Schwuler Krieg im literarischen Niemandsland

Beitragsbild: Britische Infanterie der 47th (1/2nd London) Division, die in eine Gaswolke während der Schlacht bei Loos vorrückt. Diese spielt auch im Buch eine Rolle.

Ob es nun an diversen, über die Welt verteilten Konflikten und nicht zuletzt mit dem Angriffskrieg Wladimir Putins auf die Ukraine zu tun hat oder es einfach so eine sichere Bank ist: Geschichten, die sich in den Wirren und Erschütterungen einen Krieges ereignen, da kann nicht viel schiefgehen. Je nachdem wie global Autor*innen oder auch Filmemacher*innen, Verlage und Produktionsfirmen die Stories ausstreuen wollen, fokussiert man sich hierbei entweder auf lokale Konflikte, weit zurückliegende Ereignisse oder eben die beiden Weltkriege — Massenvernichtung geht immer.

„Das Land hatte ein Jahrhundert tot dagelegen, …“

Gerade erst feiert(e) Edward Berger mit seinem Erster-Weltkriegs-Actionfilm Im Westen nichts Neues, der abseits des Titels kaum mehr etwas mit dem eindrücklich und erschreckend aufrichtigen Roman Erich Maria Remarques gemein hat, große Erfolge, da zeichnet sich schon ein weiteres Filmepos ab, das ebenfalls in dieser Zeit spielt. Autorin Alice Winn (die Bergers scheppernden Film laut eines Verlagsgesprächs mochte, aber auch sagt, dass der Film ganz anders sei als das Buch) nämlich hat bereits die Filmrechte ihres Romandebüts Durch das große Feuer verkauft, das vor wenigen Tagen in der 50/50-Übersetzung von Ursula Wulfekamp und Benjamin Mildner im Eisele Verlag erschien.

Die Filmrechte zu verkaufen, das scheint aus gleich mehrerlei Gründen sinnvoll. Zunächst einmal natürlich Geld. Das ist immer gut. Außerdem liegt es nahe, dass sie zumindest an der Drehbuchentwicklung beteiligt würde, arbeitet sie doch sonst an Drehbüchern mit. Darüber hinaus — oder womöglich auch deswegen — liest sich In Memoriam, wie das beinahe fünfhundert Seiten starke Werk im englischen Original heißt, wie ein Buch zum Film. Oder jedenfalls wie eines, das es den Leser*innen leicht macht, sich Orte, Personen und ganze Szenerien vorzustellen. 

„…aber jetzt war es erwacht, …“

Nicht zuletzt aber auch deswegen, weil ein möglicherweise zweistündiger Film mit ansehnlicher Besetzung und Augenschmaus-Bildern (soweit wir wissen liegen die Rechte bei Berlanti Productions, die auch Royal Blue umsetzen, von Greg Berlanti und Mickey Liddell; Stichworte: Riverdale, Arrow, Legends of Tomorrow, Free Guy, …) durchaus solide werden könnte — und womöglich davon ablenkt, dass die Geschichte zwar im Grunde unterhaltsam aber ebenso unnötig langatmig, gern redundant und in vielen Teilen bekannt ist.

Wobei, das sei dazu gesagt, es auf die individuelle Leseerfahrung ankommt. Während und nach der Lektüre habe ich mich mit Menschen ausgetauscht, die beispielsweise den genannten Film Edward Bergers kannten, aber bislang weder ein literarisches Werk noch ein Sachbuch gelesen hatten, das sich dezidiert mit dem Ersten Weltkrieg befasste. Da endete die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Schulzeit, in der, so sich nichts geändert hat, dieser kaum eine Rolle spielt, da immerhin lange über den Zweiten gesprochen werden muss. 

„…und es verlangte nach Blut.“

Für diejenigen war das durchaus flüssig geschriebene Durch das große Feuer eine Art Erweckungserlebnis, eine grausige Konfrontation mit der Brutalität des Krieges sowie dem Willen, Abertausende junge Männer als Kanonenfutter zu verheizen. Andere hingegen meinten hier nicht viel Neues gefunden und im Gegenteil so einiges in anderen Büchern besser gelesen zu haben. Ein Buch wie zwischen zwei Stühlen also. Immerhin fühlen sich so auch die beiden Hauptprotagonisten Henry Gaunt und Sidney Ellwood.

Diese besuchen ein angesehenes, real existierendes Privatinternat (das auch die Autorin besuchte, später stieß sie hier auf die Schulzeitung aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, samt Listen von gefallenen, verwundeten und verstorbenen Schülern an der Front, was wohl einen Anstoß zum Buch lieferte); Gaunt ist reich, Ellwood noch reicher. Beide sind eng befreundet, im Wesen unterschiedlich und einander doch nah. Was sie vor allem eint, sind das gegenseitige Begehren und die Liebe zueinander, was sie natürlich nicht artikulieren dürfen. Hier glänzt Durch das große Feuer anfangs, wenn wir etwa abwechselnd die Blickwinkel und Gedankenwelten der beiden jungen Männer präsentiert bekommen, die zweifeln, dass der jeweils andere ebenso empfindet. Das hat einen gewissen tragikomischen Charme.

„Wir müssen doch aufeinander aufpassen“

Sex haben die Schüler allerdings schon untereinander. Dieser jedoch wird als Mutprobe, Spiel, Jugendsünde, die sich sicherlich auswächst und so weiter deklariert. Schließlich heiraten alle eines Tages irgendeine holde Maid (oder Maud). Zu Beginn wird hier also das Internatsleben beschrieben, dabei fokussiert die Autorin sich auf die Freundesgruppe um Gaunt und Ellwood, der wir auch im Buch immer mal wieder begegnen werden. Eher früher als später geht es an die Front. Zuerst meldet sich Gaunt, der deutsche, gar bayerische, Wurzeln hat und dessen Eltern ihn mehr oder weniger zum Kriegsdienst drängen, damit endlich das Getuschel aufhört, sie seien heimlich deutsche Agenten. Das ist Familie.

Ellwood, der seinen Gedanken und Gefühlen in erster Linie über Gedichte und Sonette Ausdruck verleiht, vermisst ihn; meldet sich freiwillig und siehe da — beide landen an gleicher Stelle. Hier gibt es dann auch während eines kurzen Divisionsurlaubs den ersten Sex zwischen ihnen. Ein Moment, auf den die Leser*innen sicherlich sehnsüchtig gewartet haben. Allerdings ist der leider so unbedarft und vollkommen fern allen Gefühls und jeder aufrichtig erotischen Regung beschrieben, dass mensch es wohlwollend als camp (im Sinne von manieriert) oder weniger wohlwollend als unfreiwillig komisch bis ans Geschmacklose beschreiben möchte.

Nett hingegen sind Stellen, an denen darauf verwiesen wird, wie schlecht es um die Lage Homosexueller im britischen Königreich bestellt ist (halt alles sehr viktorianisch). Wenn dies in der Umgebung unserer Helden allerdings schon beinahe kindlich-soapige Züge annimmt. Konflikte im Freundeskreis etwa gibt es kaum welche. Die kommen aus anderen Gründen. So spielen Eifersucht auf Anerkennung und ein dezenter Antisemitismus gegenüber Ellwood immer mal wieder eine Rolle. Dies aber auch nur in einer Größenordnung, in der es den Leser*innen nicht allzu wehtut.

„Grausamer Kitsch,…“

Dafür wird die Brutalität des Krieges schonungslos geschildert; die Freunde und Mitschüler sterben wie die Fliegen. Das kommt an mancher Stelle unerwartet und erfreut in seiner realistischen, kühlen Konsequenz (wenn es auch im harten Kontrast zu allzu vielen gefühlig-kitschigen Dialogen ohne Inhalt steht). Hier bekam ich mit, dass manche das Buch nur in Häppchen lesen konnten, weil die Gewaltdarstellungen sie so erschütterten. Das sind sicherlich jene oben genannten Leser*innen, die bislang eher weniger zu diesem Thema gelesen und gesehen haben dürften. Jede*r liest ein anderes Buch.

Nicht wenigen anderen jedenfalls dürfte an diesen Stellen von Durch das große Feuer so manches bekannt vorkommen. Werfen wir einen Blick in den Teil „Historische Anmerkungen“, stellen wir fest, dass uns das nicht nur so vorkommt, sondern so ist. Alice Winn hat sich von mal mehr, mal weniger berühmten Autoren, Geschichten und Gedichten inspirieren lassen. Manches Mal wohl auch ein wenig mehr als das. Immerhin findet es Erwähnung, was, wie wir alle wissen, nicht immer selbstverständlich ist. 

Wer sich also während des Lesens von Winns Debütroman des Öfteren beispielsweise an Ernst Jüngers In Stahlgewittern oder R. C. Sherriffs Die andere Seite. Drama in drei Akten erinnert fühlt, liegt ganz richtig. So kommt es leider auch, dass nicht wenige einschneidende Momente und eindringliche Ereignisse leider gar nicht der Kreativität und dem Geist der Autorin entsprungen sind, sondern eher dem Talent geschuldet, bestehende Geschichten zu einer neuen zusammenzufügen. Dieses Talent kommt allerdings an seine Grenzen, als sie von dem Aufenthalt Gaunts in einem deutschen Gefangenenlager zu berichten beginnt. Diese Storyline wirkt wie im Nachgang implantiert, ist entsetzlich öde, gibt der Geschichte nichts und ist dazu voller Schmalz, der beinahe die Hände fettig werden lässt. 

„…wie Tränen aus Tinte.“

Ärgerlich an dieser brutalen Soap ist zudem nicht nur, wie vorhersehbar sie im zweiten Teil wird (und dafür definitiv zu lang ist), sondern ebenso, dass immer mal wieder Themen wie Klassismus, Rassismus und bereits erwähnter Antisemitismus angerissen, aber nie zu Ende gedacht werden. Wer nicht Elite ist, spielt im Grunde keine Rolle — so schreibt eben Elite über Elite, die sich mal in die Niederungen des Plebs begibt. Da es sich bei Durch das große Feuer aber wohl kaum um eine hintersinnige Satire als Gesellschaftskritik — auch ausgedrückt durch das „Wie“ des Schaffensprozesses — handelt, ist das wie gesagt vor allem ärgerlich. Und spricht für eine gewisse Bequemlichkeit.

Ob Alice Winn vermutete, dass manche Leser*innen mit dem Buch hadern könnten? Das vermag ich nicht zu sagen. Auffällig allerdings ist die Dichte an vermeintlichen Cliffhangern zwischen jeweils zwei, drei kürzer werdenden Kapiteln im letzten Drittel des Buches. Ebenso kommt’s am Ende alles recht zackig zu ebendiesem. Vermeintliche Konflikte lösen sich auf, der Krieg ist irgendwie egal. Zuletzt geht es um das Miteinander (wobei ein kurzer Einschub zu Berlin, Magnus Hirschfeld und der Weltoffenheit der Stadt sehr nett platziert ist) und das hoffentlich wieder Lieben-Können. Beinahe wirkt das wie die Vorbereitung auf eine Fortsetzung: „Kriegsdornen: Gaunt und Ellwood — Die verlorenen Jahre“ oder so. 

„Nerven ohne Haut“

Das klingt nun nach einem sehr harten Verriss. Was es gar nicht einmal unbedingt ist. Nur erwartete ich durch die Art, wie das Buch beworben wurde, eine eher tiefergehende, womöglich aufrichtig erschütternde und ein wenig romantische Geschichte. Und auch wenn sich durchaus manch ein wirklich schöner Satz in Durch das große Feuer findet, die ersten hundert Seiten eine gute Stimmung schaffen und sich hier und da Potenzial zu einer großen Geschichte erkennen lässt, handelt es sich am Ende um seichte Unterhaltungslektüre, die die Ernte besserer Geschichten einfährt und zudem in einer Sprache und Form von schwuler Liebe und schwulem Sex berichtet, wie es kein schwuler Mensch je verfassen dürfte. 

Das alles ist okay, das alles wird seine Leserschaft finden; hat es bereits. Es sollte nur klar sein, bevor sich jemand das Buch nimmt und etwas Besonderes erwartet: Das ist es nicht. Weder besonders gut, noch besonders schlecht. Womit es hervorragend zu Edward Bergers Im Westen nichts Neues passt.

AS

PS: Eine Sache, die dann doch ganz witzig in Bezug auf schwules Sexleben ist: Ellwood stellt fest, dass der größere, breitere, kräftigere Gaunt einen etwas kleineren Schwanz als der eher schlaksige Ellwood hat (was der „verstörend anziehend gefunden“ hat). So ist dem: Es sind gern die Dürren, die so hung sind… *justnoticing*

PPS: Vergessen dies zu erwähnen — die Art und Weise, wie Gaunt und Ellwood einander lieben, sich aber nicht immer mögen ist durchaus fein erzählt und klingt in der Tat authentisch. Jede*r die*der schon einmal geliebt hat und darüber hinaus doch manches Mal am Gegenüber verzweifelt, dürfte sich da sehen. 

Alice Winn: Durch das große Feuer; März 2023; Aus dem Englischen von Ursula Wulfekamp und Benjamin Mildner; 496 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; ISBN 978-3-96161-160-7; Eisele Verlag; 24,00 €

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