Mal gewinnt man, mal verlieren die anderen

Das jedenfalls gilt zumeist für den nach eigenen Angaben besten Lobbyisten Berlins: Max Lentor (Helgi Schmid), in der Serie Wo wir sind, ist oben tätig für ABC & Partner. Doch ob das so bleibt? Trifft der hochfliegende Lobby-Profivogel doch unerwartet auf ein New Kid in Town. Die von Brüssel nach Berlin beorderte Valerie Hazard (Nilam Farooq) ist nicht nur gekommen, um erstmal zu bleiben, sondern auch, um mit ihrer Agentur Pegasus den Branchenprimus ABC vom Baum zu stoßen. Ihr Nachname kommt dabei einer Ansage gleich.

Gute Lobby, böse Lobby

Laut Lobbyregister des Bundestages sind dort aktuell 6.242 Interessenverter*innen registriert. In ganz Deutschland gibt es schätzungsweise um die 30.000 Lobbyist*innen, wie auch Helgi Schmid im Presseheft zur von Christian Jeltsch entwickelten Serie erwähnt. Dass sich ohne diese in Politik und Gesellschaft kaum etwas bewegen würde und nicht jede Lobby für die großen, neoliberalen, hart kapitalistischen Interessen einsteht, die „wir“ mit der Kraft aller synonym für „Voldemort“ verwendeten Worte unhinterfragt aburteilen, ist dabei nicht allen klar. Ob Greenpeace, der WWF, die gern „israelkritische“, im übertragenen Sinne auf Geldsäcken sitzende NGO Amnesty International oder letztlich auch Fridays for Future – sie alle betreiben Lobbyarbeit, mal besser, mal schlechter.

Politiker Dr. Heiner Harmsen (Lutz Blochberger, Mitte) kann sich nicht entscheiden, wer die besseren Argumente hat – Max Lentor (Helgi Schmid, li.) oder Valerie Hazard (Nilam Farooq, re.) // © ARD Degeto/Isarstraßen Film/Nik Konietzny
Felix Fichtner, Susanne Porsche – Produzenten

Sie alle stehen für Anliegen, die in erster Linie einen Teil der Gesellschaft repräsentieren und mit denen sie versuchen, gesamtgesellschaftlich zu wirken und Einfluss zu nehmen. Ohne Zugang ist dies aber kaum möglich. Diesen schaffen Agenturen oder direkt in den Organisationen tätige Lobbyist*innen sowie Spindoctors. Ist das schlecht? Nein. Ist es schlecht, wenn diverse NGOs sowie Industriezweige sich um Einfluss, Repräsentanz und Wirksamkeit bemühen? Nein. Es ist gelebte Demokratie. Wer sich natürlich von Reisen und Mitgliedschaften in Berliner High-Society-Polit-Clubs mit netten Dachterrassen verführen lässt und deshalb im Land- und Bundestag sein*ihr Abstimmungsverhalten ändert… nun, diese Person gehört kritisiert. Nicht jedoch jener Mensch, der oder die die entsprechenden Mittel zu nutzen weiß.

Einmal Lobby mit alles bitte

So etwa schildert es auch der dank Helgi Schmid wunderbar leichtfüßig durch die nicht selten bebende politische Landschaft flatternde Max Lentor in einer Talkshow mit Hauptstadt-Moderationsikone Nina Well (Annabelle Mandeng), die aus einem Studio sendet, das irgendwie noch in der Jahrtausendwende hängengeblieben ist. Sei’s drum – die Message, die die von Christian Jeltsch, Sebastian Bleyl und Anneke Jannsen (How to Dad) flott, schlagfertig und smart geschriebene erste Staffel von Wo wir sind, ist oben über die Mechanismen der Polit-Kommunikation und medialen Verwertung rüberbringen will, wird verstanden. Dies nicht zuletzt durch das an BILD TV erinnernde MACH TV und Moderator Kilian Armelt (Maximilian Grill).

Frank Brenneke (Kai Ivo Baulitz, re.) vom Pflegekräfte-Verband muss sich dem Boulevard-Master Kilian Armelt (Maximilian Grill, li.) stellen // © ARD Degeto/Isarstraßen Film/Nik Konietzny

Unterhaltsam und schlagfertig, gut recherchiert und spannend erzählen die acht Folgen dieser Staffel von einer Öko-NGO versus einem Industrieverband, Schweinen und dem hodenlosen Holger, Verhütungsmitteln in Trinkwasser, Pflegerobotern (übrigens auch ein Thema auf der kommenden Langen Nacht der Wissenschaften in der Lobbymetropole Berlin am 22. Juni 2024) versus Pflegekräfte-Verband, Braunkohleabbau und dem geplanten Abriss eines brandenburgischen Dorfes namens Daunitz (pikanterweise dem Geburtsort Lentors), Toyboys und echten Gefühlen, Schampus und Wein, Laserdrohnen „made in Germany“. Ebenso von Neu- und Umbesetzungen in Verbänden, der Politik und einer anstehenden Kanzler*innenkandidatur. Also allem, was sich so in Legislative und Judikative bewegt. Von der vierten und fünften Gewalt sowieso. Dabei musikalisch immer von Parov Stelar und und Robert Matt.

The winner takes it all

Dabei kommt die Dramedy Wo wir sind, ist oben so gut wie nie mit erhobenem Zeigefinger daher, schafft es aber Abgeklärtheit sowie Zynismus mit Sympathie und Menschlichkeit zu verknüpfen. Jede*r hier, nicht nur die Hauptfiguren Lentor und Hazard, suchen doch irgendwie nach einem Ort, für sich, nach Antworten, nach einem sinnstiftenden Zweck. Oder anders: Ihr Ehrgeiz und Kampfwille sind nicht in einem Vakuum entstanden. Das merkt Max vor allem, als er sich durch das Auftauchen seiner schwangeren Schwester CeeCee (Valerie Stoll) und somit seiner Familie, die er lange verlassen hat, mit Fragen und Unsicherheiten der Vergangenheit konfrontiert sieht.

Beim Runden Tisch zum Daunitzer Wald sollen alle Seiten sprechen: Landrat Falko Huber (Sönke Möhring, li.), Industrievorstand Hilde Diggering (Anna Böttcher, 2. v. li.), Moderatorin Nina Well (Annabelle Mandeng, Mitte l.) und Aktivistin Ceecee (Valerie Stoll, 2. v. re.) // © ARD Degeto/Isarstraßen Film/Nik Konietzny

Aber auch Valerie kommt nicht unbelastet in die Schlangengrube an der Spree, wie wir nach und nach und zugegeben etwas schleppend erfahren – wenn Serien über diverse Folgen hinweg nur mit Andeutungen arbeiten, aber alle Figuren Bescheid wissen, fühlt mensch sich gern ein wenig veräppelt. Sie soll sich hier beweisen und stellt fest, dass, als sie CeeCee erstmal pragmatisch, dann freundschaftlich-suchend zum Gesicht des Daunitzer Widerstands macht, es doch um mehr gehen kann. Dass sie dabei immer mal wieder Max, den sie kennen und als Feindesfreund zu schätzen lernt, ans Messer liefert, fällt in die Kategorie: „Möge der oder die Bessere gewinnen.“

Lobbyismus not always at its best

In diesen Momenten schlingern Drehbuch und Ton der ganzen Nummer etwas. Es soll ein Wettkampf smarter Gegner*innen auf Augenhöhe sein, allerdings nutzt Valerie, ohne zu viel spoilern zu wollen, Max‘ Familie mehr als einmal gegen ihn, was er ihr zügig verzeiht und meint, er hätte das Gleiche getan. Allein wirkt der Charakter anders angelegt und wir mögen es nicht so recht glauben. Darüber hinaus wird er persönlich und körperlich angegangen, was einzupreisen gewesen wäre. Bei sich in Sympathie verbundenen Konkurrenten scheint uns dies, durchaus als Kenner*innen mancher Berliner Polit-Gepflogenheiten, dann doch als No-Go.

Die Pläne von Herta Zickler (Ulrike Kriener, li.) und ihrem Lobby-Zögling Max Lentor (Helgi Schmid, re.) scheinen aufzugehen // © ARD Degeto/Isarstraßen Film/Nik Konietzny

Anyway, das tut Wo wir sind, ist oben keinen Abbruch. Zu gut geschrieben sind die meisten Folgen. (Einzig Episode fünf fällt hier als eher schwach ins Gewicht. Da ist zu viel Soap, zu viele Ad-Hoc-Ideen und gute Pläne, die nur auf hypothetischen Annahmen beruhen, dass es schon wieder unlustig wird.) Zu gut von Ahmet Tan und Felix Striegel an Schauplätzen wie der Dachterrasse auf dem Reichstag, dem Ottobock Science Center Berlin oder dem fiktiven Café Albert (sicherlich angelehnt an das Café Einstein Unter den Linden) im ehemaligen Hotel Savoy gegenüber dem Delphi Filmpalast gefilmt. Zu gut besetzt ist sie auch. Mit Ulrike Kriener als Grande Dame des bundespolitischen Lobbyismus und Förderin Lentors Herta „Z“ Zickler, Jan-Gregor Klemp als Dr. Jan Janussen, Chef von ABC, und der geschätzten Barbara Philipp als Louise Wörner, die länger wie ein willkommener Sidekick wirkt, dann aber aus der Deckung kommt – Lobbyismus at its best quasi –, spielen drei Vollprofis Vollprofis, die in Erinnerung bleiben.

Vo(ö)gelfrei

Zusätzlich freut in der von Wolfgang Groos (Folgen eins bis vier) und Matthias Koßmehl (Folgen fünf bis acht) belebt aber nie chaotisch inszenierten Serie die Offenheit in Bezug auf Gut/Böse, Schwarz/Weiß und vor allem Selbstbestimmung und sexuelle Freiheit. So lebt Valerie Hazard ihre sexuellen Bedürfnisse genau nach ihrem aktuellen Begehren aus (was ein wenig an ihre Rolle in Sönke Wortmanns Eingeschlossene Gesellschaft erinnert, der im Rahmen des Sommerkinos Anfang Juli im Ersten zu sehen ist; eine Besprechung folgt) und rechtfertigt sich ohnehin kaum für irgendetwas, etwa auf einer „Porn Pro Planet“-Party oder während sie telefoniert mit Lack und Latex (und/oder Leder?) im Hintergrund.

Sven Grosny (Brix Schaumburg, li.) und Max Lentor (Helgi Schmid, re.) bereiten für die Roboterherstellerin Ellen Kehrer (Frida-Lovisa Hamann, Mitte) eine Kampagne vor // © ARD Degeto/Isarstraßen Film/Nik Konietzny

Mit Max‘ Assistenten Sven Grosny, den Brix Schaumburg wunderbar nahbar gibt, kommt nicht nur eine immer menschliche Stimme der Vernunft vor, sondern als ganz selbstverständliche lebende und agierende trans*-Person bzw. Person in Transition, die ohne jeden belehrenden Ansatz ein wenig vielfältige Lebenswirklichkeit in die Wohnzimmer trägt. Bi– beziehungsweise Pansexualität ist ein Thema, genauso wie Verdrängung und Unsicherheit. Bei aller schlagfertigen Oberflächlichkeit erzählt Wo wir sind, ist oben doch eine glaubwürdige Geschichte von Menschen, die lernen müssen, mit sich, ihrer Umgebung, den Erfolgen und Niederlagen umzugehen.

Kleine Abstriche

Dass die letzte Folge dieser ersten Staffel an mancher Stelle ein wenig pathetisch und recht hektisch geraten ist, wollen wir den Macher*innen gern nachsehen. Weniger schon manch eine Wendung, die in mittelmäßigster Tatort-Manier plötzlich Dinge enthüllt, die so deutlich auf der Straße lagen, dass mensch sich wünschte, es wäre ein anderer Weg eingeschlagen worden. Nennen wir es mal plump Täter-Opfer-Umkehr, denn anders als plump können zumindest – leider – einige Elemente des Staffelfinales nicht bezeichnet werden.

Vielleicht ging es immer darum, dass wir Feuer spucken – der junge Max Lentor (Arsseni Bultmann) hat ein Geheimnis// © ARD Degeto/Isarstraßen Film/Nik Konietzny

Dessen unbenommen ist Wo wir sind, ist oben eine starke Nummer, die auch in schwachen Momenten noch viele andere Serien auszustechen weiß. Und letztlich ließe sich wohl manches, das hier im Cliffhanger-Finale angedeutet wird, in einer zweiten Staffel vertiefen. Die es hoffentlich geben wird – was einen regen Zugriff auf die ARD-Mediathek voraussetzt, denn versendet wird die Serie im Ersten jeweils in der Nacht von Freitag auf Samstag sowie Samstag auf Sonntag. Oder eher versteckt.

Patrick (Doguhan Kabadayi, re.) hat die Seiten gewechselt und kämpft jetzt mit Ceecee (Valerie Stoll, Mitte) und Valerie Hazard (Nilam Farooq, li.) zusammen // © ARD Degeto/Isarstraßen Film/Nik Konietzny

Wer also heute Nacht nach dem FußballEuropameisterschafts-Eröffnungs-Und-Vorrundenspiel Deutschland gegen Schottland noch nicht genug von sauber gescheitelten Playern wie Toni Kroos und Co. hat, dem und der sei angeraten, die ersten vier Folgen von Wo wir sind, ist oben im Ersten zu schauen.

Duh.

AS

PS: Apropos Fußi-EM: Wo doch Leon Goretzka nicht eingesetzt wird – der kann gern zum Schauen herkommen.

PPS: Apropos Fußi-EM II: Sehenswerte Dokumentation zur vermeintlichen Abwesenheit von Homosexualität im Profifußball der Männer.

Yay – Franz Dinda ist auch am Start. Max Lentor und sein alter Freund Paul Hempel // © ARD Degeto/Isarstraßen Film/Nik Konietzny

PPPS: Zur Fortsetzung von Serien im Ersten: In einem Interview mit DWDL haben Christoph Pellander und Thomas Schreiber (beide ARD Degeto) angegeben, dass derzeit an der zweiten Staffel von Oderbruch (Rezension folgt noch) gearbeitet wird und sie sich eine Fortsetzung von Die Zweiflers wünschen (wir uns nach dieser grandiosen ersten Staffel auch). Das vor allem aufgrund der guten Abrufzahlen in der Mediathek. Bleibt zu wünschen, dass dies auch für die oben besprochene Serie gelten wird.

PPPS: „Wenn schon Alkoholiker, dann öffentlich und mit Stolz.“

Pig Business // © ARD Degeto/Isarstraßen Film/Nik Konietzny

Wo wir sind, ist oben ist ab heute in der ARD-Mediathek verfügbar; die ersten vier Folgen zeigt Das Erste heute Nacht ab 23:50 Uhr und in der Nacht von Samstag auf Sonntag ab 00:35 Uhr die verbleibenden vier.

Wo wir sind, ist oben; Deutschland 2024; Idee: Christian Jeltsch; Drehbuch: Christian Jeltsch, Anneke Jannsen, Sebastian Bleyl; Regie: Wolfgang Groos, Matthias Koßmehl; Bildgestaltung: Ahmet Tan, Felix Striegel; Musik: Parov Stelar, Robert Matt; Darsteller*innen: Helgi Schmid, Nilam Farooq, Ulrike Kriener, Jan-Gregor Kremp, Brix Schaumburg, Valerie Stoll, Johannes Allmayer, Barbara Philipp, Bärbel Schwarz, Maximilian Grill, Annabelle Manding, Franz Dinda, Anna Böttcher, Doguhan Kabadayi, Frida-Lovisa Hamann, Thorsten Merten; acht Folgen à ca. 45 Minuten; Eine Produktion der Isarstraßen Film GmbH in Koproduktion mit der ARD Degeto. Die Serie wurde gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg, FilmFernsehFonds Bayern, German Motion Picture Fund und der Mitteldeutschen Medienförderung

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert