„Sein oder nicht sein? – Steht er oder steht nicht?“

Der Penis, der „Schwanz, der Hammer, das Zumpferl, die Rute, der Stab, der Knüppel und der (unheilige) Johannes“, so viele Bezeichnungen – eventuell vom Besitzer verliehene noch nicht dazu genommen – für dieses eine Organ in der Körpermitte, das so vieles zu bestimmen scheint. Neben biologischer Funktion auch so manches Selbstbewusstsein, manche Strukturverkrustung und nicht zuletzt ein Bild, das so unverrückbar wie gleichzeitig immer fragwürdiger erscheint: jenes der Stärke.

Kultische Verehrung und/oder Verklärung?

Die Dokumentation Penissimo von Regisseurin Gabi Schweiger (Buch: Michael Seeber) widmet sich heute Abend um 22:15 Uhr auf arte eine knappe Stunde lang dem männlichen Glied in seiner Gänze und mit voller Härte. So steigen wir mit einem internationalen „Chor der Männer“, der in Penissimo immer wieder thematische Überleitungen bietet, ein, beginnen mit Namen und landen bei phallischen Symbolen und Bauten in allen Kulturen und aus allen Epochen, etwa bei „phallischen Megalithen in Äthiopien, etruskischen Grabsteinen in Italien und kunstvoll bemalten Häusern in Bhutan.“

Sexualtherapeut und Autor Marc Bonnard zeigt eine Statue aus Papua-Neuguinea // © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion/Foto: ORF

Der französische Autor und Psychiater Marc Bonnard gibt eine knappe Einführung zur Geschichte des Penis (vor gut zwanzig Jahren veröffentlichte er hierzu auch ein Buch und erzählt im Film eine durchaus unterhaltsame Story zu Priapos, dem Gott der Furchtbarkeit, und der Entstehung des Peniskults) und seiner Wahrnehmung und Mystifizierung und weiß zu berichten, dass der Schwanzvergleich im Grunde schon immer ganz hoch im Kurs stand, wenn es dabei auch eigentlich um den phallischen Penis ginge. Männlichkeit wird also durch die Größe des Penis definiert was wieder – phallische – Stärke bedeute.

Damit ist der Ton für die kommenden fünfzig Minuten gesetzt; denn mitnichten haben wir es hier mit einer medizintheoretischen Dokumentation sondern mit einer historisch-gesellschaftspolitischen zu tun. Gerade in der heutigen Zeit – Stichworte: toxische Männlichkeit, der neue Mann, etc. – auch ein sinnvoller und bestenfalls sinnstiftender. 

Maßstab der Männlichkeit?

Die Größe spielt durchgehend eine Rolle, wird vom Psychologen und Leiter des Männergesundheitszentrums Wien, Romeo Bisutti, aber entsprechend eingeordnet, indem er den Durchschnittswert 12 bis 14 cm im erigierten Zustand nennt – gleichwohl anfügt, dass er es oft mit Männern zu tun habe, die mit ihrer Partnerin zwar ein erfülltes Seuxalleben hätten, sich aber doch unsicher seien und Ängste hätten: Vielleicht sagt sie ja nur nicht, dass sie unzufrieden ist. Womöglich will sie doch was anderes.

Psychologe Romeo Bisutti weiß von manch Verunsicherung der Männer zu berichten // © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion

So ist es also nicht nur das Bild von vermeintlicher Stärke und nicht selten damit einhergehend einem breitbeinigen Auftreten, sondern auch eines der Unsicherheit und Selbstzweifel, das die vielseitige Dokumentation hier vermittelt. Auch durch den Kulturwissenschaftler Patrick Catuz, der feststellt, dass diese Bilder von Männlichkeit, auch im Bereich der Vaterschaft, für mehr Verunsicherung sorgen, als dass sie Stärke aka Resilienz oder sonstiges hervorbrächten. Höchstens die Suggestion dieser, möchte mensch also meinen.

„In your face“ und fuck porn?

Was dies besonders interessant macht, ist der recht unterschiedliche Umgang der verschiedenen Kulturen (wie auch Religionen), wenn es um beispielsweise die Beschneidung geht – in den USA und im Nahen Osten gang und gäbe, bei uns eher untypisch bis verpönt (pfffft!) – oder auch das Zeigen offener Zuneigung und Co.

Der in Berlin lebende Journalist Julian Dörr entdeckt und zeigt uns vieles // © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion/ Foto: ORF

Was uns zum Punkt des sexuellen Akts als aggressivem Akt, als „in your face“ führt, wie der feministische Journalist Julian Dörr es nennt, der dieses Verhalten auch in Pornos kritisiert, da das Fummeln, Blasen, Rein-Raus in verschiedenen Stellungen und Abrotzen eben doch ein falsches Bild vermittle. Hier wird’s auch wieder sehr interessant, denn Catuz, selber Feminist und auch an feministischen Pornos mitarbeitend, meint, dass die Zugänglichkeit, quasi die Demokratisierung der Pornografie, auch zu einem breiteren Angebot und entsprechender Vielfalt führe.

Der Kulturwissenschaftler Patrick Catuz sagt, wenn er erwähnt, dass er Feminist sei, meinen die meisten, dass es das wäre und er wohl keine anderen Interessen wie Boxen oder Fußball haben könnte // © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion

Etwas, das der Autor dieser Zeilen durchaus unterschreiben würde, wenngleich ich auch die Ansicht teile, dass nicht Weniges, was auf manchen Portal zu sehen war/ist durchaus problematisch ist. Dennoch sind die Auswahlmöglichkeiten allein schon an schwulen Pornofilmen, Clips und sonstigen so mannigfach, dass sich das mit gutem Gewissen konsumieren bis genießen lässt.

Der unmännliche Homo

Apropos schwul: Der Comedian und Autor Jad Turjman (Wenn der Jasmin auswandert, Residenz Verlag), aus Damaskus stammend und später nach Europa geflohen, berichtet darüber, mit welchem Bild von Männlichkeit er aufwuchs und natürlich passten in dieses keine verweichlichten Schwulen, keine unechten Männer. Spott, Ächtung und Knast, sind es, was diese in Syrien erwarteten und auch sein Bild von Homosexualität habe dem entsprochen.

Comedian und Autor Jad Turjman weiß seine Männlichkeit zu inszenieren – und hat darüber hinaus manch Interessantes dazu zu sagen // © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion

Bis sich ein guter Freund von ihm outete, er bei sich selber diese Abwehrmechanismen erkannte und sie zu hinterfragen begann. Mittlerweile widmet er sich in Salzburg mit seinem Projekt „Heroes“ der Indentitätsbildung im Sinne von Menschenrechten, Frauenrechten und Kinderrechten und klärt Einwanderer über die Unfairness des Patriarchats in Bezug auf Frauen und Männer auf.

Womit wir natürlich auch bei toxischer Männlichkeit landen, die im Grunde die meiste Zeit über Penissimo baumelt. Auch hierzu hat Patrick Catuz manch Kluges zu sagen, der eine positive Wende der Debatte zu sehen beginnt, wenn auch natürlich nichts einfach sei. Das sehen wir auch im Film, wenn etwa die Unsicherheit zu hören ist, dass Männer alles sein sollten und keine Fehler machen dürften. In der Tat ist nicht von der Hand zu weisen: Jeden Mann als problematisch anzusehen nützt eben auch nichts. Zwischen einem fehlerhaften Menschen und einem breitbeinigen, toxischen Cis-Mann und jenen, die Vergewaltigungen als Kriegsmittel* einsetzen, liegen eben doch Welten.

Sorry, Homosexualität

Zurück zur Homosexualität, die hier durchaus auch Raum einnimmt, auch im „Chor der Männer“ sind einige queere Personen dabei und Penissimo vergisst nicht zu erwähnen, dass diese in 69 Ländern noch immer unter Strafe stehe und in sieben mit dem Tod bestraft werden könne. Ebenso, dass Hass und Hetze auch in westlichen Demokratien wieder zunähmen.

Steven Meyer ist Journalist und beschäftigt sich unter anderem mit Homofeindlichkeit bei Männern // © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion/Foto: ORF

In Wien begegnen wir im Café Savoy dem schwulen Journalisten Steven Meyer, der meint, dass Homofeindlichkeit auch daher komme, dass der heterosexuelle Mann eben diese seine Heterosexualität immer und ständig beweisen und sich dafür von allem Weiblichen abgrenzen müsse, denn das Weibliche sei ja schwach. Ergänzt wird das durch eine Einlassung Turjmans, der erläutert, wenn Homosexualität akzeptiert würde, bedeutete dies ja auch „für mich“ ich könne es theoretisch sein – das ginge eben für viele nicht. Beides ist die durchaus treffende Definition und Herleitung von Homofeindlichkeit und toxischer Männlichkeit in a nutshell.

„Ich bin gern ein Weichei und ein Warmduscher“

Steht am Ende die Frage: Was ist nun Männlichkeit? Natürlich beantwortet auch Penissimo diese nicht vollumfänglich, dafür ist die sehr informative und durchaus unterhaltsame Dokumentation auch zu sehr eine Bukkake-Veranstaltung: Jeder darf mal, wir bekommen von allem ein wenig ab, aber vieles tropft auch runter, fällt gar nicht weiter auf und am Ende dauert’s fünf Minuten zu lang.

Dennoch lädt sie dazu ein, sich mit den durchaus variantenreichen Sichtweisen (derer ich hier nur wenige geschildert habe) auseinanderzusetzen, gegebenenfalls die eigene Herangehensweise zu hinterfragen oder schlicht zu erweitern. Spannend sind auch die Äußerungen des Männerchors zu Fragen wie jener, was einen Macho definiere oder wie sie ihren Penis einordnen würden.

„Ich mag meinen Penis, weil er eigentlich ziemlich schön ist“

Alle scheinen (!) ein einigermaßen positives Selbstbild zu haben; keiner äußert sich etwa so, dass er sich mehr wünsche oder Optimierungsbedarf sehe. In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu wissen, ob die Macher*innen von Penissimo gezielt nach positiven Äußerungen zum Selbst gefragt haben oder ob sich das einfach so ergab.

Dazu sei erwähnt, dass ich selber großer Fan von Schwänzen bin und den eigenen durchaus schätze – insofern ist die Zufriedenheit der Befragten schon nachvollziehbar. Wenn auch manches Mal die vermeintliche Einfachheit der Anatomie des Penis belächelt wird, ist er eben doch immer anders (die Eier miteingeschlossen) und bereitet gern Freude – ob nun schlaff, halb- oder steinhart. Kann im Prozess das Hartwerdens durchaus schon ein wunderbares Faszinosum sein und nicht jede Person, die ihren Schwanz schätzt, muss ihn als Schwert und Zeichen der Macht über andere Menschen nutzen und sehen. 

JW

PS: Ebenfalls in der arte-Mediathek verfügbar ist der Film Viva la Vulva (Buch und Regie: Gabi Schweiger) aus dem Jahr 2019, in dem unter anderem Mithu M. Sanyal, Seyran Ateş und Sandra Konrad zu Wort kommen. Hier folgt eine Besprechung. 

PPS: Was Maskulinität aber auch beim Sex bedeuten kann, wenn beide Partner*innen dies schätzen, etwa in einer einvernehmlichen S/M-Matrix, wird übrigens nicht beleuchtet. Aber ist ja auch so schon genug los.

PPPS: Zu Vergewaltigungen als Kriegsmittel, etwas das in Penissimo auch angesprochen wird, wie überhaupt der militärische Komplex, liegt von Andrea Petö im Wallstein Verlag Das Unsagbare erzählen. Sexuelle Gewalt in Ungarn im Zweiten Weltkrieg vor, das wir in Bälde besprechen werden und auf das hier schon einmal hingewiesen sei.

In Penissimo dreht sich alles um des Mannes bestes Stück: das männliche Glied (das wir nun hier ausgerechnet nicht sehen…) // © Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion/ Foto: ORF

Penissimo läuft am 29. Juni 2022 um 22:15 Uhr in deutscher Erstausstrahlung auf arte; Wdh.: 16.7.2022 um 00:55 Uhr, 23.7.2022 um 23.50 Uhr und 6.8.2022 um 05.15 Uhr; ebenso ist die Dokumentation bis zum 27. September 2022 in der arte-Mediathek verfügbar.

Penissimo; Österreich 2020; Regie: Gabi Schweiger; Buch: Michael Seeber; Kamera: Sebastian Arlamovsky; Mit: Marc Bonnard, Patrick Catuz, Jad Turjman, Julian Dörr, Romeo Bisutti, Steven Meyer; Sprecher: Martin Brachvogel, Robert Reinagel; Produktion: NGF – Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion GmbH in Koproduktion mit: arte und ORF 

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitstzeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

  1. Ein gesundes Schwanzbewusstsein ist schon was Gutes. Und man kann auch mal darüber sprechen. Bei all der postfeministischen Abgeklärtheit der letzten Dekaden ist dies ein bisschen in den Hintergrund getreten. Und die Arte-Dokus sind praktisch IMMER großes Tennis!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert