Beitragsbild: Schock auf der Vernissage (v. li. n. re.): Mimi (Sunnyi Melles), Jackie (Mark Ivanir), Symcha (Mike Burstyn), Lilka (Eleanor Reissa), Saba (Saffron Marni Coomber) und Samuel (Aaron Altaras) stehen vor einem Familienportrait der Zweiflers // © ARD Degeto/HR/Turbokultur/Phillip Kaminiak
[Update vom 26. September 2024 zum Deutschen Fernsehpreis und einer zweiten Staffel am Textende.]
Zugegeben: Für gewöhnlich bin ich recht skeptisch, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen Film oder eine Serie aus eigener Produktion ankündigt, in dem oder der jüdisches Leben eine wesentliche Rolle spielt. Nicht selten ist das entweder Opfer-Kitsch, Relativierung jüdischer Belange oder eine krude Vermengung von Judentum und Israel. Liebgewonnene Klischees diverser Autor*innen und Redakteur*innen inklusive.
Anders sah das bei Die Zweiflers, die auf dem International Series Festival von Cannes als Beste Serie und für die Beste Musik von Marko Nyberg und Petja Virikko ausgezeichnet wurde, aus. Die Mini-Serie von David Hadda, der in Frankfurt am Main in eine jüdische Familie geboren wurde und dessen Großeltern als polnische Juden den Holocaust überlebt haben, und seiner Produktionsfirma Turbokultur (u. a. Deadlines, Bosetti Late Night und der 2022 mit dem Grimme Preis prämierte Talk Freitagnacht Jews mit Daniel Donskoy) ist in der Tat eine Ausnahmeerscheinung. Eine, von der mensch sich wünscht, dass sie zumindest in Form der offenen und ehrlichen Darstellungen des Lebens, der Traumata, des Familiengefüges und dem Streben nach Individualität bei aller Zusammengehöhrigkeit bald die Regel würde.
Große Mischpoke
Dass ein Großteil der zahlreichen und dennoch überschaubaren Figuren von jüdischen Schauspieler*innen beziehungsweise Darsteller*innen jüdischer Abstammung gespielt werden, tut sein Übriges zur Authentizität der im Frankfurter Rotlicht- beziehungsweise Bahnhofsviertel angesiedelten Serie. (Übrigens dürfte mensch Frankfurt selten so pulsierend und interessant in Szene gesetzt gesehen haben wie hier; schon gar nicht im eher behäbigen Frankfurter Tatort.) Genau wie das Sprachgewirr aus Deutsch, Englisch, Jiddisch und (seltener) Russisch.
Ausgangspunkt der Zweiflers ist die zeitweilige Rückkehr von Musikmanager Samuel Zweifler (wie immer ein Fest: Aaron Altaras) von Berlin nach Frankfurt. Hier steht ein ernstes Gespräch mit Großvater Symcha Zweifler (Schauspielfeuerwerk: Mike Burstyn) an. Dieser plant das von ihm gegründete und über Jahrzehnte geführte Feinkost-Imperium zu verkaufen…
…dies zur Überraschung seiner Ehefrau Lilka (eindrücklich: Eleanor Reissa) sowie Tochter Mimi (wie immer großartig: Sunnyi Melles als zuckerwürfel-kauende, wahrhaftige Mamme), die vierzig Jahre lang im Laden stand, und zum Ärger der aktuell in Israel lebenden Enkelin Dana (stark: Deleila Piasko), die das Unternehmen gern gemeinsam mit Samuel übernehmen möchte. Etwas außen vor ist der jüngste Bruder Leon (Leo Altaras), was diesem allerdings eher gleich zu sein scheint, baut er sich doch gerade eine Karriere als bildender Künstler auf.
„Succession“ in Frankfurt auf Jiddisch?
Nicht wirklich Teil der Kalkulation ist Mimis Ehemann, Sexualtherapeut Jackie Horovitz (Mark Ivanir, zurückhaltend mit beeindruckenden Momenten vor allem in den letzten zwei Folgen) sowie der zufällig zum Zeitpunkt des anstehenden Verkaufs aus der Vergangenheit auftauchende Juden-Siggi (Martin Wuttke, wie er eben als Martin Wuttke spielt), der die Pläne unter anderem durch Erpressung mit längst begraben Geglaubtem durcheinanderbringt.
Das mag auf den ersten Blick ein wenig so klingen, als hätten David Hadda und Co-Autor*innen Sarah Hadda und Juri Sternburg hier eine deutsche Succession-meets-The-Sopranos-Version geschaffen (letzteres nannte Hadda auch als eine Art Orientierung für seine Zweiflers). Das ist auf der einen Seite irgendwie richtig, auf der anderen wiederum zu kurz gegriffen. Dies nicht nur, weil Die Zweiflers weit weniger zynisch als Succession und weniger desillussionierend als The Sopranos sind (wobei es gar eine Reminiszenz an Der Pate I gibt). Zum anderen weil Hadda und Co. gemeinsam mit den beiden Regisseurinnen Anja Marquardt und Clara Zoe My-Linh von Arnim eine ganz eigene, besondere Familiengeschichte erzählen (siehe Absatz zwei).
„Dieses Land ist voller Arschlöcher“
Dabei verknüpfen sie in ihrer als Dramedy angekündigten Serie durchaus einiges an Humor mit sich konstant steigernder Spannung – die insbesondere funktioniert, weil sich die Serie anfangs gut Zeit nimmt den Charakteren… nun eben Charakter zu verleihen und nicht einfach nur auf zackiges Storytelling setzt. Der Humor zielt stark darauf, mit gängigen Klischees und häufig reproduzierten Stereotypen über „die Juden“ und „das (deutsche) Judentum“ zu arbeiten und sie vom Kopf auf die Füße zu stellen.
An Dramatik und deutlichen Worten mangelt es der Serie ebensowenig wie an teils sehr schmerzlichen Momenten, in denen mal mehr, mal weniger subtil – immer aber realistisch – aufgezeigt wird, wie sehr sich Vorurteile über Juden oder eher jüdisches Leben und Antisemitismus durch den Alltag ziehen. Sei es eine Taxifahrt, die der Autor dieser Zeilen so ähnlich in der Tat auch in Berlin erlebt hat, das Thema Beschneidung oder die Begegnung auf einer Vernissage, in der nicht nur die Zuschauer*innen sondern auch Samuel Zweifler sich wünschen, der Kurator (sehr glaubwürdig: Thomas Bading) würde seinen Mund halten, wenn es um ein „Kunstwerk“ geht, das das Schreddern von Küken hinter einem an Auschwitz angelehntes, mit „It’s Shoah Time“ beschrifteten Tor zeigt…
„Gerade deswegen müssen Sie als Juden doch verstehen, … […] Also, ob man nun kleine Kinder ins Gas schickt oder genausogut unschuldige Küken schreddert – beides hätte von uns Menschen immer, heute und damals, verhindert werden sollen.“
Symchas Reaktion auf diesen Kommentar ist die einzig vernünftige, wie auch jene Samuels. Der im Übrigen die Britin Saba (vielseitig: Saffron Coomber) mit zur Eröffnung gebracht hat. Diese lernte er wenige Wochen zuvor kennen und gerade als er ihr eröffnet, dass sie es langsam angehen sollten, eröffnet sie ihm, dass sie schwanger sei.
„Did she jew out on you?“
Spätestens ab diesem Moment sind Samuel sowie das zu erwartende Kind (und im weiteren Sinne auch Saba, wobei diese immer mal ihr eigenes Ding macht, etwa als ihre Fruchtblase platzt) die die Zweiflers über die weiteren Folgen verbindenden Elemente. Dabei sucht Samuel im Grunde vor allem nach sich selbst und, wie bereits erwähnt, danach, wie er innerhalb dieser eng verknüpften Familie frei und selbstbestimmt sein kann. Frei von ihm aufoktroyierter Verantwortung, frei von vererbten und weitergegebenen Traumata, frei von allem, das ihm als belastend erscheint.
Ganz witzig, erst kürzlich bin ich beim Aufräumen über einen älteren Artikel der Jüdischen Allgemeinen gestolpert, der nicht nur Samuels Zwickmühle – und im Grunde auch die seines jüngeren Bruders Leon, der kaum gesehen wird und sich daher in seiner Kunst ausdrückt, in der er aus seiner Familie auch mal Würste herausquellen lässt – beschreibt. In dem Beitrag vom Januar 2017 ging es darum, wie sehr „der Holocaust auch das Leben der Dritten Generation immer noch prägt“:
„Und irgendwann wuchs dieses Wort zu einem kleinen Gespenst heran, das mich bis heute jeden Tag begleitet. Es lacht laut, wenn es mir bei grölenden Biertischrunden kalt den Rücken herunterläuft. […] Und sollte ich es einmal länger nicht gesehen haben und meinen Großeltern gar erzählen, mir gehe es so gut, dass es mir fast Angst macht, nicken beide (seit 30 Jahren geschieden) auf die gleiche Art vehement und sagen: »Es ist gut, wenn man Angst hat.« Und schon sitzt das Gespenst wieder neben mir und atmet so laut, dass ich es nicht ignorieren kann. Denn ich gehöre nun einmal einer Religion an und stamme aus einer Familie mit vielen solcher Gespenster. Ich bin Teil einer Gemeinschaft, die nicht vergisst und gleichzeitig das Vergessen hasst.“
Dazu passt es, wenn der Holocaust-Überlende Symcha Zweifler seinem Enkel Samuel sagt: „Ein wehrloser Jude, ist ein toter Jude.“ Angst als Resilienzkonzept.
Niemandem eine Erklärung schuldig
Wie selbstverständlich und scheinbar leichtfüßig doch nie ohne Belang David Hadda und Team hier alles miteinander zu verknüpfen verstehen, dabei durchweg unterhaltsam bleiben und nie, aber wirklich nie, ins Belehrende oder, schlimmer noch, Melodramatische kippen, ist ein famoses Stück Schaffenskunst. Dabei mag die richtige Geisteshaltung geholfen haben, die Hadda in einem lesenswerten Interview mit DWDL widergegeben hat: „Die Sorge vor Shitstorms wird irgendwann sekundär.“
Oder wie der Serienschöpfer und -runner es im Presseheft formuliert:
„Unsere Serie will vor allem unterhalten und hat sich das Recht rausgenommen, sich nicht erklären oder gar eine Antwort auf all diese Fragen liefern zu wollen.“
Nun – so wurde aus Die Zweiflers eine beeindruckende, spannende, lebendige Serie, um eine warmherzig-dysfunktionale Familie mit so viel Vergangenheit wie Zukunft, die einen authentischen Blick in einen Mikrokosmos erlaubt, von dem viele meinen ihn zu kennen, ohne je bewusst damit in Berührung gekommen zu sein. Wie stark die Mini-Serie ambivalente Figuren und Verhaltensweisen, Denkmuster und Identitätsfindungen abbildet, ist große Klasse. Sie ist mit Daniel Kehlmanns und David Schalkos Kafka (Rezension folgt) nun mittlerweile die zweite grandiose deutsche Serie des Jahres 2024 – beide übrigens mit jüdischem Kontext. Sieh mal einer an.
Gerade in diesen aufgebrachten Zeiten – Zeltlagern vor Universitäten, ein aufgeregter Brief von Uni-Professor*innen und -Dozent*innen, besetzten Vorlesungssälen und Attacken auf jüdische Student*innen im Umfeld des Angriffs der Hamas auf Israel und der harten Verteidigung der einzigen Demokratie im Nahen Osten mag diese Serie ein wenig Klarheit schaffen. Womöglich mögen sich einige der Student*innen, die diese am Vorabend gesehen haben, ja auf der nächsten Vermeintlichen-Pro-Palästina-Aber-Eigentlich-Anti-Israel-Demo mal drüber unterhalten statt immer nur „From the River to the Sea“ zu skandieren.
JW
Update, 26. September 2024: Die Zweiflers ist in insgesamt vier Kategorien mit dem Deutschen Fernsehpreis 2024 prämiert worden: Phillip Kaminiak – Beste Kamera Fiktion; Sunnyi Melles – Beste Hauptdarstellerin; Aaron Altaras – Bester Hauptdarsteller; Die Zweiflers – Beste Drama-Serie (ebenfalls nominiert waren u. a. Deutsches Haus, Maxton Hall und Push). Wir freuen uns sehr! Ebenfalls wurde bekanntgegeben, dass ARD Degeto, Turbokultur und der Hessische Rundfunk derzeit an einer zweiten Staffel arbeiten.
PS: Im Sinne des letzten Absatzes spricht Dana Zweifler: „Aber das was hier passiert ist ja auch nichts Neues. […] So ist das hier im Jecke-Land. Egal ob von rechts oder von links oder aus der Mitte der Gesellschaft – sobald es um Juden geht, kriechen sie alle aus ihren Löchern und sind alle einer Meinung.“
PPS: Dass es mit der von Lena Klenke (Loving Her) gespielten Alex auch eine lesbische (Neben-)Figur gibt, freut natürlich. Zudem begegnen wir einer kaum wiederzuerkennenden Ute Lemper als Mimis Schwester Tammi – den beiden gehört eine der stärksten Szenen der Zweiflers, die natürlich nicht ohne Essen auskommt.
PPPS: Im C.H. Beck Verlag ist vor bald vier Jahren ein wunderbares Buch namens Der jiddische Witz. Eine vergnügliche Geschichte von Jakob Hessing erschienen. Dieses sei auch ohne Rezension wärmstens empfohlen.
PPPPS: „Du bist doch nicht glücklich… ständig saufen und ballern.“ – „Glück ist relativ, aber Spaß macht’s.“
PPPPPS: „Ich habe gehört, du bist nicht allein in Berlin?“ – „Nee, es sind noch vier Millionen weitere Frauen und Männer neben mir da.“
Die Zweiflers – seit Freitag, 03. Mai 2024 in der ARD-Mediathek; Das Erste zeigt alle sechs Folgen am Stück am heutigen Freitag 10. Mai 2024, ab 22:20 Uhr
Die Zweiflers; Deutschland 2024; Idee: David Hadda; Drehbuch: David Hadda, Sarah Hadda, Juri Sternburg; Regie: Anja Marquardt, Clara Zoe My-Linh von Arnim; Bildgestaltung: Phillip Kaminiak; Musik: Marko Nyberg, Petja Virikko, Darsteller*innen: Aaron Altaras, Saffron Coomber, Sunnyi Melles, Mark Ivanir, Mike Bursty, Eleanor Reissa, Deleila Piasko, Leo Altaras, Lena Klenke, Martin Wuttke, Thomas Bading, Daniel Klare, Malina Ebert, Nora Waldtsätten, Ute Lemper, José Barros Moncada, Adrian Moskowicz, Hussi Kutlucan, u. v. m.; sechs Folgen à ca. 50 Minuten; Eine Produktion der Berliner Turbokultur GmbH in Koproduktion mit der ARD Degeto Film und dem Hessischen Rundfunk für die ARD und wurde von Hessen Film, dem Medienboard Berlin-Brandenburg, sowie dem FFF Bayern und dem GMPF (German Motion Picture Fund) gefördert.
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