Gesucht: Daniel A. aus R. 

„So viele trans Personen hat man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ja noch nicht gesehen, und ich hatte, ehrlich gesagt, Sorge, dass das ganze Thema ein bisschen oberflächlich bleibt und es um eine Figur geht, die hauptsächlich aus Stereotypen besteht“, sagt Schauspieler Jonathan Perleth im Presseheft zum heutigen Polizeiruf 110: Daniel A. Perleth spielt den titelgebenden Daniel A., der nach dem Tod der Grundschullehrerin Nathalie Gerber gesucht wird — und unter dringendem Tatverdacht steht.

Neue Teamdynamik

Zwar ist nicht ganz sicher, ob es nun Mord oder eher Totschlag und ein ganz doofer Unfall mit Pech war (Anneke Kim Sarnaus Katrin König hierzu: „Pech ist, wenn dir ein Ziegel auf den Kopf fällt“). Die Kollegen Anton Pöschel (Andreas Guenther) und Volker Thiesler (Josef Heynert) jedenfalls machen sich eher entspannt an die Aufklärung dieses Delikts. Was auch daran liegen mag, dass nun Melly Böwe (Lina Beckmann) auf die Stelle des gegangenen Bukow kommt, was natürlich neue Konfliktlinien im Team schafft.

Das neue Rostocker Polizeiruf-Kommissarinnen-Team; Melly Böwe (Lina Beckmann, l.) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau, r.) // © NDR/Christine Schröder

Zurück zum eigentlichen Fall und oben zitierter Aussage: Die anfänglichen Befürchtungen von Jonathan Perleth, der im Presseheft sagt, gerade ein halbes Jahr Testosteron genommen zu haben und noch mitten im Schauspielstudium in Bern gewesen zu sein, als die erste Casting-Anfrage kam, erfüllen sich nicht. Ein Hinweis darauf ist schon allein die Besetzung einer trans*Person für eine entsprechende Rolle. 

Neuer Verlauf

Auch verläuft dieser Rostocker Fall ein wenig anders: Von Beginn an wissen wir Zuschauer*innen, wer für den Tod Nathalie Gerbers verantwortlich ist — der überambitionierte StalkerNachbar Marc Wigand (Max Krause) — und dass Daniel recht schnell durchblickt, was da los ist. Andererseits war es Daniel, den man(n) zuletzt mit der Toten sah. Ermittlungsgemäß wollen die Kommissarinnen nun also mit dem jungen Mann sprechen…

Trans*Mann Armin (Bernd Hölscher, r.) ist ein enger Vertrauter Daniels (Jonathan Perleth, l.) // © NDR/Christine Schröder

…der wiederum will eher nicht so gern gefunden werden, denn noch ist er nur gegenüber den wenigsten Menschen als trans* geoutet. Vor allem vor dem Vater, einem vermutlich so gutmeinenden wie cholerischen Polizisten (Jörg Witte), fürchtet sich Daniel, der bei der Familie noch als Daniela bekannt ist. Hier trifft Drehbuchautor Benjamin Hessler die seltsame Entscheidung, aus Daniela eben Daniel A. zu machen (der Familienname ist Adamek). Das ist, nun, eher untypisch. Julian wird sich auch eher weniger Julia nennen. 

Zugunsten des sicherlich gutgemeinten Films wollen wir einfach mal davon ausgehen, dass die Macher*innen die gern verwöhnten Sonntagskrimi-Zuschauer*innen nicht verwirren wollten. Am Ende würde hier noch trans*Sein mit Schizophrenie verwechselt. Eine weitere dezent schwierige Entscheidung ist jene, dass Daniel zwar aus gutem Grund besorgt ist, seine konsequente Weigerung zur Polizei zu gehen, jedoch eher als rein egoistische Maßnahme gezeichnet wird. Die Zweifel des jungen Mannes hätten hier nachvollziehbarer ausgestaltet werden können. 

Alte Sorgen

Kürzlich schrieb ich, dass ich es begrüße, wenn Personen aus der LGBTIQ*-Community im fiktiven Mainstream stattfinden und dies nicht nur als Randcharaktere für einen Comic Relief. Natürlich bestehen dabei auch Gefahren, gerade wenn dies Leute umsetzen, deren Bezug zu Queerness womöglich nicht so ausgeprägt ist. 

„Ich verfolge den öffentlichen Diskurs über das Thema sehr genau und sehe da wahnsinnige Widersprüche. Einerseits geht es vielen Menschen aus der Transcommunity, die vor nicht allzu langer Zeit noch ganz im Geheimen leben mussten, heute so gut wie nie. Schon, dass es den Begriff ‚Transcommunity‘ überhaupt gibt, dass sich eine solche bilden konnte, ist objektiv ein riesiger, nicht genug zu feiernder Fortschritt. Andererseits ist für mich fraglich, wie viel von diesem Fortschritt wirklich in der Lebensrealität vieler trans Menschen ankommt. Wie viel davon findet im Wesentlichen nur auf Social Media statt? Das Gefühl, dass wir so progressiv sind wie noch nie, könnte trügerisch sein, denn auf der Mikroebene, innerhalb konkreter Familien wie der von Daniel, die ja keine absurd unrealistische Familie ist, bestehen die Tabus und Zwänge weiter. Das hat mich angetrieben.“

Autor Benjamin Hessler über sein Drehbuch

In diesem Zusammenhang möchten wir Benjamin Hessler einen Blick auf unsere Seite empfehlen. Denn ein Punkt, den ich auch nach längerem Nachdenken und Abwägen einfach nicht so recht abschütteln kann und der viel gut gemeintes konterkariert, ist die Aussage Katrin Königs, wie leicht es gewesen wäre, Daniel zu entlasten. Schließlich würde nach einem Mann, also einem biologischen Mann gesucht werden. Und hier gibt es eben einen Unterschied zwischen Biologie und Biologismus

Alte Fehler

Nun könnten wir sagen, gut, die Frau König weiß es eben nicht besser und meinte es doch nur gut. Dann denke ich aber wieder daran, wie schnell diese Aussage kurz vor Filmschluss dazu verleiten könnte, zu sagen: „Na, siehste! Das sag ich doch seit Jahren! Aber diese trans*Aktivist*innen und Transistinnen oder -nistrien und Transvestiten, die wollen uns mit ihrer Agenda ja mundtot machen!“ 

Katrin (Anneke Kim Sarnau, r.) hatte den richtigen Riecher; Daniel (Jonathan Perleth, M.) ist zu Armin (Bernd Hölscher, l.) geflüchtet // © NDR/Christine Schröder

Keinen Moment unterstelle ich dies dem Autoren und auch nicht dem Regisseur Dustin Loose, der beim Dreh laut Jonathan Perleth so sensibel als möglich gewesen sein soll. Ganz im Gegenteil, eher möchte ich vermuten, dass sie einen sortierenden Unterhaltungsbeitrag zu einer aufgeladenen Debatte beisteuern wollten und wollen. Und doch: Irgendwo las ich neulich erst wieder, dass die besten Absichten Kriege auslösen können. Da passt es nur, wenn unsere Autorin Nora Eckert ihre Buchbesprechung zu Shon Fayes Die Transgender-Frage im Spätsommer mit „Lauter Kriegsberichte von der Gender-Front“ überschrieb. Ein kurzer Satz kann schlimmstenfalls alles, was mühsam errichtet wurde, einreißen. Hoffen wir mal, dass hier die Wirkung der guten Absichten einen Fauxpas aufwiegt. 

QR

PS: Passing spielt hier übrigens auch eine Rolle; der Punkt kam mir recht sauber aufgegriffen vor. Eher unschön ist eine unglückliche Liebesgeschichte, die zum Ende noch für Spannung sorgen soll und irgendwie deplatziert wirkt.

Katrin König (Anneke Kim Sarnau), Daniel (Jonathan Perleth), Melly Böwe (Lina Beckmann), v.l.n.r. // © NDR/Christine Schröder

Polizeiruf 110: Daniel A. läuft am 19. Februar 2023 um 20:15 im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Polizeiruf 110: Daniel A.; Deutschland 2023; Regie: Dustin Loose; Drehbuch: Benjamin Hessler; Kamera: Clemens Baumeister; Musik: Dürbeck & Dohmen; Redaktion: Daniela Mussgiller, Philine Rosenberg; Darsteller:innen: Anneke Kim Sarnau, Lina Beckmann, Andreas Günther, Josef Heynert, Uwe Preuss, Jonathan Perleth, Jörg Witte, Alina Stiegler, Max Krause, Bernd Hölscher; Laufzeit ca. 89 Minuten; Eine Produktion der Filmpool fiction GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für Das Erste 

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