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Drinnen und draußen. Jetzt im Herbst spielt sich zunehmend wieder mehr drinnen ab. Draußen wird es kühl und windig und (hoffentlich) regnerisch. Da ist es doch gemütlich, sich ins heimelige Drinnen zu verkriechen, am besten mit einer Tasse Tee oder Kaffee und vielleicht einem kleinen Gebäckstück.

Drinnen und draußen können jenseits dieses Impulses jedoch auch als breitere Konzepte verstanden werden, nämlich als Zugangsbarriere. Ich bin drinnen, du nicht. Wie in einem Club. Ein solches Verständnis legt auch die französische Autorin Alice Zeniter an den Tag, zumindest in ihrem neuen Roman. Um das Drinnen und das Draußen geht es in Machtspiele, das in der Übersetzung von Yvonne Eglinger Ende September im Berlin Verlag erschienen ist.

Hack my life

Zwei Figuren spielen die Hauptrollen in diesem Roman: Antoine ist Sozialist durch und durch, ein Arbeiterkind aus der bretonischen Provinz, das es als Wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Parlamentsabgeordneten in den Dunstkreis der Macht geschafft hat. Für seinen Abgeordneten, der sich während seiner Amtszeit zunehmend von der Lebensrealität seiner Wählerinnen und Wähler verabschiedet hat, erledigt er alle anfallenden Arbeiten von Bürgerkorrespondenz, Reden vorbereiten bis hin zum Wäsche holen aus der scheinbar recht gediegenen Wohnung des Parlamentariers.

Daneben gibt es die arabischstämmige Hackerin L, die an so manchen Hacker-Aktionen der letzten beiden Jahrzehnte teilgenommen hat: die Aufstände in Tunesien und Ägypten werden genannt, Wikileaks und die Posse um dessen Gründer Julian Assange, Angriffe der russischen Trolle von Fancy Bear und einige andere spielen eine Rolle. L wohnt wie Antoine in Paris gemeinsam mit ihrem deutschen Partner und Hacker-Kollegen Elias, der zu Beginn von Machtspiele ob seiner Aktivitäten festgenommen wird. L sieht dunkle Mächte am Werk und wähnt sich in einer Mischung aus Verfolgungswahn und berechtigter Sorge in großer Gefahr.

Trust me?

Durch eine gemeinsame Bekannte kreuzen sich die Wege von Antoine und L. Antoine, nicht unbedingt glücklich in seinem Job und unzufrieden mit seinem Apparatschik-Dasein, ist gerade dabei, mit einem Buch über den Spanischen Bürgerkrieg und einer Geschichte über Gerta Taro und Robert Capa unter die Schriftsteller zu gehen. Er scheint einen gewissen Gefallen an L gefunden zu haben.

Die jedoch ziert sich und muss erst einmal selbst herausfinden, wem sie ihr Vertrauen schenken will. Einige seltsame Vorkommnisse in ihrem nun viel analogeren Leben lassen diese Vorsicht durchaus sinnvoll erscheinen. Sie will nicht jeden von draußen in ihre innere Gefühlswelt lassen.

Come in and find out?

Das Drinnen und das Draußen. Das sind die großen, voneinander abgeschirmten Bereiche, die Alice Zeniter hier eröffnet. Antoine ist einer von draußen, ein Aufsteiger, der sich seinen Weg ins Drinnen gebahnt hat. Dort muss er erkennen, dass es drinnen auch nicht so viel besser ist, zumindest nicht für alle. Muss nach einer Weile erkennen, dass ihn der erlahmte ideologische Motor seines Chefs in seinem Aktivismus behindert. Viel lieber würde er mit den Gelbwesten auf die Straße gehen und demonstrieren für… Ja, wofür eigentlich?

Und auch L kämpft mit dem Dualismus zwischen Drinnen und Draußen. Drinnen, also im Web ist sie jemand. Also eigentlich niemand. Aber dieses Niemand, diese Anonymität macht sie zu jemandem. Sogar mehreren Jemands. Sie schafft es, die komplexesten Probleme zu lösen, sicher geglaubte Systeme zu überlisten oder sodomitische Videos als Druckmittel gegen gewalttätige Männer zu erstellen und so Frauen zu helfen, die von ihren Männern schlecht behandelt werden. Im Draußen aber, im echten Leben, da kommt sie zuletzt kaum klar.

Blurred

Was passiert, wenn diese Grenze zwischen Draußen und Drinnen verschwimmt? Das ist eine der Herausforderungen, vor denen L und Antoine stehen. Werden wir alle doch im Alltag oft genug darauf hingewiesen, interdisziplinär, intersektional und jenseits von Silos zu denken, so freuen wir uns doch, wenn wir die Welt einfach in Schwarz und Weiß, Links und Rechts, Bunt und Einfarbig unterteilen können.

Zu viel Komplexität überfordert die meisten von uns, was uns anfällig für vermeintlich einfache Lösungen macht. Populisten nutzen das aus und behaupten einfache Lösungen für komplexe Probleme zu haben. Vielleicht stimmt das sogar, aber solch einfache Lösungen verschließen eben doch gerne den Blick auf Nebeneffekte oder ungewollte Konsequenzen, sind also vielleicht doch nicht ganz so einfach. Unser Umgang mit der Natur („Einfach abholzen. Einfach Giftwasser einleiten. Was wir nicht sehen, ist auch nicht da.“) oder mit Flüchtlingen („Obergrenze ja. Was dann mit der Person passiert, die nach Erreichen eintrifft, ist doch egal.“) sind bekannte Beispiele hierfür.

Who is who? And who’s in charge?

Auf solche Problemlagen weist Alice Zeniter in ihrem Roman nicht nur subtil hin. Alle sehnen sich nach „dem Anderen“ oder „dem Drinnen“. Dort ist aber auch nicht alles rosig und ohne Verantwortung geht es eben nicht. Aber wer trägt diese? Wer setzt die Rahmenbedingungen in einer so komplexen Welt wie unserer? Der Staat? Das Parlament, dessen Mitglieder oft keine Ahnung von dem haben, worüber sie entscheiden? Die mehr oder auch weniger wütenden Bürgerinnen und Bürger mit gelben Westen? Die Hacker? Die, die den besten Zugang zum „Drinnen“ haben?

Dahinter stehen Fragen der Legitimität und der Ideologie. Die 1986 geborene Zeniter hat sich offenbar von Stephane Hessel inspirieren lassen, der dem stark linken Spektrum zuzurechnen ist. Ist Protest auf der Straße immer zielführend? Um auf legitime Anliegen aufmerksam zu machen, auf jeden Fall. Aber was passiert, wenn jemand diese unterwandert? Oder im Internet Hass streut und aus egoistischen Motiven weiter die Propagandamaschine rührt?

Das und vieles mehr spricht Alice Zeniter hier an. Das regt zum Nachdenken an, und lässt uns Leserinnen und Leser sich in ihrer Lektüre verlieren. Leider wirkt es aber an manchen Stellen auch ein bisschen verloren und hätte vermutlich ein wenig gestrafft werden können. Nichtsdestoweniger handelt es sich bei Machtspiele um einen klugen Roman, der aufrütteln will, uns in das Frankreich der letzten 20 Jahre mit all seinen Problemlagen mitnimmt und darüber hinaus so kryptische Welten wie das Darknet zumindest ein kleines bisschen für uns entschlüsselt.

HMS

Alice Zeniter: Machtspiele; Septebmer 2023; Aus dem Französischen von Yvonne Eglinger; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; 416 Seiten; ISBN 978-3-8270-1436-8; Berlin Verlag; 26,00 €

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