Wieso? Weshalb? Warum?

Manches Mal im Leben, da enden Dinge einfach so und kaum wer weiß so recht, warum. So steht mensch dann da — allein auf weiter Flur. Schlimmstenfalls noch komisch beäugt, weil fest entschlossen Licht ins Dunkel der vermeintlich grundlosen und doch substanziellen Veränderung im Leben zu bringen. Gerade bei Trennungen mag das für Betroffene wichtig sein. Natürlich denken wir dabei sofort an klassische Paar– und weniger an freundschaftliche Beziehungen. Doch auch wenn einer Freundschaft unvermittelt ein bewusstes Ende gesetzt wird, reißt das etwas ein. Womöglich sogar mehr, hat doch so manche Freundschaft diverse Liebschaften kommen und gehen sehen. 

Ein Finger für die Freiheit!

Als der etwas einfältige aber gutmütige Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell) eines Tages von seinem besten Freund Colm Doherty (Brendan Gleeson) gesagt bekommt, dass dieser nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle, versteht er die Welt, die er nun zusammenbrechen sieht, nicht mehr. Da mag im Jahr 1923 auf der irischen Hauptinsel der Bürgerkrieg toben — hier auf der (fiktiven) Insel Inisherin ist der fern; was umtreibt, sind die Verschiebungen vor Ort. So ist auch Pub-Besitzer Jonjo Devine (Pat Shortt) einigermaßen verwirrt. Zwar redet Pádraic im Suff manches Mal komisches Zeug, aber er entschuldigt sich doch immer…

Jon Kenny, Brendan Gleeson, Colin Farrell und Pat Shortt sitzen in einem Pub // Foto: Courtesy of Searchlight Pictures. © 2022 20th Century Studios All Rights Reserved

…darum gehe es ihm gar nicht, mein Colm. Er wolle seine Zeit einfach anders, irgendwie sinnstiftender verbringen. Sich der Musik widmen, die er liebt, statt immerfort lange Geschichten über den erfolgreichen Schiss von Jenny, der Eselin Pádraics, anhören zu müssen. Aus der Verwirrung erwächst der Gedanke, diese Freundschaft zu retten. Was wiederum Colm sauer aufstößt, der nun ankündigt, sich fortan einen Finger abzuschneiden, wenn Pádraic ihn weiter konfrontiere. Als dann noch die Insel-Älteste Mrs. McCormick (Sheila Flitton) ankündigt, dass ein bis zwei Inseleinwohner in Kürze sterben werden, mischt sich in die Irritation stille Panik.

Wohlwollen bei Nominierungen

The Banshees of Inisherin, der vierte Spielfilm von Martin McDonagh, der bei seiner Premiere auf den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2022 15-minütige Standing Ovations und manchen Preis bekam, konnte bei den diesjährigen Golden Globes gut abräumen und wurde unter anderem als Bester Film in der Kategorie Musical oder Komödie ausgezeichnet. Bei den Oscars ging er mit insgesamt neun Nominierungen ins Rennen (genauso wie der eher enttäuschende Im Westen nichts Neues von Edward Berger). Dass es hier gar keine Auszeichnung gab, ist beine tragisch.

Neben der Nominierung als Bester Film wurde die von Ben Davis (My Policeman) hervorragend gefilmte dramatische Komödie mit bestem dunklen Humor in den Kategorien Bester Hauptdarsteller (Colin Farrell), Bester Nebendarsteller (Brendan Gleeson, Barry Keoghan), Beste Nebendarstellerin (Kerry Condon), Beste Regie, Bestes Originaldrehbuch (beides Martin McDonagh), Bester Schnitt (Mikkel E. G. Nielsen) und Beste Filmmusik (Carter Burwell) nominiert. Und es kommt nahezu einem dunklen Zauber gleich, dass The Banshees of Inisherin nicht die eine oder andere Trophäe erhalten hat.

Defätismus, aber mit Hoffnung

Dass Martin McDonagh es versteht, defätistischen Humor und launige Tragödien mit einer gehörigen Portion Menschlichkeit zu schreiben und zu inszenieren, hat er bereits in seinen Vorgängerfilmen Brügge sehen… und sterben? (auch hier spielten die Ur-Iren Farrell und Gleeson schon gemeinsam gegeneinander) oder Three Billboards Outside Ebbing, Missouri unter Beweis gestellt. In The Banshees of Inisherin kommt trotz der Weite der Felder, des Meeres und des Horizonts noch eine zuweilen kammerspielartige Atmosphäre hinzu, die insbesondere bei Pádraic und Colm zwischen abstrus und schauerlich changiert. Dass aus unserer anfänglichen Verwirrung über das abrupte Ende der Freundschaft Verständnis wachsen kann, ist nicht zuletzt auch der hervorragend ausbalancierten Schwester Pádraics Siobhán (grandios: Kerry Condon) zu verdanken, die das Absurde erdet und wie es scheint dem Wort „Empathie“ neue Bedeutung verleiht.

Nochmal mit Gefühl: Kerry Condon und Barry Keoghan // Foto: Courtesy of Searchlight Pictures. © 2022 20th Century Studios All Rights Reserved

So etwa, wenn sie mit dem gern der Lächerlichkeit preisgegebenen Insel-Trottel Dominic Kearney (bravourös: Barry Keoghan) umgeht; vor allem als sie seinen zwar unbeholfenen aber ernstgemeinten Avancen eine Absage erteilt und dies für beide so würdevoll als möglich tut. Dass der Sohn des brutalen Insel-Gardaís Peadar Kearney (Gary Lydon) bis hierhin kein einfaches Leben hatte, wird nicht erst klar, als dieser ihn verdrischt.

Martin McDonagh erzählt anhand dieses kleinen Inselkosmos mit dunkler Ironie und viel Gefühl so einiges über die Welt — damals wie heute. Über das Suchen nach Antworten, Individualität, Freiheit und Zugehörigkeit. Nach dem „Etwas“ in einem vermeintlich ziellosen Dasein. Wie wir wissen, werden nicht alle diese Suche überleben und doch werden manche Antworten gefunden, wenn auch womöglich nicht auf Inisherin. 

AS

PS: Dass The Banshees of Inisherin als Bester Film ausgezeichnet worden wäre, wäre ihm zu wünschen. Allerdings wurden auch Everything Everywhere All At Once gute Chancen zugeschrieben — auch hier war unsere Freude groß (eine Besprechung folgt). Als Hauptdarsteller glänzt Colin Farrell, allein wollten wir es auch sehr Austin Butler gönnen, der einen famosen Elvis gegeben hat. Eine Auszeichung Kerry Condons wäre ein Fest gewesen, doch auch ihre nominierten Kolleginnen haben klasse abgeliefert.

The Banshees of Inisherin ist ab dem 15. März auf Disney+ verfügbar. 

The Banshees of Inisherin; USA 2020; Regie und Buch: Martin McDonagh; Bildgestaltung: Ben Davis; Musik: Carter Burwell; Darsteller: Colin Farrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon, Barry Keoghan, Gary Lydon, Pat Shortt, Sheila Flitton, Bríd Ní Neachtain, Jon Kenny; Laufzeit: ca. 114 Minuten; FSK: 16; ab dem 15.3.2023 auf Disney+

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