Das Ende des geübten teilnehmenden Beobachtens

Es ist erstaunlich, was der Wegfall von Gewohntem bedeuten kann. Oder eher noch, wie vollkommen unmöglich es Menschen zu sein scheint, dass dieses Gewohnte irgendwann nicht mehr ist. Und doch ist es nun passiert: Am Mittwoch vergangener Woche starb Elizabeth Alexandra Mary vielen besser bekannt als Queen Elizabeth II. 96-jährig im Jahr ihres 70. Thronjubiläums, knapp anderthalb Jahre nach dem Tod ihres Mannes, Prinz Philip, und im 25. Jahr des Todes ihrer früheren Schwiegertochter, Diana, der Princess of Wales.

Zwei Körper wohnen ach in einer Queen

Dass wohl nur die wenigsten davon ausgingen, dass „Queenie“, wie viele sie zuletzt nannten, oder auch „Sausage“, wie Philip sie angeblich nannte, bald das Zeitliche segnen würde, ist wunderbar dem kleinen, feinen Sammelband God Save the Queen. Was wir an Elizabeth II. bewundern zu entnehmen, den Denise Schweida erst in diesem Frühjahr im Knaur Verlag herausbrachte. Etwas, das allen zehn Beiträgen samt dem Vorwort „Royaler Toast“ gemein ist, ist der Blick in die Zukunft mit der Queen. 

Wem kann mensch es verdenken? Nicht zuletzt knackte ihre Mutter immerhin die 100-Jahre-Marke!  Doch es ist, wie es ist und so wird nun einer der zwei Körper von Queen Elizabeth II. am morgigen Montag beerdigt werden, nachdem sie kurz vor ihrem Tod noch die letzten dringenden Amtsgeschäfte erledigte. Moment – einer von zwei Körpern? Ja, nämlich ihr natürlicher, privater Körper, während ihr politischer, öffentlicher Körper weiter im Geiste, Gedächtnis und Herzen so einiger Menschen inner- und außerhalb Englands und des Commonwealth ebenso wie im historischen Sinne am Leben bleiben wird.

Respekt- und liebevoll, aber nicht unkritisch

Diese Idee der zwei Körper, über welche Ernst Kantorowicz bereits 1957 ein Buch schrieb, benennt auch die in London geborene Ann Anders in ihrem Beitrag „Queenie und ich“, der zwischen sehr (!) persönlicher, sachlicher und kritischer Einordnung der Queen und der Royals und dem Konzept der (britischen) Monarchie changiert. Damit gibt sie in diesem ersten Beitrag auch sehr passend den Ton für den Großteil des Buches vor.

Der Rezensent war durchaus überrascht, dass hier nicht nur feierlich geformte Anekdoten eines persönlichen Wahrnehmens der Queen aneinandergereiht werden, dies allein schon ob des Zusatztitels Was wir an Elizabeth II. bewundern wegen. Nein, ein Großteil der Beiträge wirft – trotz allen Respekts, den die Autor*innen (übrigens ist, soweit das zu überblicken war, niemand nach 1980 Geborenes dabei, was ich durchaus als kleines Manko bezeichnen möchte, wenn die Herausgeberin Denise Schweida auch in einem Austausch angab, dass jüngere Autor*innen angefragt worden seien) ihr und ihrer Disziplin, ihrem Arbeitsethos, ihrem Pflichtbewusstsein, ihrer Selbstkonditionierung, etc. immer wieder zollen – keinen unterkomplexen oder gar verfälschenden Blick auf diese Frau, deren Personengedächtnis laut Thomas Kielinger bewundernswert gewesen sei und wohl manch eine – diplomatische – Krise aufzulösen oder zu verhindern vermochte.

Fallbeispiel für’s Fallbeil der Meinungsfreiheit

Nachdem wir also mit der ausgewogenen Betrachtung zweier Leiber begonnen haben, gehen wir mit einem eingebundenen Spiegel-Beitrag aus dem Jahre 1953 zur Krönungszeremonie und reden dann über Kunst- und Meinungsfreiheit, die die Monarchin besser und früher verstanden habe, als etwa viele andere Regenten, Staaten oder auch Filmstudios, wie etwa Sony Pictures. Der mit „Die letzte Demokratin“ betitelte Beitrag der mehrfach ausgezeichneten Autorin Nina George gehört dank beißendem Charme und den gemeingültigen Einlassungen wie dieser:

„Das Akzeptieren von demokratischen Grundwerten ist, zugegeben, kein Ponyhof. Meinungsfreiheit (möglich erst, nachdem man sich eine gebildet hat aus Fakten und Daten, nicht nur aus einem ‚Gefühl‘), Pressefreiheit, Kunstfreiheit – sie alle machen den Mächtigen zu schaffen, vor allem jenen mit fragilen Persönlichkeiten und miserabel geführten Staaten. Meinungsfreiheit wird gleichzeitig zum Kaugummibegriff: Es reicht, eine halbe Stunde auf Twitter zu verbringen, um sich zu fragen, wann Menschen begonnen haben, Verleumdungen und Pöbeleien als ‚Meinung‘ umzudeklarieren.“

Nina George, „Die letzte Demokratin“ in „God Save the Queen“, S. 37

zu den Krönungen dieses Büchleins. Der sich anschließende Beitrag „Komplett fühlt sich die Queen nur mit dem Commonwealth“ des bereits erwähnten Royal- und England-Experten Thomas Kielinger, den wir zuletzt in vielen, vielen Sendungen zugeschaltet sahen, wird es dann wieder sehr brit-politisch und nicht zum ersten Mal im Buch wird das Thema Kolonialismus aufgegriffen. Dies dankenswerterweise ohne Hysterie in die eine oder andere Richtung, sondern so vielschichtig und fundiert, wie es in einem zwanzigseitigen Beitrag eben möglich ist. Dennoch sei speziell dieser Text im Lichte der nun erstarkenden Debatte um dieses heikle Thema unbedingt empfohlen.

Keine Regentschaft ohne Ärgernisse

Weniger empfehlenswert hingegen ist der folgende Text der als Unternehmerin bezeichneten Gloria Fürstin von Thurn und Taxis, „Nobody Does It Better!“, der sich primär darauf bezieht, dass das Pflichtbewusstsein vorrangig dem deutschen Blut der Queen und ihrem christlichen Glauben zuzuschreiben sei. Durchaus mag am Thema des Glaubens etwas dran sein (denken wir nur an Eremiten der früheren Zeit und manch besondere Form der Scholastiker). Doch dass dies hier von durchaus übergriffigen Kommentaren („Wenn es im Zuge der schrecklichen politischen Korrektheit nicht mehr möglich sein soll, sich zu Weihnachten ‚Frohe Weihnachten‘ zu wünschen […]“, etwas, das so dumm wie unwahr ist) begleitet und von einer weltfremden Überheblichkeit, der dazu noch jeder Charme der früheren Jahre der Fürstin abgeht, geprägt ist, ist ärgerlich. Aber was soll’s, die Gloria, die schwafelt halt gern.

Ebenso faselnd ist der Beitrag von Franziska Augstein, die sich mal wieder eines von außen kommenden Impulses und primär externer Quellen bedient, um dies alles mit dem eigenen Ego zu füllen. Immerhin erfahren wir in diesem mit zehn Seiten keine Zeile zu kurzen Text, wie die Briten laut mancher Umfrage von der Queen träumten und gar ein wenig was. Glücklicherweise sind die benannten beiden Texte die einzigen, die als unnötig und ärgerlich bezeichnet werden könnten (außer mensch lehnt die Queen, die Royals und Monarchie sowieso rundheraus ab, was der Autor dieser Zeilen aber für ebenso Gaga hält, wie ein undifferenziertes Abfeiern derselben).

Lyrik, Lakonik und ironische Prosa

In Stil und der Andersartigkeit vom Inhalt sticht besonders der Text „Meine Freundin, die Königin“ von Renate von Matuschka heraus, der an mancher Stelle schon beinahe lyrisch („[…] eine durchaus etwas gequält blickende, aber schöne, von tiefem Ernst erfüllte junge Frau, […]“), an anderer lakonisch wie Monika Helfer klingt und dem die Überschrift entlehnt ist, heraus. Sie beschreibt hier ihre „sehr beständige Beziehung“ zur Queen vom Kindesalter an, geht dabei tief in die eigenen Biografie, ohne dass sie je den Faden verlöre und referiert dabei sogar noch kurz über das Faszinosum, dass es heute noch immer Sonderhefte über Royals und Co. gäbe und fügt an, dass sich Mutmaßungen über die Performance ihres Nachfolgers verböten. 

Es ist ein ganz anderer Beitrag als jener von Nina George und gerade diese Unterschiedlichkeit hebt die Texte hervor und unterstreicht – bei allen nicht zu vermeidenden Wiederholungen mancher Details und Perspektiven – die Vielstimmigkeit von God Save The Queen. So etwa auch der nicht einmal anderthalbseitige, schon beinahe ironische Prosa-Einschub „Guilty Pleasures“ von Pieke Biermann (deren vier Romane von 1987-97 erst 2021 im ariadne Verlag als Berlin-Quartett wieder aufgelegt wurden, eine Besprechung folgt).

Ebenso findet sich ein Beitrag von Patricia Dreyer zum Verhältnis der Queen zu Lady Diana und all den skandalösen Verwicklungen, die dieser „schillernde Fetisch einer Monarchie“ so mit sich bringt. Dazu, wie auch der Lust des Publikums den Skandalen zu folgen – etwas, das jedoch, wie Thomas Kielinger erwähnt, „nicht nur unserem Voyeurismus zuzuschreiben [ist], der sich lustvoll mit einer skandalgesättigten Familie beschäftigt“, sondern auch „Ausdruck der Tatsache [ist], dass die Queen und ihr Stamm an vielen Orten des globalen Dorfes präsent sind“ – schreibt auch Tina Brown in ihrem ebenfalls bei der Droemer Knaur Verlagsgruppe erschienen Buch Palace Papers viel Interessantes; eine Besprechung folgt.

Ein versöhnlicher Schluss, trotz Verlust

Den passenden Abschluss des Bandes bildet ein Beitrag von Gordon Tyrie aka Thomas Kastura, der uns nach Balmoral führt, bekanntermaßen der Lieblingsort der Queen und eben auch jener, an dem sie aus dem Leben ging. Das Kapitel mischt, wie viele andere, persönliche Empfindungen und subjektive Schlüsse mit Erläuterungen, die in der Geschichte eingebettet sind (hier Aberfan wie auch dem sehr freien Umgang dieses schrecklichen Ereignisses in der Serie The Crown, die mensch nach Lektüre dieses Buches noch einmal mehr bitte nicht als Dokumentation auffassen sollte), der Frage nach dem Fortbestand einer Monarchie und manch politischer Anmerkung, wie jener ihm mit „binärem Bullshit“ der letztlich zu Sexismus führe, wegzubleiben.

Weg ist nun die Queen, jedenfalls als natürliche Person, somit können wir hier nicht mit Kasturas Worten „Carry on, Queen!“ schließen, sondern müssen nach Betrachtung der größtenteils erhellenden, nicht selten erheiternden und wechselvollen Lektüre des Buches und Zeit mit der Queen einen anderen Abschluss finden. Also gehen wir doch in die Normalität, die wohl auch Elizabeth II. zumindest in Balmoral immer wieder zu finden vermochte. 

Kürzlich telefonierte ich mit einer Freundin, die allmählich dem Rentenalter entgegensieht; keine Autorin und nicht berühmt ist. Sie, in einem Zeitschriftenladen arbeitend, meinte, dass der Tod der Queen durchaus eine der härtesten Nachrichten gewesen sei, die es zuletzt für sie gab. Denn, da klingt sie nahezu alle in God Save the Queen Schreibenden, sie sei doch immer da gewesen oder um mir einmal Thomas Kasturas Worte auszuleihen: „[…] sie verkörpert[e] eine Form der Kontinuität, die mir durchaus sympathisch ist und die schlicht Zuversicht einflößen kann.“ Von ihrer Kindheit an bis eben heute… Eine Konstante, die nun fehlt – gerade in Zeiten, die von Unsicherheit und Sorge geprägt sind, ist das unbestreitbar nicht nur ein Individueller Verlust. 

AS

PS: Sollte mal gefragt werden: „Wo wart ihr, als die Nachricht des Todes von Queen Elizabeth II. bekannt wurde?“, dann können wir uns hier gut daran erinnern – auf der Premiere des neuen François Ozon-Films Peter von Kant. Mit diesen Worten und einem kurzen Moment des Innehaltens wurde diese Premiere übrigens eröffnet. Mehr zum Film und ein Interview mit Regisseur Ozon und Karl-Darsteller Stefan Crépon lest ihr in der kommenden Woche bei uns.

PPS: Nicht unterschlagen wollen wir den Beitrag „Die Farben der Queen“ von Sali Hughes, der dem Vorwort zu ihrem Buch Die Farben der Queen entspricht und wunderbar herausarbeitet, warum uns ihre Outfits trotz allem Schlichten so faszinieren mögen, welche Bedeutung die knallbunten Farben und das konsequente Colour-Blocking haben.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Denise Schweida (Hg.): God Save the Queen. Was wir an Elizabeth II. bewundern; März 2022; Hardcover gebunden; 176 Seiten; ISBN: 978-3-426-28611-1; Knaur Verlag; 16,00 €

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