Stirb, du Frau!

Geschlechterspezifische Gewalt, im Englischen gender based violence (GBV), ist ein großes soziales Problem im südlichen Afrika. Vor allem Frauen haben unter Gewalt ihrer Partner, Väter, o. ä zu leiden. Oft sind Alkoholismus, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit wichtige Ursachen. Im globalen Norden findet dieses Problem allerdings kaum Beachtung.

Heimchen und Opfer

Dabei ist geschlechterspezifische Gewalt und vor allem Gewalt gegen Frauen ein strukturelles Problem, das es auch bei uns gibt – leider. arte widmet diesem wichtigen Thema daher am 17. Mai einen ganzen Themenabend mit dem #Metoo – und dann?. Vier Dokumentationen werden an diesem Abend ausgestrahlt: Wir sind keine Puppen! von Michèle Dominici beschäftigt sich mit der Geschichte der Hausfrau, während die Filme Du gehörst mir! Das Muster der Frauenmorde sowie Feindbild Frau vor allem vom Thema Gewalt gegen Frauen handelt. In Zur Hölle mit den Machos von Marie-Kristin Boese geht es abschließend um das Aufbegehren von Frauen in Lateinamerika gegen ihre strukturelle Benachteiligung (die übrigens Theresa Leisgang und Raphael Thelen in ihrem Buch Am Puls der Zeit am Beispiel Subsaharaafrika gut herausstellen).

Auch wenn alle vier Dokumentationen sehr sehenswert sind, werden wir uns im Folgenden vor allem mit den beiden Filmen Du gehörst mir! von Regisseurin Ulrike Bremer sowie Feindbild Frau von Ursula Duplantier befassen, da sie ganz explizit auf das Thema der körperlichen Gewalt gegen Frauen abzielen. Auch jede andere Form von Unterdrückung und Geringschätzung ist selbstverständlich Gewalt – Hannah Ross illustriert dies sehr gut in ihrem Buch Revolutions über die Frau und das Fahrrad –, aber die genannten Filme bieten einen tiefen Einblick in ein Problem, dessen wir uns hierzulande in der Breite allzu wenig annehmen.

Femizide

Harter Tobak ist die Dokumentation Du gehörst mir!, die sich mit Frauenmorden beschäftigt, so genannten Femiziden – auch wenn der Begriff in Deutschland noch nicht wirklich etabliert ist. Konsequenz ist, dass Femizide in Deutschland, anders als in anderen europäischen Staaten, nicht gesondert statistisch erfasst werden, beziehungsweise die Zahlen, die hierfür vorliegen, vermutlich nur einen kleinen Ausschnitt der harten Wirklichkeit darstellen.

Du gehörst mir! Das Muster der Frauenmorde: Vanessa Münstermann kümmert sich inzwischen selbst um Opfer häuslicher Gewalt // © HR

Regisseurin Ulrike Bremer und ihr Team sprechen mit Frauen, Angehörigen und dem Umfeld von betroffenen Frauen aus Frankreich, Deutschland und Spanien. In Frankreich erregte der Fall von Chahinez B. vor einigen Jahren Aufsehen, die von ihrem Mann erst aus Algerien geholt wurde, anschließend aber mit ihren Ängsten und der Gefahr bei der örtlichen Polizei in Bordeaux nicht durchdrang. In Berlin beleuchten Bremer und ihr Team den Fall der Künstlerin Rebeccah Blum, die sich in einer toxischen Beziehung zu einem Künstler befand, der sie mehrfach bedrohte und schließlich tötete.

Zwei weitere Formen von Gewalt gegen Frauen sind nicht weniger abscheulich, selbst wenn die Frauen mit dem Leben davongekommen sind: Vanessa Münstermann aus Hannover wurde von ihrem ehemaligen Partner mit Säure übergossen und verlor dabei unter anderem ein Auge. Und eine namentlich nicht näher genannte Spanierin verlor ihren Sohn, den ihr verletzter Mann während eines Wochenendes tötete, primär um sie zu verletzen. Es sind vier grausame Fälle, die Bremer und ihr Team zusammenstellen, um uns die Bandbreite und das Ausmaß des gesellschaftlichen Problems der Femizide zu illustrieren.

Frauenhass

Gewalt und Hass gegen Frauen gehen aber deutlich darüber hinaus, wie wir in Feindbild Frau von Ursula Duplantier und ihrem Team erfahren. Sie begleiten beispielsweise Spitzenpolitikerinnen wie die Kulturstaatsministerin Claudia Roth oder die kurzzeitige Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (beide Bündnis 90/Die Grünen), die beide wegen ihres Geschlechts Opfer von Hass und Hetze (nicht nur) in sozialen Medien wurden und offen darüber sprechen. Aber auch Publizistinnen, die mit Nachdruck für die Rechte von Frauen einstehen, wie die Spiegel-Autorin Margarethe Stokowski, die Journalistin Nicole Diekmann (Die Shitstorm-Republik bei KiWi), Fußballkommentatorin Claudia Neumann oder Autorin Susanne Kaiser (Politische Männlichkeit bei Suhrkamp) kommen zu Wort und berichten von ihren Erfahrungen.

Feindbild Frau: Auf einem sogenannten Hateslam trägt die Kulturstaatsministerin Claudia Roth ihre schlimmsten Hassmails einem Publikum vor // © Vincent TV/Boris Mahlau Foto: NDR

Auch hier gibt es einen Blick über Deutschland hinaus. Die französische Senatsabgeordnete Laurence Rossignol berichtet von Beschimpfungen und Beleidigungen im politischen Umfeld. Und nicht nur in Deutschland, sondern weltweit finden so genannte Incels (Involuntary celibate – also unfreiwillig Enthaltsamer) im Internet eine Echokammer, die sie in ihrem Hass auf Frauen bestärkt und radikalisiert. Selbst wenn sich der Erkenntnisgewinn in dieser Dokumentation in den letzten 15 bis 20 Minuten leider in Grenzen hält, stellt auch dieser Film sehr anschaulich dar, wie Frauen in der Vergangenheit zum Feindbild so vieler Männer wurden und was sie in ihrem Hass antreibt. Und auch, wie dies oft mit Antisemitismus und Rassismus einhergeht.

Strukturelle Probleme

Beide Dokumentationen – wie der gesamte Themenabend ohnehin – zeigen somit mit großer Eindrücklichkeit, welchem Hass viele Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt sind und welche strukturelle Ignoranz für dieses Problem bei uns vorherrscht. Mehr als anschaulich wird uns Zuschauerinnen und Zuschauern dargelegt, mit welcher Angst manche Frauen leben, beispielsweise Vanessa Münstermann, die in nicht freudiger Erwartung die Tage zählt, bis ihr Ex aus dem Gefängnis entlassen wird. Aber auch der Mut mancher Frauen, sich diesem Hass entschieden und unter Gefahr für Leib und Leben entgegenzustellen, wird immer wieder betont und das wiederum macht Mut.

Feindbild Frau: Die preisgekrönte Schriftstellerin Leïla Slimani erhält für ihr feministisches Engagement im Alltag viel Anerkennung und in den sozialen Medien die absurdesten Hassnachrichten // © Vincent TV/Ursula Duplantier Foto: NDR

Dass dabei auf Lösungsansätze oder Gegenmaßnahmen nur am Rande eingegangen wird – immerhin gibt es beispielsweise Gruppentherapien, wie wir in Du gehörst mir! kurz sehen – oder auch die Motivlage vieler Männer im Vagen bleibt, ist ob des wohl eigentlichen Zwecks der beiden Filme eher vernachlässigbar. Denn obwohl es sich um die bekannten „Einzelfälle“ handelt, die hier dargestellt werden, das Problem ist eben weit größer als diese „Einzelfälle“.

Aufklärung und Aufmerksamkeit

Frauenhass ist ein Problem in unserer Gesellschaft, dem wir viel zu wenig Aufmerksamkeit schenken und das hier nun gebührende Aufmerksamkeit erfährt. Bremer und Duplantier und ihre jeweiligen Teams lenken die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein Problem, das uns alle angeht und dessen wir uns weit engagierter und couragierter annehmen müssten. Die nötige Aufmerksamkeit für diese Problemlage – auch und vor allem bei uns in Deutschland und Europa und „im Westen“ – zu schaffen, das ist das Motiv, dessen sich Du gehörst mir! und Feindbild Frau annehmen und das machen sie im Wesentlichen gut und mit Nachdruck.

Feindbild Frau: Nachdem die Aktivistin Alice Barbe in einem Interview Geflüchtete als Bereicherung bezeichnete, erhielt sie Hunderte Todes- und Vergewaltigungsdrohungen // © Vincent TV/Andreas B. Krueger Foto: NDR

Man(n) muss nicht jede Frau mögen, aber sie dafür gering zu schätzen, zu hassen, verbaler und/oder körperlicher Gewalt auszusetzen oder gar zu töten, weil sie eine Frau ist, ist einfach schäbig. Wenn es eine Gelegenheit gibt, auf diese für viele Frauen mehr als bedrohliche Lage hinzuweisen, Aufmerksamkeit für dieses Problem zu schaffen und vielleicht sogar den einen oder anderen zur Reflexion zu animieren, dann hat dieser – zugegebenermaßen nicht einfache – arte-Themenabend bereits ein bisschen sein Ziel erreicht.

HMS

Themenabend #Metoo – Und dann? am 17. Mai 2022 ab 20:15 Uhr auf arte:

20:15 Uhr: „Wir sind keine Puppen!“ Die Geschichte der Hausfrau; in der Mediathek bis zum 12. Dezember 2022

21:10 Uhr: Du gehörst mir! Das Muster der Frauenmorde; in der Mediathek bis zum 15. Juni 2022

22:05 Uhr: Feinbild Frau; in der Mediathek bis zum 14. August 2022 

23:00 Uhr: Zur Hölle mit den Machos. Der Aufstand der Frauen in Lateinamerika; in der Mediathek bis 23. Mai 2022

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