„Bäh, H-Milch“

Die toten Flüchtlinge im Kühllaster. Vermutlich hat ihre Entdeckung vor acht Jahren wesentlich zur Flüchtlingspolitik der deutschen Bundesregierung unter Angela Merkel beigetragen. Die Schlepperei ist ein lukratives Geschäft, aber eines, für das Menschen teuer bezahlen – zu häufig nicht nur horrende Summen, sondern mit ihrem Leben. Auch dieser Tage wieder – oder vielmehr immer noch.

Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) machen einen schrecklichen Fund im LKW (ganz links: Philipp Baltus) // © NDR/O-Young Kwon

Ein junger, toter und dunkelhäutiger Mann in einem Lastwagen ist auch im Tatort: Verborgen aus Norddeutschland der Start der Ermittlungen zum zehnjährigen Jubiläum des Ermittlers Thorsten Falke (Wotan Wilke Möring) sowie seiner wenige Jahre später zu ihm gestoßene Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz). Die beiden ermitteln ohnehin gerade zu einem Schleusernetzwerk und es scheint, dass dieser Tote eine Verbindung hierhin haben könnte.

Gefahr von Amts wegen

Gleichzeitig vermisst der vor vielen Jahren gemeinsam mit seiner Familie aus Simbabwe geflohene Jon Makoni (Alois Moyo) seinen 17-jährigen Sohn Noah. Einige von dessen Freunden vermuten, dass er sich nach Großbritannien abgesetzt haben könnte, Jon jedoch hat kein gutes Bauchgefühl. Obwohl er und seine Familie nicht ganz legal in Deutschland leben, wagt er sich gegen den Rat seiner Frau Hope (Sheri Hagen) dennoch zur Polizei.

Das Ehepaar Hope (Sheri Hagen) und Jon (Alois Moyo) auf der verzweifelten Suche nach ihrem Sohn // © NDR/O-Young Kwon

Damit setzt er seine Existenz und die seiner Familie aufs Spiel, denn ohne gültige Ausweispapiere oder Aufenthaltstitel droht nicht nur ihm die Abschiebung. Falke nimmt sich seiner an, denn irgendeine Verbindung scheint zwischen dem Verschwinden Noahs und dem Toten in dem Lastwagen zu bestehen. Nur welcher Art sie ist, das bleibt nicht nur für Falke lange ein Rätsel.

Kein „weißer Retter“

Mit den Themen Flucht und Migration erleben wir hier wieder einen Dauerbrenner der Falke-Reihe. Der Ermittler, der hier eindeutig im Vordergrund vor seiner Kollegin steht (schade – aber dafür glänzte Julia Grosz zuletzt in der sehr packenden Miniserie Tage, die es nicht gab), bekommt es in seinem 17. Fall mit einigen harten Realitäten zu tun. Jon und Hope bangen um ihren rechtlich undefinierten Status, junge, eingewanderte Menschen konfrontieren ihn mit ihrer Perspektivlosigkeit. Und die Situation in ihren Herkunftsländern mag so fern nicht sein, wie Falke und wir alle uns das ausmalen mögen.

Sehr früh stellt sich die Sorge ein, dass hier eine White-Saviour-Geschichte erzählt werden könnte, also die vom guten, weißen Mann (Falke), der schwuppdiwupp die Probleme der in diesem Fall vielfach Schwarzen Menschen in und mit unserem Rechtssystem löst. Dem ist zum Glück nicht so, denn die Macherinnen und Macher um Regisseurin Neelesha Barthel sowie die Drehbuchautorinnen Julia Drache und Sophia Ayissi drehen die Story sanft und scheinbar doch bewusst in eine ganz andere Richtung. Gut so und dennoch schön, wie sie hier diese falsche Fährte gelegt haben.

Milchmann und Subtöne

Stattdessen schaffen sie es, die genannten Problemlagen der Hauptcharaktere einfühlsam zu erzählen und somit die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Nachdenken zu bewegen. Wie kann es beispielsweise sein, dass Menschen mit akademischen Abschlüssen in Zeiten des Fachkräftemangels zehn Jahre in Deutschland leben, keinen geregelten Aufenthaltsstatus haben und dennoch ihr Geld damit verdienen müssen, hinter „der Elite“ aufzuräumen? Und dass es auch quasi keine Möglichkeit gibt, aus diesem Teufelskreis auf legale Weise auszubrechen?

Es sind vor allem die Subtöne, die den Tatort: Verborgen sehenswert machen, denn – das muss leider auch gesagt werden – die Story selbst ist nicht ansatzweise so packend, wie die Macherinnen und Macher das vielleicht beabsichtigt hatten. Das kennen wir bereits aus Falke-Fällen wie Tödliche Flut, der zu den schlechtesten Folgen aller Tatorte der letzten Jahre gehört. Dass es aber auch anders geht, haben wir beispielsweise in dem grandiosen Fall Tyrannenmord im vergangenen Jahr gesehen.

Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) an einem Fall, der beiden nahegeht // © NDR/O-Young Kwon

Der Tatort: Verborgen trifft somit recht genau die Mitte der Bandbreite, die wir in den zehn Jahren mit dem Milchsommelier Falke („bäh, H-Milch“) erleben durften. Während die Spannung in diesem Fall doch eher ein wenig zu wünschen übrig lässt, ist es vor allem der schonungslose Blick in die Erdgeschoss- und Souterrain-Wohnungen Hannovers, der uns zeigt, was sonst zu oft im Verborgenen liegt – oder wo wir uns manchmal bewusst, manchmal auch unbewusst entscheiden, wegzusehen.

HMS

PS: Anlässlich des Falke-Jubiläums werden in den kommenden Wochen einige Wiederholungen älterer Falke-Folgen ausgestrahlt. Ein Blick in die ARD-Mediathek lohnt sich. Der Falke-Tatort: Verbrannt jedenfalls stammt von Stefan Kolditz, der uns erst zu Ostern mit dem Zweiteiler Nichts als die Wahrheit in Berlin erst entzückte, dann enttäuschte.

Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) // © NDR/O-Young Kwon

Tatort: Verborgen läuft am 16. April 2023 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Verborgen; Deutschland 2023; Regie: Neelesha Barthel; Drehbuch: Julia Drache, Sophia Ayissi; Bildgestaltung: Christian Marohl; Musik: Maurus Ronner; Darsteller*innen: Wotan Wilke Möhring, Franziska Weisz, Alois Moyo, Sheri Hagen, Ben Andrews Rumler, Rebecca Rudolph, Michael Lott, Philipp Baltus; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion der Wüste Medien GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für Das Erste, gefördert mit Mitteln der nordmedia Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen mbH.

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