Der Gesetzgeber, im konkreten Fall ist es das Bundesfamilienministerium und das Bundesjustizministerium als die Verantwortlichen für das SBGG, hat sich offenbar Mühe gegeben, alle Eventualitäten im Voraus zu bedenken – so beispielsweise, dass selbst noch der Verteidigungsfall berücksichtigt wird und wie in einer solchen Situation mit Personenstandsänderungen umgegangen werden soll (gut, in Kriegszeiten mag man auf solche Gedanken kommen). 

Die andere Beobachtung betrifft den Umfang der Gesetzesbegründungen, die an die lektürereichen Urteilsbegründungen des Bundesverfassungsgerichtes erinnern. Mir signalisieren sie auch, wie erfolgreich die Gegner*innen des SBGG offenbar waren, das Gesetz als „Missbrauchsermöglichungsgesetz“ zu diffamieren. Immerhin versuchen die Begründungen Punkt für Punkt die stets haltlosen Einwände zu entkräften. Noch deutlicher wird das in den Ausführungen des Hintergrundpapiers, wo häufig gestellte Fragen beantwortet werden. Ob da allerdings von Fall zu Fall die Angst vor der eigenen Courage den Antrieb gab, sei dahingestellt. Unerfreulich ist jedoch die Tatsache, dass es die vereinigten Reaktionäre zumindest mit einem Absatz ins Gesetz geschafft haben. Ich meine § 6, Absatz 2: „Betreffend den Zugang zu Einrichtungen und Räumen sowie die Teilnahme an Veranstaltungen bleiben das Hausrecht des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers und das Recht juristischer Personen, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln, unberührt.“ Wozu dieser Passus, wenn das bereits andernorts rechtlich geregelt ist?

Andere Punkte wiederum konnten vorerst nur provisorisch geregelt werden, nämlich die Frage der trans*Elternschaft. Das hat seinen Grund in der noch ausstehenden Reform des Abstammungsrechts. Dort wird dann hoffentlich eine der trans*Realität angemessene Lösung gefunden werden. Auch die Frage von geschlechtsspezifischen Familiennamen ist zurzeit noch ohne Regelung, da sich die dafür erforderliche Namensrechtsreform gerade im Anhörungsprozess befindet, aber irgendwann verfügbar sein wird. Wir sehen daran auch, wie komplex das Thema in den Paragraphendschungel hineinwirkt.

Ich bin keine Juristin, aber wenn ich mir die 15 Paragraphen des SBGG betrachte, sehe ich darin im Großen und Ganzen vor allem eine Konzentration auf das Wesentliche. Auch wenn beispielsweise das zum Running Gag mutierte Sauna-Thema nicht ganz spurlos am Gesetz vorbeiging, so ist das SBGG gleichwohl kein „Saunaschutzgesetz“ geworden. Denn das Hausrecht wird bereits in einem Gesetz im Sinne der Antidiskriminierung beantwortet, nämlich durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Konfliktfälle werden nicht ausbleiben und Anwälte und Gerichte wahrscheinlich mit Arbeit versorgen. Wie ich hörte, sollen in den USA schon Cis-Frauen vor der Sauna abgewiesen worden sein, weil sie in ihrem Äußeren nicht cis-normativer Weiblichkeit entsprachen. Also, zeigt her Eure Genitalien!

Doch nun zu dem Thema, das mich umtreibt: Die Stellung der Jugendlichen und Kinder, also der Minderjährigen im Gesetz, wie sie der § 3 in den ersten beiden Absätzen beinhaltet. Ab dem 14. Lebensjahr werden die Erklärungen zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen von der betreffenden Person selbst abgegeben, jedoch bedarf es der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters – in der Regel also der Eltern. Stimmen die nicht zu, werden sie durch das Familiengericht ersetzt. Bei unter 14jährigen Personen sind diese Erklärungen nur durch den gesetzlichen Vertreter möglich.

Die Gruppe der 14- bis 18-jährigen Menschen werden also für nicht reif genug gehalten zu wissen, welches Geschlecht sie haben, genauer gesagt, welche Geschlechtsidentität sie besitzen, um selbständig darüber zu befinden. Das geht, wie ich meine, völlig an der trans*Realität vorbei. Trans* ist eine pränatale Prägung, wir werden so geboren. Das hat 1978 sogar das Bundesverfassungsgericht akzeptiert. Ich selbst hätte mit 14 und schon früher sagen können, dass mein männlicher Körper eine weibliche Identität besitzt, wenn man mir die Chance gegeben hätte, dafür einen Begriff zu haben. Und den hatte ich nicht, nur das Bewusstsein, irgendwie anders zu sein. Junge Menschen haben heute diese Möglichkeit und trotzdem legt man ihnen Steine in den Weg.

Die Altersgrenze von 14 Jahren ist einerseits willkürlich, andererseits eine gesetzlich bereits bestehende Grenze sowohl für eine beschränkte Geschäftsfähigkeit wie für die Strafmündigkeit. Mit Vierzehn kann man beispielsweise aus der Kirche austreten oder in eine solche eintreten, und zwar ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter. Ich selbst war 14, als ich damals aus der Kirche austrat. Wenn der Gesetzgeber Jugendliche für nicht reif genug hält, für sich selbst über das Geschlecht zu entscheiden, dann sollen Jugendliche aber reif genug sein, den Weg zum Familiengericht zu nehmen, wenn zu Hause sich die Eltern stur stellen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, welch belastende Situationen für einen jungen Menschen daraus entstehen können und als ob das trans*Sein nicht schon genug Herausforderung enthält in einer nicht immer trans*freundlichen Umgebung.

Die Rede ist in diesem Zusammenhang vom Vorrang des Kindeswohls. Den kann ich bei einer solchen Regelung nicht erkennen, und ich kann ihn erst recht nicht erkennen, wenn ich mir vergegenwärtige, wie im Zusammenhang mit jungen inter*Personen argumentiert wird. In ihrem Fall billigt man ihnen ein gefestigtes Bewusstsein der geschlechtlichen Identität beispielsweise schon in einem Alter von 10 Jahren zu, um selbständig (und ohne Beteiligung der Sorgeberechtigten) über sogenannte normangleichende Maßnahmen zu entscheiden. Warum werden Minderjährige so unterschiedlich behandelt? Warum ist ein inter*Kind einwilligungsfähig in möglicherweise irreversible chirurgische Eingriffe, während aber ein gleichaltriges trans*Kind nicht entscheidungsfähig über seinen Namen und sein Geschlecht sein soll? Für mich jedenfalls sieht das nach einer eklatanten Ungleichbehandlung aus – von der darin enthaltenen Doppelmoral mal ganz abgesehen. Ich lasse mich in dieser Sache gerne eines Besseren belehren, aber so widersprüchlich nehme ich die rechtliche Wirklichkeit wahr.

Dennoch, dieses SBGG ist notwendig und überfällig und vielleicht sieht es ja nach der Verbändeanhörung und einer Überarbeitung in der Kabinettsfassung wirklich gut und perfekt aus. Es muss endlich her!

PS: Auch wenn ich Vorständin beim Bundesverband Trans* und bei TransInterQueer bin, so bin ich in meinen Kommentaren „hutlos“, was nichts anderes heißt, als dass ich meine persönlichen Ansichten äußere und dass ich mich dabei auf die Meinungsfreiheit berufe. Die Äußerungen sind also weder „amtlich“ noch „halb-amtlich“, sondern meine ganz persönlichen.

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverbandes Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

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Comments

  1. Das mit dem Verteidigungsfall wäre eigentlich geregelt wenn die alle ungeachtet des geschlecht gleich behandelt würden. Das würde auch dem GG entsprechen. Dann braucht es den Artikel auch nicht.

    Die 3 Monate Wartezeit auch komplett überflüßig, wie die Praxis in anderen ländern gezeigt hat.

    Das offenbarungsverbot ist viel zu lasch, und wenn einmal Offenbart gibt es keinen Schutz vor Deadnaming und Misgendern, echt traurig das Ganze.

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