Biker riding and spider biting

Pünktlich zum Sommeranfang machen sich die deutschen Kinosäle für ihre (ersten) Sommerblockbuster bereit. Nicht nur ist der Pixar-Film Alles steht Kopf 2 jetzt schon der erfolgreichste Film des Jahres und hat mit einem bisherigen weltweiten Einspielergebnis von 724,3 Millionen Dollar das Science-Fiction-Epos Dune 2 von Denis Villeneuve vom ersten Platz geschubst (Einspielergebnis weltweit: 711,8 Millionen Dollar). Zudem schickt sich der Animationsfilm, der erst am 12. Juni hierzulande und am 14. Juni in den USA gestartet ist, an, die kapitalheilige Milliardenmarke zu knacken.

„I wanna holler but the town’s too small“

Die Menschen gehen also trotz FußballEuropameisterschaft ins Kino. Aus meinem Bekanntenkreis weiß ich zu berichten, manche erst recht. Viele Besucher*innen sind auch dem neuen Film von Jeff Nichols zu wünschen. Mit einer anziehenden Kreuzung aus Hommage an und Abgesang auf die große Zeit großer Maschinen, die von groß scheinenden, gern machohaft aufspielenden Männern gefahren worden sind, kurven die Bikeriders seit dem 20. Juni in unseren Kinos herum.

Austin Butler als Benny und Tom Hardy als Danny // Foto: Kyle Kaplan/Focus Features. © 2024 Focus Features. All Rights Reserved.

Inspiriert ist Nichols‘ The Bikeriders vom gleichnamigen Text-Fotoband des Journalisten, Fotografen und Filmemachers Danny Lyons, der in den 1960er-Jahren mit dem Outlaws Motorcycle Club durch die Gegend reiste, die Mitglieder interviewte und fotografierte, dem Outlaws MC schlussendlich gar beitrat. Erzählt wird im Film die Geschichte des fiktionalen Vandals MC aus der Perspektive Kathy Bauers, die gespielt von Jodie Comer (Killing Eve, Free Guy, 28 Years Later), eine der wenigen Frauenfiguren in der Geschichte ist. Und die einzige im Fokus der Bikeriders.

„I’m gonna jump up now“

Comer gibt eine Wahnsinnsperformance als kluge, schlagfertige und wenn nötig kämpferische Frau im Zentrum des Geschehens, deren, jedenfalls im englischen Originalton, kongenial ausgespielter Chicagoer-Arbeitsklassen-Akzent eine andere Person vermuten lässt, als sie es ist. Der Film beginnt mit Comers Kathy, die Danny Lyons Alter Ego Danny (Mike Faist, The Challengers) im Waschsalon Rede und Antwort steht. Aus ihrer Perspektive wird der Wandel Männergang von Mitte der 1960er- bis in die 1970er-Jahre geschildert.

Mike Faist als Danny und Jodie Comer als Kathy // Foto: Kyle Kaplan/Focus Features © 2024 Focus Features, LLC. All RIghts Reserved.

Ihr erster Gang in eine Motorrad– oder auch Rockerkneipe hinterlässt diverse Abdrücke von Händen auf ihrer weißen Hose. Einen bleibenden Eindruck dürften aber auch zwei Männer hinterlassen haben: Johnny Davis, dem von Tom Hardy dargestellten Chef der Vandals (der dank Marlon Brandos Der Wilde auf die Idee eines Motorrad-Clubs kommt), der ihr versichert, ihr werde in dem Laden nichts passieren. Was sie eher irritiert als beruhigt. Und Benny, der mit seinem kantigen Gesicht, den träumerisch-unberechenbaren Augen und dem 90er-CK-Underwear-Advertisement-Wuschelhaar, auch bei einigen der Zuschauenden diverses auslösen dürfte.

First Look: Austin Butler als Benny // Foto: Courtesy of Focus Features. © 2023 Focus Features. All Rights Reserved.

Am Ende des Abends jedenfalls sitzt Kathy auf Bennys Maschine, der wiederum am folgenden Tag so lange vor deren Haus ausharrt, bis ihr aktueller Freund genug davon hat und kurzerhand auszieht und sie verlässt. Wie Austin Butler, der hier nach Baz Lurhmanns Elvis ein weiteres Mal eine ikonenhafte Figur der 60er-Jahre gibt und damit nicht nur manch Heten-Männerphantasie auffüllt, allein das stumme Warten auf seiner Maschine unterhaltsam sein lässt, ist schon faszinierend.

„He don’t hang around with the gang no more“

Nichols inszeniert seine Bikeriders um diese drei Kernfiguren und deren Beziehungsgeflecht – Kathy will Benny vor sich selbst schützen und zu gern sesshaft werden, Johnny möchte als eine Art Vaterersatz Benny als seinen Nachfolger aufbauen, Benny möchte einfach Benny sein – und lässt dabei noch mehr von Lyons gesprochene und fotografierte Personen auf der Leinwand lebendig werden.

Da ist der immer überzeugende Michael Shannon als stiller, wenn auch innerlich wohl kochender Zipco (verewigt auf Lyons‘ bekanntem Foto „Funny Sonny Packing with Zipco, Milwaukee“), Damon Herriman als Brucie, der Nummer Zwei hinter Johnny, treu wie sonst nur was und im Grunde der Inbegriff eines bürgerlichen Bikers. Karl Glusmans Corky und Beau Knapps Wahoo sind „wie zwei Hunde, die Johnny flankieren“, so Glusman über deren Rollen, die hier und da einen Comic Relief mit sich bringen. „Wir sind nicht gerade die kompliziertesten Typen. Wir mögen Mädchen, wir fahren gerne Motorrad. Wir trinken. Wir rauchen. Viel mehr interessiert uns nicht.“ Tragikomisch ist auch die Figur Cockroach (Emory Cohen), in der sich Aufkommen, Wachsen und Niedergang der eher kleinkriminellen Bikerkultur der 60er-Jahre manifestieren.

Es werde Licht! Damon Herriman als Brucie und Tom Hardy als Danny // Foto: Courtesy of Focus Features. © 2023 Focus Features. All Rights Reserved.

Leider nur wenige Auftritte hat Norman Reedus als Funny Sonny, der sich der Gang erst spät und eher zufällig anschließt, dafür aber eine wahre und wahrlich hintergründige und doppelbödige Schlusspointe unter das Geschehene und das Zeitalter eher sauberer und freier Motorradclubs setzt. Stichwort: Easy Rider. Boyd Holbrooks (The Corinthian in The Sandman) Cal lebt als Mechaniker voll und ganz für die Maschinen, ist introvertierter, sicherlich klüger und wacher als viele andere Vandals. Apropos: Die meisten Motorräder im Film stammen aus der Oldtimer-Sammlung von Stunt-Koordinator Jeff Milburn beziehungsweise derer seiner Freunde. Authentizität deluxe also, was aber für beinahe jeden Moment in The Bikeriders gilt.

„Liberty and the pursuit of happiness“

Jeff Nichols‘ KrimiDrama ist dank der solide genutzten Fotovorlagen Lyons‘ und der Kameraarbeit von Adam Stones sowie der von Filmeditorin Julie Monroe von einer ungemein einnehmenden Präsenz, ja Körperlichkeit geprägt und nicht zuletzt deshalb auch für jene sehenswert, die es sonst nicht so mit derlei Geschichten haben. Denn im Grunde erzählt The Bikeriders nicht nur eine uramerikanische Geschichte von Freiheit und Individualität, wohl wissend, dass von beidem nicht nur im heutigen Amerika nur noch wenig übrig ist, „Land of the free“ hin oder her.

Toby Wallace als ehrgeiziges The Kid // Foto: Kyle Kaplan/Focus Features © 2024 Focus Features, LLC. All RIghts Reserved.

Er erzählt von Veränderungen und Tradition, von Außenseitertum und Zugehörigkeit, von Resilienz und Wut. Letztere bricht sich (womöglich ein wenig zu plakativ) im Wesen eines Jungen, nur The Kid genannt, Bahn. Der von Toby Wallace (The Royal Hotel, Pistols) übermütitg gespielte Bastel-Biker mit dem kalkulierenden Aggressionspotential eines Lucky Luciano, bewundert die Vandals, sieht in Johnny erst seinen Messias, dann seine Nemesis. Von hier aus könnte The Bikeriders beinahe nahtlos in eine Sons of Anarchy Episode übergehen.

Wer sich in diesen warmen Sommerwochen also einmal von einer teils schon fast dokumentarisch wiedergegebenen, durchaus sehr charaktervollen, nicht überdramatisierenden, manches Mal sehr witzigen, immer einfühlsam und spannend fiktionalisierten Geschichtsstunde in das goldene Zeitalter der Motorradclubs entführen lassen und dabei was über das Amerika damals wie heute erfahren möchte – bitteschön, hier ist euer Sommerfilm.

AS

PS: Die Zwischenüberschriften sind Lyrics von im Film verwendeter Songs entnommen.

The Bikeriders; USA 2023; Regie und Drehbuch: Jeff Nicols; Bildgestaltung: Adam Stone; Musik: David Wingo; Darsteller*innen: Jodie Comer, Austin Butler, Tom Hardy, Boyd Holbrook, Michael Shannon, Mike Faist, Damon Herriman, Norman Reedus, Karl Glusman, Beau Knapp, Emory Cohen, Toby Wallace, Happy Anderson, Will Oldham; Laufzeit ca. 117 Minuten; FSK: 12

The Bikeriders ist seit dem 20. Juni 2024 im Kino zu sehen.


Hinter dir! Ethan (Ryan Corr) // © SP Sting Productions / Emma Bjorndahl

Brooklyn, we have a problem

Nicht auf den Straßen Chicagos (wobei The Bikeriders primär in und um Cincinnati, Ohio, gedreht wurde – immerhin bleibt mensch im Mittleren Westen der USA), sondern in den Schächten eines heruntergekommenen Apartmenthauses in Brooklyn, New York (Nordosten der USA), krabbelt ebenfalls seit dem 20. Juni eine Spinne herum. Allerdings nicht irgendeine Spinne, sondern eine aus dem All. Diese landet nebst hartem Kälteeinbruch durch einen Asteroiden im Puppenhaus einer grumpy old woman namens Gunter (herrlich: Robyn Nevin). Dort findet die 12-jährige Charlotte (Alyla Browne, Furiosa: A Mad Max Saga) das Getier, adopiert es und nennt es Sting.

Familie und andere Stiche

Schnell wächst die Spinne, die in keiner Googlesuche zu finden ist und aggressive Mimikry zu sein scheint. Den Fund hält sie vor Stiefpapa Ethan (Ryan Corr) und Mama Heather (Penelope Mitchell) geheim. Diese wiederum ist die Nichte Gunters, die neben ihrer grumpy old cat noch mit ihrer an Demenz erkrankten Schwester und also Heathers Mutter Helga (Sssshhhh: Noni Hazelhurst) zusammenlebt. Und ihr gehört das Haus, also Gunter, in dem wiederum der Comic-Illustrator Ethan im Brotjob hausmeistert.

v.l.n.r.: Gunter (Robyn Nevin), Helga (Noni Hazlehurst) und Kammerjäger Frank (Jermaine Fowler) // © SP Sting Productions / Emma Bjorndahl

Soviel zur Prämisse des australischen Horror-Abenteuerfilms von Kiah Roache-Turner (Wyrmwood) der vielversprechend beginnt und Freude auf ein herrliches, kleines B-Movie mit Campmomenten und gesundem 80er-Flair macht. Leider erfüllt sich diese Erwartung nur bedingt. Zwar gibt es diverse Anspielungen an so manchen Horror-, Fantasy– oder Science-Fiction-Klassiker nicht nur aus dieser Epoche, doch täuschen diese nicht über unnötige Längen des nur knapp neunzig Minuten dauernden Krabbelhorrors.

Stumpfer Stich

Es ist durchaus löblich, dass Roache-Turner sich Zeit nehmen möchte die Dynamik und Konflikte der Patchwork-Familie zu beschreiben, doch kommt dies allzu schablonenhaft daher und bleibt zu stark an der Oberfläche, um als mehr als reines Zeitfüllmaterial gesehen zu werden. So wächst nicht nur die Spinne exponentiell schnell, sondern auch die Langeweile. Wenn Sting sich aber einmal auf den Weg macht, geht es durchaus gern fies und blutig zu, was bei richtigem Humor mit dem einen oder anderen wohlwollenden Lacher einhergehen darf. (Beispielsatz: „Looks like it tried to have sex with a blender.“)

Nachbarin Maria (Silvia Colloca) bekommt ungebetenen Besuch // © SP Sting Productions / Emma Bjorndahl

Dennoch dürfte Sting nur für wirklich krasse Arachnophobiker*innen Schockmomente bereithalten, allen anderen hingegen eher ein leichtes Schmunzeln abnötigen. Jenes, das mensch dem Nachbarskind schenkt, wenn es stolz davon erzählt, bei irgendeiner Möbelhauseröffnung ganz lange in der Hüpfburg gewesen zu sein, bevor es dann der Tante Herta auf die Mary Janes und beige-besockten Füße gekotzt hat. Gespeit wird auch in Sting (die All-Spinne übrigens sieht dank der Effektschmiede Peter Jacksons, Weta Workshop, durchaus ganz nett aus), zum Kotzen hingegen ist der Film nicht.

Ein paar nette Momente und Inszenierungskniffe, ein wenig fieser Catch-and-Kill und ein zackiges, wenn auch beinahe grotesk kindisches Finale, hinterlassen zumindest den Eindruck, dass Kiah Roache-Turner und Team sich bemüht haben, nicht zuletzt trägt auch der sehr stimmungsvolle Score Anna Drubichs (Barbarian, Nawalny, Fear Street Part Three: 1666). Dennoch kann getrost abgewartet werden, bis Sting als Video on Demand oder auf DVD beziehungsweise BluRay verfügbar ist.

JW

PS: Eine solide Weisheit lässt sich aus Sting allerdings mitnehmen: „Never make friends with anything with more than four legs.“

Sting; Australien 2024; Regie und Drehbuch: Kiah Roache-Turner; Bildgestaltung: Brad Shield; Musik: Anna Drubich; Darsteller*innen: Ryan Corr, Alyla Brown, Penelope Mitchell, Robyn Nevin, Noni Hazelhurst, Jermaine Fowler, Silvia Colloca, Danny Kim, Tony Black; Laufzeit ca.: 92 Minuten; FSK: 16; seit dem 20. Juni 2024 im Kino

Sting ist seit dem 20. Juni 2024 in unseren Kinos zu sehen.

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