Keine Scham, alle Freiheit

„Ich wusste von Anfang an, ich würde nicht den zehnten Film über die Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn drehen“, sagt Regisseurin und Autorin Frauke Finsterwalder über ihren zweiten — gemeinsam mit Ehemann Christian Kracht geschriebenen — Langfilm Sisi & Ich. Und wer nun nach großem Sisi-Revival (wenn das überhaupt so gesagt werden kann, weg ist Sis(s)i bei uns ja nie) mit zwei Serien, diversen Sachbüchern und belletristischen Ausschüttungen und dem Film Corsage mit der wunderbaren Vicky Krieps nun eigentlich keine Lust mehr auf mehr Kaiserin ÖsterreichUngarns hat, denen sei gesagt: Mit Sisi & Ich würdet ihr da was verpassen.

„Die Vorstellung, …“

In dem Film steigen wir mit dem Voice-Over Sandra Hüllers ein, die zu den Klängen von Portisheads „Wandering Star“ als Gräfin Irma Gräfin Sztáray sagt: „Licht an, Licht aus.“ Damit bezieht sie sich auf eben jene Sisi, die hier kongenial von Susanne Wolff gespielt wird. Denn, so erfahren wir noch zuvor, war es in ihrer Gegenwart so, „als habe jemand alles Licht der Welt auf einen gerichtet. Und wenn sie das Licht wieder von einem wegnahm, war es, als würde einem ein spitzes Stück Glas ins Herz gerammt.“

Irritiert und angezogen: Irma (Sandra Hüller) begegnet Sisi (Susanne Wolff) und Fritzi (Sophie Hutter) // © 2021 Walker+Worm Film GmbH Co. KG/Foto: DCM/Bernd Spauke

Das klingt doch beinahe toxisch. Ist es auch so ein wenig. Irma kommt als Ersatz für Gräfin Festetics (Johanna Wokalek, die im Münchener Polizeiruf 110 bald Verena Alternberger ablöst, in einem Kurzauftritt), die mit der sehr aktiven, sehr herausfordernden, sehr schnellen Kaiserin nicht mehr mithalten kann — oder mag. Nach kurzer Musterung landet Irma, samt wackeliger Überfahrt und Erbrochenem, auf Korfu, wo sie erst einmal unter den Augen der Kaiserin und Graf Berzeviczys (verlässlich: Stefan Kurt) unter Beweis stellen muss, dass sie Rennen, Springen und derlei auf dem Kasten hat. 

„…dass bis zum Ende…“

Denn vor allem sucht die ruhelose Kaiserin weniger eine Hofdamme, die sie hier im selbstgewählten Quasi-Exil fernab der Wiener Hofetikette und all dem Lästerei-Schmarrn umsorgt, sondern eine Begleitung, Gesellschaft. Eine Person, mit der sie sich unterhalten, die ihr den Alltag versüßen und ja, eine, mit der sie auch ein wenig spielen kann. Diese Sisi ist so interessant und vielschichtig wie sie manipulativ und bisweilen missbräuchlich ist. Es wundert kaum, wenn Finsterwalder sagt, dass sie sich viel mit dem Phänomen des Groomings beschäftigt habe, als sie den Stoff entwickelte.

Denn, so weiter in einem stark interessanten Gespräch mit ihrem Ehemann und Co-Autoren Christian Kracht, das im im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen Buch zum Film zu finden ist: „In Sisi & Ich werden eigentlich fast alle schlecht behandelt. Der Film erzählt ja die Geschichte von Mißhandlung durch alle Geschlechter und Generationen hinweg.“ In diesem Sinne ist die komödiantische Tragödie ein Film totaler Gleichberechtigung. Ohne Scheiß.

„…alles unklar bleiben wird,…“

Alles beginnt als schwarze Komödie, dass aber Sisi die Herrscherin im wörtlichen wie übertragenen Sinne ist, daran besteht nie ein Zweifel. Bereits auf Korfu sind etwa Fritzi (Sophie Hutter) sowie Marie (Maresi Riegner), die ein vertrautes aber deutlich hierarchisch geprägtes Verhältnis mit der Kaiserin haben. Fritzi beäugt die interessierte und humorvolle (Männer erinnerten sie an Tischtücher, sagt sie anfangs) Neue zudem skeptisch. Glücklicherweise aber erzählt Finsterwalder in ihrem Film, in dem historischer Realismus nicht im Vordergrund steht, keine The Favourite 2.0-Geschichte (was nicht bedeutet, dass das Setting und vieles, was wir sehen, nicht auf realen Momenten fußen würde, es handelt sich aber auch nicht um Docutainment). Vielmehr entwickelt sich in mal subtilen, mal sehr dramatisch geprägten Momenten, immer begleitet von den Film beinahe kommentierender Musik (allesamt Lieblingsstücke Finsterwalders und nur von Frauen), eine Freundschaft, eine Liebe, eine Befreiungsgeschichte.

Hinter den Kulissen // © 2021 Walker+Worm Film GmbH Co. KG/Foto: DCM/Bernd Spauke

Irma, die sich nach und nach aus den Fängen einer sie eher nicht so hochschätzenden Mutter (Sibylle Canonica, auch schon Mutter des Jahres in Oktoberfest 1900 und Der Pass — Staffel 2), und Sisi, die sich, ob nun zu Pferde, durch Magerkuren (inklusive bulimischen Verhaltens; wenn auch diese Sisi im Gegensatz zum Original wieder perfekte Zähne hat), Reisedurst und manchen Exzess vom Hofe, manches Mal ihrem (wenig auftauchenden) Gatten und überhaupt der Welt lossagen will. Was nicht bedeutet, dass sie den Luxus nicht schätzen und die ihr zur Verfügung stehenden Mittel nicht nutzen würde. Denn, „[d]as öde Leben der Wohlversorgten bedarf der Abwechslung“, wie Peter Süß es in einem anderen Zusammenhang in seinem Buch 1923 — Endstation. Alles einsteigen! ganz vortrefflich benennt (unsere Besprechung gibt es morgen).

„…ist eigentlich sehr schön.“

Es fällt, trotz historischen Umfelds, das aber wie erwähnt nicht als Diktat genommen wird, leicht Sisi & Ich und die diversen Aussagen und Interpretationsmöglichkeiten des Films ins Heutige zu ziehen. Fragen von Freundschaft und Liebe, Heranziehen und Wegstoßen, Manipulation und Macht(missbrauch) sind keine, die sich nur im Vergangenen stellten. Ganz und gar nicht. Dass Finsterwalder und Kracht die Figuren sprechen lassen und wir uns vorstellen können, dass sie sich so anhören und dass auch Menschen in den Charakteren sind, trägt enorm zu dieser Wirkung bei (etwas, das wir mitunter dem rauen 16mm-Film-Look zu verdanken haben, wie ebenfalls im sehr empfehlenswerten Buch zu erfahren ist). 

Sisi & Irma aka Bonnie & Clyde // © 2021 Walker+Worm Film GmbH Co. KG/Foto: DCM/Bernd Spauke

Auch die hervorragenden Kostüme von Tanja Hausner (u. a. Goodnight Mommy, Schachnovelle, Große Freiheit), die mensch eher in der frühen Zeit vom Bauhaus sowie den 40er, 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verorten würde, tragen zu einer Zeitlosigkeit bei, die Sisi & Ich nicht nur relevant, sondern womöglich zu einem Ad-Hoc-Klassiker machen könnten. (Skizzen der Kostüme wie auch manchen Set-Designs, etwa Algiers, finden sich übrigens, na wo? Im Buch, ja, im Buch zum Film.)

„Schämen tut sich nur die Bourgeoisie“

Bleibt die Frage, ob der Film, der sich am Ende eine große Freiheit nimmt, die — zumindest empfinde ich das so — innerhalb des Filmgefüges wunderbar funktioniert und eigentlich nicht hätte anders sein dürfen, ein feministischer Film ist? Männer spielen nur am Rande eine Rolle und sind, abgesehen von Sisis geliebtem Schwager, dem wunderbar schwulen Luzi-Wuzi, Erzherzog Viktor (famos: Georg Friedrich), entweder übergriffig oder schwach, nicht selten unaufrichtig.

Sisi (Susanne Wolff) am Chillen mit Luzi-Wuzi (Georg Friedrich). Graf Berzeviczy (Stefan Kurt) schaut dezent skeptisch zu // ©2021 Walker+Worm Film GmbH Co. KG/Foto: DCM/Bernd Spauke

In diesem Sinne also schon einmal ja. Darin wie Sisi & Ich von der wachsenden Freundschaft sowie Irmas wachsender Liebe zu Sisi und nicht zuletzt einer fatalen Manipulation gegenseitigen Nutzens erzählt, zeigt sich auch, dass Frauen im Film keinen Mann brauchen, gegen den sie spielen, um wirklich als Person zur Geltung zu kommen. Das mag nun wie eine gönnerhafte Binse klingen, scheint mir aber oft noch der Fall. Starke Frauenfiguren „brauchen“ einen Mann, demgegenüber sie erstarken und erstrahlen können. Eine Formel, die auch gern einmal zum Spielen einlädt, etwa in Tage, die es nicht gab oder Gestern waren wir noch Kinder, häufig aber (unbewusst?) weitergenutzt wird.

„Du liebst mich noch viel mehr, …“

„Ihre Filme sind Kino, wie es aus unserer Sicht heutzutage sein sollte.“ Das sagen die Produzenten Philipp Worm und Tobias Walker (u. a. Aus meiner Haut; aktuell wird an der Max-Frisch-Adaption Stiller gearbeitet — spannend!) und dem ist wenig hinzuzufügen. In diesem Zusammenhang muss ich zugeben, dass ich ohnehin eine recht hohe Erwartungshaltung an Sisi & Ich hatte, ohne genau zu wissen, was mich erwarten würde. Aber ich schätze Finsterworld, den ersten Film Finsterwalders, ebenso war Faserland schon prägend, ich schätzte Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten und unser Herausgeber zeigte sich angetan vom eher abweisenden Roman Eurotrash, der im vorvergagenen Jahr für den Deutschen Buchpreis nominiert war.

Erwartungshaltungen wurden hier also nicht enttäuscht, wenn auch manches Mal unterwandert. Dass der Film es versteht, in den richtigen Momenten auch einfach einmal in Bildern zu schwelgen (Bildgestaltung: Thomas Kiennast, der auch wesentlicher Teil der dritten, finalen und von uns heiß ersehnten Der Pass-Staffel ist) und die Natur zu schätzen (die Szenen in Korfu und Algier sind in Malta gedreht worden) weiß, tut ein Übriges.

„…als ich es dachte“

Eine starke Besetzung bis in die kleinste Nebenrolle — Anne Müller als androgynlesbische Baronin Rothschild, Tom Lass als Nikolaus Romanow, Tom Rhys Harries als überaus ansehnlicher Captain Smythe oder Angela Winkler als Sisis herrisch-viktorianische Mutter — sorgt für ein kleines Fest der Spielkunst. Dass Frauke Finsterwalder sich an mancher Stelle unter anderem von Luchino Visconti inspirieren ließ bzw. dessen Bildsprache zitiert, ist für Filmcracks und Bild-Genießer*innen wunderbar. Die Nominierung für vier deutsche Filmpreise (das Bestes Kostümbild, die Beste Bildgestaltung, Beste Tongestaltung und Sandra Hüller als Beste Hauptdarstellerin — die Rolle der Irma sei von Beginn an für sie geschrieben gewesen, sagt Finsterwalder) wundert keineswegs, eher dass Susanne Wolff und die Beste Regie hier nicht auftauchen. 

They have a moment: Baronin Rothschild (Anne Müller) und Irma // © 2021 Walker+Worm Film GmbH Co. KG/Foto: DCM/Bernd Spauke

Wer also nicht in die märchenhaft-versponnene Sisi-Version verliebt ist, wer Filme schätzt, die sich wie ein leichter Rausch beinahe unmerklich wandeln und steigern und keine Angst vor ein wenig Realismus-Konfrontation in freier Geschichtsvariation hat, darf Sisi & Ich, der kein zehnter sondern ein einmaliger Sisi-Film ist, auf keinen Fall verpassen. Zudem ist es ein Film, der freilich dazu einlädt, im Anschluss bei Wein und Wassersuppe darüber zu debattieren. (Wobei auch wieder das Buch zum Film hilfreich ist, das das Drehbuch inklusive Musikeinspielungen und Regieanweisungen enthält, reich bebildert und, wie erwähnt, um ein Gespräch zwischen Finsterwalder und Kracht sowieso diverse Skizzen angereichert ist. Ich mag es sehr!)

AS

PS: Diese Schnabeltassen sind ganz fabulös! So eine hätte ich gern. Wo gibt es die? 

PPS: Zu Visconti: Im Gespräch mit Kracht gibt die Regisseurin und Autorin Finsterwalder an, dass auch sie durch eine Dokumentation (vermutlich Der schönste Junge der Welt – Björn Andrésen: Viscontis blonder Engel) wisse, „daß er anscheinend ein Despot und Macho war.“ So ist dem. Und wieder die Frage nach Trennung von Künstler und Werk. Demnächst kommt übrigens unsere Besprechung zu Hervé Guiberts Verrückt nach Vincent/Reise nach Marokko.

PPPS: Das erste in den Zwischenüberschriften verwendete Zitat aus dem Film ist leicht abgewandelt einem Interview mit David Bowie entliehen. Wird im Buch erzählt.

PPPPS: Apropos Deutscher Filmpreis. Im Westen nichts Neues ist in 12 Kategorien nominiert. Sollte die technische gut gemachte Nummer Bester Film werden, verlöre die Lola unfassbar an Wert. Just saying. 

Sisi & Ich ist ab dem 30. März 2023 in unseren Kinos zu sehen. Ebenso erscheint an diesem Donnerstag das Buch zum Film von Frauke Finsterwalder und Christian Kracht.

Sisi & Ich; Deutschland, Schweiz, Österreich 2023; Regie: Frauke Finsterwalder; Drehbuch: Frauke Finsterwalder, Christian Kracht; Bildgestaltung: Thomas Kiennast; Produktion: Philipp Worm, Tobias Walker; Darsteller*innen: Sandra Hüller, Susanne Wolff, Georg Friedrich, Stefan Kurt, Sophie Hutter, Maresi Regner, Johanna Wokalek, Sibylle Canonica, Angela Winkler, Markus Schleinzer, Tom Rhys Harries, Anthony Calf, Annette Badland, Anne Müller, Tom Lass; Laufzeit ca. 132 Minuten; FSK: 12; ab dem 30. März 2023 im Kino

Frauke Finsterwalder und Christian Kracht: Sisi & Ich; März 2023; Taschenbuch; 240 Seiten mit zahlr. Farbfotos und -zeichnungen; ISBN 978-3-462-05099-8; KiWi-Taschenbuch; 20,00 €

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Comments

  1. Ich fand den Film wundervoll und hab ihn sogar 2x gesehen. Wenn es mich ein zweites mal ins Kino zieht, fast magisch, dann ist der Film wirklich gut. Die Kritiken sind ja bislang nicht zu gut, das liegt wohl daran, weil die romantische Vorstellungen der Sissi flöten geht.

    Der Film zeigt das wahre Leben, so wie es wahrscheinlich wirklich war. Wenn man alte Filme von der Zeit schaut, sieht man meist nur perfekte Menschen, die sich zu Benehmen wissen. Menschen, die ihre Aufgaben ernst nehmen und das harte Leben meistern, in welcher Schicht auch immer.

    Dieser Film zeigt mal, wie es „Backstage“ abgelaufen sein könnte. Auch die Kaiserin war ein Mensch, wie du und ich. Man erkennt in diesem Film, wie stark die Bedürfnisse eines Menschen sind, und wie sehr er diese unterdrücken muss. Auch diese Kleinigkeiten fand ich klasse. Wie sich Irma den Pickel ausdrucken wollte, unvorstellbar, dass eine Adelsdame so etwas macht. Vollkommen verpönt. Aber es ist menschlich und es macht ja jeder irgendwann mal.

    Genauso zeigt es auf, dass auch dem Adel schlecht wird, dass der Adel nicht perfekt ist. Das sind alles so Kleinigkeiten, die der durchschnittliche Kinogeher wahrscheinlich gar nicht erkennt.

    Die wundervollen Aufnahmen, die kleinen erotischen Momente! Dieser Film war LGTBQ, wie ich in mir vorstelle. ECHT, voller Gefühl und nicht aufdringlich. Ich kann mir gut vorstellen, dass es exakt so war, so stell ich mir Sisi wirklich vor.

    Ich gucke ja eigentlich kein Trash-TV, aber ab und zu Dschungelcamp, aus dem Grund, weil man plötzlich die Stars, die so unnahbar wirken, zeigen wie sie wirklich sind. Blickt man hinter die Masken, sind wir alle nur Menschen.

    Die Musik passte auch wunderbar, obwohl diese kritisiert wurde. Natürlich gab es diese Songs damals nicht, aber diese Musik machte das ganze noch menschlicher. Egal, welche Epoche, Menschen sind Menschen. Wie eingangs erwähnte, Fotoaufnahmen und alte Filme wirken immer so „perfekt“, so romantisch, irgendwie wie im Märchen. Die Musik untermalt die Szenen optimal und lässt erkennen, dass auch damals nicht alles romantisch war, im Gegenteil. Nimmt man den romantischen Filter weg, merkt man erst, wie düster die Zeit damals war und wie gut es uns heute geht.

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