Beitragsbild: Ein letztes Mal in dieser Konstellation: Ermittlungen im Rostocker Kommissariat: v. l. n. r.: Henning Röder (Uwe Preuss), Alexander Bukow (Charly Hübner), Volker Thiesler (Joseph Heynert), Anton Pöschel (Andreas Guenther), Katrin König (Anneke Kim Sarnau) // © NDR/Christine Schroeder
UPDATE vom 9.1.2022, 21:55 Uhr: Am Ende des Textes beim PS
Unsere Besprechung zur vergangenen Rostocker Polizeiruf 110-Folge Sabine leiteten wir mit den folgenden Fragen ein: „ Wann ist dieser Moment erreicht, in dem es einfach reicht? Wann ist der Punkt gekommen, an dem ein Schalter umgelegt wird?“ Diese Fragen können wir hier nun im Grunde wiederholen, wenn auch nicht auf eine „Sabine“ sondern auch Alexander „Sascha“ Bukow (Charly Hübner) bezogen, der in Keiner von uns nach 24 Folgen Abschied von der Rostocker Halbwelt nimmt.
Abschied und Neuanfang
War bereits die vergangene Folge von einem beginnenden Abschied und dem damit einhergehenden Neuanfang geprägt – die Trauerfeier für Veit Bukow (Klaus Manchen), das Auftauchen der Halbschwester Bukows, Melly Böwe (Lena Beckmann, im wahren leben die Ehefrau Charly Hübners), eine Affäre mit Kollegin Katrin König (Anneke Kim Sarnau), die nun, gemessen an der Beziehungskompetenz der beiden, eine echte Beziehung ist und nicht zuletzt Bukows Drang auch seine „Familie“ im Underground nicht im Stich zu lassen, ist der heutige Teil definitiv vom Ende geprägt. Wenn auch einem unbekannten Ende, denn die Presseversion ist um knapp 15 Minuten gekürzt – auch wir wissen nicht, wie Bukow sich verabschiedet, aber über die Folge verteilt gibt es dennoch mehrere Andeutungen beziehungsweise Exit-Strategien.
Ein fulminanter Ausstieg allerdings wird versprochen, Lautstärke und Gewalt sollten noch einmal erhöht werden. Einen passenden Abschied schaffen, sagen Eoin Moore (Drehbuch und Regie) und Anika Wangard (Drehbuch). Moore schuf das Team mit, inszenierte und schrieb 2010 die erste Folge Einer von uns. Einen geschlossenen Kosmos zu erzählen, sei die Absicht gewesen. Und so wie Keiner von uns in allem Absurden und Erschreckenden, aber auch Witzigen und Anrührenden wirkt, dürfte dieser Anspruch erfüllt werden.
Zahnbürsten, Morde und Musiker
Alles beginnt mit dem Mord (eigentlich mit einer geteilten Zahnbürste…) an Tito (Alexandru Cîrneală), dem Inhaber des Musikclub MIAU. Da Geld fehlt und ein Streit vorausging, steht schnell der semi-abgehalfterte Musiker Jo Mennecke (Bela B Felsenheimer) unter akutem Verdacht. Andererseits kommen Gerüchte auf, dass sich etwas in der Rostocker Unterwelt verschöbe: Ein ominöser „Falke“ versuche krachend einzusteigen. Als dann schließlich mit Zoran Subocek (Aleksandar Jovanovic) ein alter Bekannter auftaucht, der Bukow und König ordentlich unter Druck setzt und Licht ins Dunkel des gewaltsamen Todes von Veit Bukow kommt, ist schnell klar: Das löst sich nicht mit einem Gesprächskreis auf.
Sascha Bukow begreift sich, als er erst einmal die Dimensionen des Mordes an Tito verstanden hat, schnell wieder als Einzelkämpfer. „Bukow hat den Instinkt seines Vaters, der sagt, ich regele das alles auf meine Art. Ich komme schon klar“, wie Eoin Moore sagt. Nur kommt hier dazu, dass Katrin König es ernst mit ihm meint, dass sie bereit ist, Konsequenz aus einem vor Jahren begangenen… nennen wir es Fehler zu ziehen, und auch Konsequenzen für ihre Beziehung zu ziehen. Anneke Kim Sarnau zur Rolle Königs: „Wenn ich es schaffe, mal über meinen eigenen, schrägen Schatten zu springen, dann könnte alles gutgehen.“ Einer der besten und abstrusesten Heiratsanträge ever erwartet uns in Keiner von uns. Großer Witz, dann große Emotion im Kleinen. Charly Hübner trägt diesen Bukow mit all seinen Facetten und seiner breitbeinigen Weirdness schon klasse.
Dinge, die ineinander greifen
Ein weiteres Highlight, das für ein wenig Auflockerung in einer sonst sehr düsteren, dezent Hoffnungslosigkeit ausstrahlenden Folge sorgte, ist Bela B Felsenheimer als verdächtiger, irgendwie verlorener und doch nicht ganz abgeschriebener Musiker Jo Mennecke. Etwas, das hier übrigens weit besser funktioniert, als Udo Lindenberg als Udo Lindenberg in einem schlecht getimten Super-Duper-Spezial-Tatort von Detlev Buck, der auf nahezu keiner Ebene funktionierte, außer jener, sich total geil zu finden.
In Keiner von uns ist es einer, wenn auch verschachtelten, so aber doch geradlinigen Erzählweise zu verdanken, dass Spannung und Anspannung hoch bleiben. Genau wie Bukow erkennen auch wir Zuschauer:innen schnell, dass es Subocek wohl nur vermeintlich um den Einstieg ins Rostocker Business gehen dürfte. Ein Vorwand um kalte und perfide Rache zu üben, etwas, das Aleksandar Jovanovic ganz ausgezeichnet rüberbringt und einen der stärksten und kompromisslosesten Dämonen seit Langem im deutschen Fernsehen präsentiert. Dass der Film nicht mit zig unnötigen Wendungen gespickt ist, trägt sein Übriges dazu bei.
Mehr als nur Fan-Service
An dieser Stelle ein Geständnis: Ich kenne nur einzelne Folgen der Rostock-Reihe. Neben der nun vorerst primär allein ermittelnden Doreen Brasch gehören sie aber zu den Favoriten des Sonntags-Krimis (überhaupt wagen die Polizeiruf 110-Filme gefühlt mehr und erzählen mehr Geschichte als Egos) und somit sollen die fehlenden Teile ergänzt werden. Dennoch, und das ist ein großer Verdienst von Keiner von uns, ist die Geschichte hier so erzählt, dass auch jene, die nicht jedes Detail kennen, mitkommen. Es ist kein reiner Fan-Service, vielmehr bringt er Lust, sich mit diesem Universum zu befassen.
Nun ist am Ende also die Frage im Raum: Wie geht Bukow? Siegt der Engel oder der Teufel, die beide immer in ihm lebten. Siegt womöglich eine Schusswunde? Setzt er sich einfach ins Auto und fährt ins Wasser? Wenn jedenfalls Charly Hübner sagt „Es ist, als ob es nicht sein darf, als ob es sein Schicksal ist, dass er niemals der weiße Engel werden darf“, dann sind wir ziemlich sicher, dass der laute und fulminante Abschied, der laut Hübner eine drastische Variante sei, uns sicher nicht enttäuschen wird.
Es gilt also: unbedingt sehenswert!
AS
PS: Wir werden die Besprechung Montagmorgen noch um ein paar Gedanken zum dann gesehenen Ende ergänzen.
UPDATE, 9.1.2022, 21:55 Uhr: Oder auch am Sonntagabend. Machen wir’s kurz: Das Ende schien so passend wie nur möglich und juchhe: ging in eine Richtung, die wir vermutet und erhofft hatten. Wie auch der Rest von Keiner von uns bleibt es spannend und emotional packend bis zur letzen Sekunde, ohne den Bogen zu überspannen.
PPS: Übrigens wird die erwähnte Lena Beckmann als Melly Böwe fortan an der Seite von Katrin König ermitteln. Ganz ohne irgendwas mit Bukow müssen wir dann also nicht auskommen.
Polizeiruf 110: Keiner von uns: Am 9. Januar 2022 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one, anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Polizeiruf 110: Keiner von uns; Deutschland, 2022; Regie: Eoin Moore; Drehbuch: Eoin Moore, Anika Wangard; Kamera: Florian Foest; Musik: Warner Poland, Wolfgang Glum, Kai-Uwe Kohlschmidt; Redaktion: Daniela Mussgiller; Produzent:innen: Iris Kiefer, Nikola Bock; Darsteller:innen: Anneke Kim Sarnau, Charly Hübner, Andreas Günther, Josef Heynert, Uwe Preuss, Bela B Felsenheimer, Aleksandar Jovanovic, Sithembile Menck, Alexandru Cîrneală, Alessija Lause, Lilith Stangenberg, Oskar Bökelmann; Laufzeit ca. 89 Minuten; Eine Produktion der Filmpool fiction GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für Das Erste
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