Elvis lebt! Ja, wirklich. Jedenfalls konnten dies Gladys Love und Vernon Presley heute vor achtundachtzig Jahren ausrufen, denn am 8. Januar 1935 erblickte Elvis Aaron Presley als einer jener wenigen, die von Beginn an mit künstlertauglichem Namen und mehr gesegnet waren, das Licht der Welt. Bevor dieses Licht nur zweiundvierzig Jahre später eher tragisch erlöschen sollte, legte der in Tupelo, Mississippi, geborene und seit seinem dreizehnten Lebensjahr in Memphis, Tennessee, aufgewachsene Elvis eine primär glanzvolle, die Massen begeisternde und bis heute unvergessene Musikkarriere hin.
Dieser nimmt sich der gut und gern als Visionär zu bezeichnende Regisseur Baz Luhrmann in seinem für diverse Golden Globes (und sicherlich bald Academy Awards) nominierten Musik-Biopic Elvis an, nach Bohemian Rhapsody über Freddie Mercury und die Band Queen der in dieser Kategorie zweiterfolgreichste Film aller Zeiten. Gleich zu Beginn sei angemerkt, dass Luhrmann bei Elvis trotz mancher Schwäche nicht wie in anderen seiner Filme (Australia, in Teilen auch Der große Gatsby) vor lauter Visionen die filmische Realität aus den Augen verliert.
Die verführerische und verbotene Frucht
Der Style Luhrmanns ist in den Bildern von Kamerafrau Mandy Walker (ebenfalls Australia und dieser kultige Chanel No. 5-Spot mit Nicole Kidman) natürlich dennoch unverkennbar und so beginnen wir so flashy wie die Zuschauer*innen es von Strictly Ballroom über Moulin Rogue zu Great Gatsby eben gewohnt sind. Nach einem Zusammenbruchs-und-Also-Sprach-Zarathustra-An American-Trilogy-Auftritt in Las Vegas kommen wir zum Erzähler der Geschichte. Diese wird nicht aus der Sicht des hüftschwingenden Stimmmeisters erzählt, sondern aus jener seines verschlagenen Managers Colonel Tom Parker (trotz reichlich Make-Up und Fatsuit unverkennbar Tom Hanks).
Der liegt im Sterben und möchte nun mit den bösen Geschichten aufräumen, dass er Elvis ausgenutzt, belogen und letztlich in den Tod getrieben hätte. Das könne gar nicht möglich sein. Viel eher sei es so, dass es diesen Elvis, den die Fans lieben, die Hater hassen und die Musikgeschichte ein wenig verklären konnte, den Helden Elvis, ohne ihn gar nicht gegeben hätte. Damit ist der Ton gesetzt und wir haben zweieinhalb abwechslungsreiche wenn auch hier und da sprunghafte Stunden vor uns.
Und nun die Puff-Tänzerinnen
In zügigen und stark inszenierten Momente wird uns vermittelt, wie Elvis als Kind (Chaydon Jay) seine Berufung zur Musik entdeckte, als junger Mann (nun ein hervorragender Austin Butler) seine ersten Karriereschritte mit Sun Records machte und von Parker entdeckt wurde, der erstaunt feststellt, dass diese Stimme einem Weißen gehört und ihn exklusiv für sich gewinnen will. Wenn Hanks hier mit diabolischem Tonfall von der „forbidden fruit“ und „eating alive“ spricht, klingt das so verheißungsvoll wie verführerisch (harte Interview mit einem Vampir-Schwingungen). Die erste Stunde des Biopics läuft in arg zackiger Abfolge, so dass es für jene, die keinen wirklichen Bezug zu Elvis haben, schwer sein dürfte, den Geschehnissen im Detail zu folgen.
Wie also alle Rädchen ineinandergriffen, dies bleiben Luhrmann und seine Co-Autoren Sam Bromell, Craig Pearce sowie Jeremy Doner uns schuldig. Hierin mag aber auch eine Stärke von Elvis liegen: Dass die funkelnde Musikbiografie sich zwar alles in allem chronologisch aufbaut, aber nicht brav jeden Lebensabschnitt wie in einer Tabelle abarbeitet, sondern viel eher persönliche und ihn umgebenden Schlaglichter abbildet, die ein durch Parker manipuliertes Psychogramm liefern, heben den Film von diversen, allzu braven 08/15-Werken ab.
„Er spaltet die Nation!“
Mit Parker kommt der große Erfolg, das wunderbare Haus — aka Graceland — vor allem für seine geliebte Mutter Gladys (Helen Thomson), der Merchandise (samt „I Hate Elvis“-Buttons, denn: „What is hate worth, if it’s free?“, wie Colonel Parker die richtige rhetorische Frage stellt) und die immer stärker schwingende Hüfte aka das auch im Film unglaublich anziehende Arschwackeln. Um zu zeigen, dass nicht alle Menschen dies so empfinden und sich überhaupt an Elvis und seinen engen Kontakten und Freund- und Bekanntschaften zu Schwarzen Musiker*innen wie B.B. King (Kelvin Harrison Jr.) oder Little Richard (starker Kurzauftritt von Alton Mason) stören, nimmt Elvis sich ein gutes Stück Zeit.
So wird hier unter anderem ein aufpeitschender und schon beinahe anarchistischer Auftritt des Sängers (passend: „Trouble“) vor fein säuberlich segregierten Zuschauenden einer Rede des demokratischen Senators und Befürworters der Rassentrennung James Eastland (Nicholas Bell) vor brennenden Anhängern gegengeschnitten. Dieses unglückliche Zusammenspiel bringt Elvis schließlich durch die US Army nach Deutschland, wo er Priscilla Beaulieu (perfekt: Olivia DeJonge) kennen und lieben lernt.
Alles aus Liebe?
Ob es nun der Erzählung durch Parker geschuldet ist oder wir dieses Motiv für bare Münze nehmen wollen: Immerfort scheint es, dass der so talentierte (immerhin macht er ihn weltweit zum Star, ohne ihn je die USA verlassen zu lassen) wie gierige und zwielichtige Manager mit den Frauen in Elvis’ Leben zu konkurrieren hat. Die Liebe zwischen Fans und Sänger lässt er zu, zu den Frauen seines Lebens, ja, da muss doch immer eine kleine Schranke austariert werden.
Apropos Frauen: Mögliche Affären und Techtelmechtel mit wohl auch nicht immer volljährigen Mädchen werden so gut wie gar nicht thematisiert. Auch dass er nicht nur eine sexualisierte, sondern durchaus feminisierte und stark homoerotische Attitüde zum Markenzeichen machte, wird höchstens angedeutet. Gänzlich unter den Tisch fällt das Thema der Aneignung. Denn trotz wohl aufrichtiger Freundschaften wie oben erwähnt, nahm er sich Songs sowie eines Musik- und Tanzstils an, die ihren Ursprung in der African-American-Culture haben. Im Gegensatz zu den meisten Schwarzen Talenten seiner Zeit blieb ihm der Erfolg hingegen nicht verwehrt.
„Wenn du es nicht sagen kannst, sing es“
Das alles mag mensch kritisch betrachten (wobei der Film durchaus politisch ist und aufzeigt, wie mitgenommen der Sänger unter anderem von den Ermordungen Martin Luther Kings und Robert Kennedys war). Andererseits haben wir es hier mit einer Filmbiografie zu tun, die in erster Linie das komplexe Verhältnis von Elvis zu seinem väterlichen Manager Tom Parker und den weiteren ihn umgebenden parasitären Weggefährt*innen beleuchtet. So gehört der zeitweilige Bruch zwischen Elvis und Parker auch zu den glaubwürdigsten Momenten und Dacre Montgomerys Steve Binder kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, um die Karriere des zum Maskottchen verkommenden Sängers aus dem Klo zu ziehen.
Elvis muss sich zum Glück an keiner Stelle aus dem Klo ziehen. Darf nach Moulin Rouge als einer der kongruentesten und detailverliebtesten Filme Baz Luhrmanns gelten, der auch die Tonwechsel solide meistert und bis zum Ende gekonnt zwischen emphatischer Nahaufnahme und glänzendem Pomp zu wechseln versteht. Dass die musikalischen Darbietungen beeindrucken und der Soundtrack, der für den Grammy nominiert ist und den American Music Award bereits mitgenommen hat, ohnehin begeistert, muss vermutlich nicht extra erwähnt werden. Oh, zu spät.
Er sei also, im Gegensatz zum leider, leider, leider sehr schwachen Film Whitney Houston: I Wanna Dance with Somebody, unbedingt empfohlen und es wundert kaum, dass Baz Luhrmanns Elvis sich auf diversen Bestenlisten von Kritiker*innen wiederfindet und unter anderem als Bester Film, für die Beste Regie und den Besten Hauptdarsteller bei den Golden Globes ins Rennen geht und Anwärter für diverse Critics’ Choice Awards ist. In der Gunst des Rezensenten steht er jedenfalls auch sehr weit oben.
AS
PS: „Santa Claus is bringing you a lawsuit.“
PPS: „Hippies and radicals threatening and killing entertainers“, beschwert sich Colonel Tom Parker, während die Schlagzeile von Sharon Tates brutaler Ermordung im Bild ist.
PPPS: Elvis Ex-Frau Priscilla Presley, Tochter Lisa Marie und Enkelin Riley Keough (u. a. The Devil all the Time) loben den Film übrigens.
Elvis; USA 2022; Regie: Baz Luhrmann; Buch: Baz Luhrmann, Sam Bromell, Craig Pearce, Jeremy Doner; Kamera: Mandy Walker; Musik: Elliot Wheeler; Darsteller*innen: Austin Butler, Tom Hanks, Olivia DeJonge, Helen Thomson, Richard Roxburgh, Kevin Harrison Jr., David Wenham, Kodi Smit-McPhee, Dacre Montgomery, Luke Bracey, Leon Ford, Gary Clark Jr., Yola, Natasha Bassett, Xavier Samuel, Alton Mason, u. v. m.; Laufzeit ca. 159 Minuten; FSK: 6; seit dem 22. September 2022 als DVD, BluRay und Video on Demand erhältlich
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