Beitragsbild: Seven Sisters Traumpfad (Songline), 1994, Gemälde von Josephine Mick, Ninuku Arts, Inv.-Nr. 2017.0001.0001 // © the artist / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Image: National Museum of Australia
Gerade erst stellten wir euch die soeben erschienene Autobiografie der „autistischen, australischen, genderqueeren“ Comedienne Hannah Gadsby vor und erwähnten in der Rezension, dass diese weit mehr sei, als eine klassische Autobiografie. Zum Beispiel auch eine weitreichende Geschichtsstunde, denn immer wieder kommt sie auch auf die Vernichtung und Vertreibung indigener Gruppen zu sprechen; erwähnt gar das Mabo-Urteil aus dem Jahr 1992, welches anerkannte, „dass tatsächlich bereits seit vielen, vielen Jahrtausenden indigene Gemeinschaften auf dem Kontinent gelebt hatten, was den Grundstein für die Durchsetzung indigener Landrechte legte.“
Ein außergewöhnliches Privileg
Wer sich jedoch ausführlich mit der Geschichte Australiens und der Indigenen Custodians befassen möchte, dem sei die wahrlich einzigartige, mehrfach prämierte Ausstellung Songlines: Sieben Schwestern erschaffen Australien im Humboldt Forum empfohlen, die vorgestern Abend eröffnet und in deren Rahmen auch das 70-jährige Bestehen der diplomatischen Beziehungen zwischen Australien und Deutschland gewürdigt worden ist. Die internationale Wanderausstellung wurde ausschließlich von Vertreter*innen Indigen-australischer Communities unter der Leitung von Margo Neale, Senior Indigenous Curator des National Museum of Australia, konzipiert und kuratiert.
Wichtig zu betonen war es Margo Neale am Abend der Eröffnung, dass es sich dabei nicht um eine Kollaboration handele – hier könne man einfach Namen daneben pappen, ohne dass es wirklich eine Zusammenarbeit gäbe -, sondern um ein wahrhaftes Kuratorium, das das Wissen und die Geschichten in sich trägt und weitergibt. Oder auch: „Nichts über uns, ohne uns.“ („Nothing about us, without us.“)
Das Wissen ist in die Landschaft eingeschrieben
Margo Ngawa Neale muss wissen wovon sie spricht, schließlich bedeute ihr Name so viel wie redselig aber gutfundiert („talkative but knowledgable“), wie sie eingangs erläuterte. Ebenso beschrieb sie den langen Weg von der ersten Idee dieser Ausstellung, die „auf einer einzigartigen Forschungskooperation zur Bewahrung Indigenen Wissens, die von Vertreter*innen Indigener Communitys in den Central und Western Deserts initiiert und in Zusammenarbeit mit dem National Museum of Australia und der Australian University geleitet wurde“, basiert, bis zum Moment der Eröffnung, ein Zeitraum, der etwa zehn Jahre umfasste. Oder wie die Künstlerin Brenda Douglas aus der Walinynga Community es beschrieb: Als es losging, sei ihr Sohn ein kleiner Junge gewesen, heute sei er siebzehn.
„In diesem großen Drama voller Intrigen, Geheimnisse und Schönheit geht es um Leidenschaft und Gefahren der Schöpfung, Begehren, Liebe, Flucht und Überleben. Wie alle universellen Erzählungen dieser Art hat sie im Laufe der Zeit nichts von ihrer Relevanz eingebüßt. Ihre Lehren sind auch heute noch von entscheidender Bedeutung für Bewegungen wie Black Lives Matter, Me-Too und andere Umwelt- und Klimabewegungen. Indigene Australier*innen haben diesen Kontinent seit mehr als 60 000 Jahren nachhaltig bewirtschaftet. Doch nur 250 Jahre nach der britischen Ankunft befindet er sich in einem kritischen Zustand. Wie kommt das? Die Antwort liegt in den Songlines.“
Margo Neale, Senior Indigenous Curator, National Museum of Australia
Die aufwendig aufgemachte und sich nur durch Konzentration und ausgeprägten Verarbeitungswillen erschließende Ausstellung, übrigens die erste große internationale Ausstellung im Humboldt Forum, wartet dabei mit einem multimedialen Konzept auf, das sich durch eine effektive Wirksamkeit bezahlt macht und uns Besucher*innen so fasziniert wie neugierig durch die Räume gehen und diese (für uns) neu erzählte Schöpfungsgeschichte Australiens erfahren lässt.
Verbundenheit ist das, was es ist
Neben 300 Kunsthandwerken (wie beispielsweise den sehr eindrücklichen Tjanpi Gras-Figuren) und allerlei Zeichnungen sowie Malereien begegnen wir den Custodians oder auch „virtual Elders“ immer wieder in Videoinstallationen und an Multimediastationen. Geschichten, Gesang und Zeremonien werden auf verschiedenen Wegen vermittelt. So ist die Ausstellung, wie auch Neale betont, eine Reise entlang einer Erzählung, eines Narrativs. Die Songlines berichten ausführlich von der Sage der Sieben Schwestern, die sich einem männlichen Verfolger mit magischen Fähigkeiten entziehen und dabei drei Wüsten durchqueren müssen.
Wunderbar und immersiv vermittelt wird diese Geschichte in einem der Highlights der vielseitigen Ausstellung: der Kuppelraum von sechs Metern Durchmesser und Höhe, der uns gern im Liegen in einer 360-Grad-Sicht zwei sehr unterschiedliche Filme präsentiert. Einmal die konkrete Geschichte der Sieben Schwestern, erzählt von der indigenen Geschichtenerzählerin und Musikerin Shellie Morris und begleitet von traditionellen inma-Gesängen aus den Anangu Pitjantjatjara Yankunytjatjara Gebieten.
Zum anderen geht es nach Walinynga (Cave Hill; in South Australia an der Grenze zum Northern Territory und zu Western Australia gelegen, wie uns auch die Texttafel auf dem Weg zum Kuppelraum verrät) und im Zeitraffer können wir Natur, beeindruckende Felskunst und Orion und Plejaden, die mit den Sieben Schwestern assoziiert werden, betrachten, verfolgen, bestaunen. Dass es hier respektvoll zugehen sollte, muss hoffentlich nicht unbedingt erwähnt werden.
Songlines: Einmal begonnen, wird es nie enden
Nun wollen wir die geneigten Leser*innen in diesem Beitrag nach dem kurzen Abriss zur Ausstellung, die bis zum 30. Oktober 2022 zu sehen sein wird, vor allem auf das kurzfristige Programm zum Start derselben hinweisen. Denn noch bis zum 20. Juni 2022 sind beteiligte Indigene Vertreter*innen und Künstler*innen in der Stadt und ermöglichen einen persönlichen Einblick in die Songlines. Dies jeweils um 16:00 Uhr in den Tagen vom 17. – 20. Juni 2022 und ebenfalls am 20. Juni um 11:00 Uhr.
Darüber hinaus spricht Margo Neale am 29. Juni 2022 um 18:00 Uhr mit dem Kurator Marc Wrasse über eines der wichtigsten Exponate in dieser Ausstellung, das Gemälde Yarrkalpa (Jagdgebiet), das in der Tat als eines der beeindruckendsten Stücke der Ausstellung gelten darf und den Besucher*innen durch eine Deckzeichnung bzw. Agenda zugänglicher gemacht werden kann.
Des Weiteren zeigt das Humboldt Forum bis zum 24. Juni 2022 fünf aktuelle, sehr unterschiedliche australische Filme, die Themen und das Schaffen Indigener Australier*innen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchten sollen. Eingerahmt sind die Vorführungen von Grußworten der Filmemacher*innen und anschließenden Publikumsgesprächen mit unter anderem Maryanne Redpath (Berlinale), Curtis Taylor (Filmemacher), Duane Fraser (Australian Institute Aboriginal and Torres Strait Islander Studies) und Margo Neale.
Vielstimmigkeit und Transdisziplinarität
Wir haben bereits auf die Vielfältigkeit hingewiesen, aber auch die unzähligen Eindrücke, die vielen Geschichten und mannigfaltigen Details angedeutet. Klar ist, dass wir uns diese Ausstellung unbedingt und in jedem Fall ein weiteres Mal ansehen wollen und gar müssen (aber voll positiv, quasi müssen wollen).
Ebenso sind wir froh, dass ein ausführlicher, bild- (ca. 300 Abbildungen) und textreicher Katalog zur Ausstellung im Hirmer Verlag erschienen ist. Diesen werden wir uns ganz genau ansehen und mit dem daraus gewonnen Wissen und Kontext ein zweites Mal die Songlines-Reise antreten oder viel eher sie fortsetzen; begonnen haben wir ja bereits. Euch Leser*innen selbstredend in einem Folgetext daran teilhaben lassen.
Passend dazu wollen wir mit den Worten des Generalintendanten des Humboldt Forums, Hartmut Dorgerloh, schließen:
„Ich freue mich, dass Songlines im Jahr des 70-jährigen Bestehens der diplomatischen Beziehungen zwischen Australien und Deutschland im Humboldt Forum gezeigt wird. Die Ausstellung wird im Humboldt Forum eine außergewöhnliche Begegnung mit Kunst und Kulturen Indigener Gesellschaften ermöglichen. Damit ist das Programm ist ein wichtiger Beitrag, um diesen neuen Ort der internationalen Vielstimmigkeit, der Transdisziplinarität und des Erfahrungswissens einem breiten Publikum zu öffnen.“
Hartmut Dorgerloh, Generalintendant Humboldt Forum
AS
PS: Die Zwischenüberschriften sind sinngemäße Wiedergaben von Margo Neale und Philipp Green, dem Botschafter Australiens in Deutschland, der natürlich auch zur Eröffnung sprach.
Die internationale Wanderausstellung Songlines: Sieben Schwestern erschaffen Australien ist vom 16. Juni 2022 bis zum 30. Oktober 2022 in den Sonderausstellungsflächen 1+2 im Erdgeschoss des Humboldt Forums zu sehen.
Songlines: Sieben Schwestern erschaffen Australien; Eine internationale Wanderausstellung, konzipiert vom National Museum of Australia mit der ständigen Unterstützung der traditionellen Indigenen Custodians und Wissensträger*innen dieser Geschichte; 16. Juni 2022 – 31. Oktober 2022; Präsentiert von der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss (SHF) in Kooperation mit dem Ethnologischen Museum (EM) der Staatlichen Museen zu Berlin
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