Wenn der Deutsche Bundestag voraussichtlich am 11. Juni über die Änderung des Abgeordnetengesetzes abstimmt, dann ist das eine Reaktion auf die „Maskenaffäre“ der CDU/CSU in diesem Frühjahr. Mehr Transparenz soll zu mehr Kontrolle und Kontrollmöglichkeiten der politischen Entscheidungsträger führen und dem Missbrauch demokratisch verliehener Macht vorbeugen.
Die Reihe ZDF.zoom hat sich in ihrer Folge vom 26. Mai 2021 mit der Thematik auseinandergesetzt und in der Folge „Missbrauch der Macht – Wie anfällig ist unsere Politik“ vermeintlich zwielichtige Praktiken von Abgeordneten unter die Lupe genommen. Das ist einerseits noch einmal eine gute Zusammenfassung der Debatte aus dem März und April, aber andererseits an manchen Stellen erstaunlich einseitig und stellt sehr stark auf die Transparenzorganisationen abgeordnetenwatch.de und LobbyControl ab.
Ausgleichende Faktoren?
Die Macherinnen und Macher Bettina Wobst und Tim Gorbauch leiten mit dem Statement des Berliner Musikproduzenten Danny Bokelmann ein, der über die Seite abgeordnetenwatch.de Erstunterzeichner eines offenen Briefs an die deutsche Politik ist. Dieser macht seinem – nachvollziehbaren – Unmut Luft, dass Künstlerinnen und Künstler in der Pandemie leiden, die Politik teils nur schleppend Unterstützung bietet und sich einige – es sollen ja nur „Einzelfälle“ sein – die Taschen mit dubiosen Maskendeals vollstopfen. So weit, so gut oder vielmehr schlecht, scheint Bokelmanns Auftritt doch lediglich der Einleitung des Beitrags zu dienen, damit abgeordnetenwatch.de prominent ins Spiel kommen kann. Er selbst und seine Situation werden leider nicht noch einmal aufgegriffen.
Stattdessen begleitet uns Clara Helming, Sprecherin von abgeordnetenwatch.de, durch einen Großteil der restlichen Dokumentation, sodass man fast die Frage stellen könnte, inwieweit es sich hier um „Hofberichterstattung“ für die Organisation mit zweifelsfrei begrüßenswerten Zielen handelt, die natürlich auch Lobby ist. Als später die Analyse des nun erarbeiteten Abgeordnetengesetzes mit Transparenzregister folgt, werden von den Vertreterinnen und Vertretern von abgeordnetenwatch.de nur noch schärfere Forderungen erhoben. Das klingt auch ein wenig nach Fundamentalopposition, auch weil diesen in der Dokumentation keine einordnende Position entgegenstellt wird.
Gut im Sinne der Ausgewogenheit ist es jedoch, dass beispielsweise der Brandenburger CDU-Abgeordnete Hans-Georg von der Marwitz zu Wort kommt, der die Rankings der Abgeordneten mit den meisten Nebentätigkeiten seit Jahren mitanführt, da er einen größeren landwirtschaftlichen Betrieb hat, der während seiner Tätigkeit als Abgeordneter natürlich fortgeführt werden muss. Er weist auf einen tatsächlich vorhandenen Missstand hin, nämlich dass für Abgeordnete, die einen Betrieb führen, die Umsatzerlöse als Nebeneinkünfte herangezogen werden, nicht der Reingewinn (oder gar Verlust) nach Abzug aller Kosten, die natürlich bei der Führung eines Betriebs auch anfallen. Was er leider nicht schlüssig darlegt, ist, warum er jetzt nicht die Chance ergriff, sich genau für ein solches Prinzip einzusetzen. Es wäre schön gewesen, hätte Bettina Wobst danach gefragt oder von der Marwitz dies proaktiv angesprochen.
Apropos Ranking: Es wird auch eine Grafik von abgeordnetenwatch.de/Statista angezeigt, die belegt, dass die Abgeordneten der CDU die meisten Nebeneinkünfte, die der Grünen die wenigsten zu vermelden haben. Hier wäre es sicherlich nicht verkehrt gewesen, auf die sehr unterschiedlichen Fraktionsgrößen hinzuweisen, indem man beispielsweise einen Pro-Kopf-Wert angibt. An der Reihenfolge würde sich so zwar kaum etwas ändern (gegebenenfalls stünde die CSU vor der CDU), aber im Sinne der Transparenz wäre genau diese zusätzliche Angabe hilfreich gewesen.
Viele Gespräche, wenig Verständnis
Weitere Gesprächspartner der Dokumentation sind der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor, der mit seiner „Lobbytätigkeit“ für die US-Firma Augustus Intelligence (die zwischenzeitlich Insolvenz angemeldet hat) den ersten Vorgeschmack für die aktuelle Debatte bot, der frühere SPD-Abgeordnete Marco Bülow, der das Verhalten der Regierungsparteien scharf kritisiert und der, nachdem er längere Zeit fraktionslos gewesen ist, nun als Kandidat der vermeintlichen Satirepartei Die Partei erneut für den Bundestag kandidiert. Darüber hinaus der Mannheimer Professor Thomas König, der zwar richtige Dinge sagt, aber auch seine eigene Agenda zu verfolgen scheint, klingt er doch so, als empfände er Politiker beinahe per se als durchtrieben und korrupt. Außerdem ist der SPD-Abgeordnete Matthias Bartke, Verhandlungsführer seiner Fraktion zur jetzigen Reform, mit von der Partie. Er widerspricht sich in manch seinen Aussagen und treibt das recht dumpfe Spiel der SPD, immerfort allein die Union für ihre Fehltritte verantwortlich zu machen, unwürdig auf die Spitze.
Egal wie die Zuschauerinnen und Zuschauer jedoch zu all dem stehen, eine Sache dürfte alle aufregen: Der Ton. Die Nicht-mehr-Hintergrund-Musik ist vollkommen übersteuert und viel zu laut, an einigen Stellen ist auch mit bestem Gehör das gesprochene Wort kaum mehr, an den meisten „nur“ schwierig zu verstehen (jedenfalls ist das bei der knapp 30-minütigen Version der Fall).
So bleibt festzuhalten: „Missbrauch der Macht“ gibt einen passablen Überblick über das Geschehene und den aktuellen Stand; bemüht sich an vielen Stellen um Ausgewogenheit, gelingen mag es dem Film aber nicht überall, dafür gibt es verspielte Aufnahmen die aus einem Verschwörungsthriller kommen könnten (was auch schwierig ist… naja) und Nichtsätze wie: „Gerade bei der Veröffentlichung von Nebentätigkeiten, hätte Transparenz für viel mehr Klarheit gesorgt.“ Die allerdings auch ironisch interpretiert werden können und dann geht das auch.
PS: Dass das ZDF-Hauptstadtstudio nur wenige Meter neben der von Timo Lange (LobbyControl) deutlich kritisierten Lobbyagentur EUTOP liegt, hätte der Transparenz halber durchaus erwähnt werden dürfen. Und das gilt auch, obwohl die Funktionen der öffentlich-rechtlichen Medien in einer Demokratie gänzlich anders sind als die von privaten Lobbyorganisationen.
PS 2: Dass die heute-show in ihrer Folge vom 28. Mai ein ganzes Segment mit den „Kernaussagen“ der Doku füllte, ist gut gekonntes Upcycling. Allerdings ist es auch ein wenig fragwürdig, das Thema dezent undifferenziert als Satire hinzustellen und die genannten Kritikpunkte so nur noch mehr zu verstärken.
Die ZDFzoom Folge Missbrauch der Macht – Wie anfällig ist unsere Politik ist noch bis zum 26. Mai 2023 in der ZDF-Mediathek verfügbar.
ZDFzoom: Missbrauch der Macht – Wie anfällig ist unsere Politik; Ein Film von Bettina Wobst und Tim Gorbauch; ca. 30 Minuten; Eine Produktion der Bewegte Zeiten Filmproduktion im Auftrag des ZDF
HMS, Mitarbeit: AS
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