Liebling, ich habe die Influencerin getötet

Von Bookstagram bis TikTok, ohne Influencerinnen und Influencer lässt sich modernes Marketing kaum noch vorstellen. So eine Reichweite von mehreren Zehntausend Followerinnen und Followern hilft natürlich, um Produkte zum Beispiel an treusorgende Mütter zu bringen. Gleichzeitig sind aber auch treusorgende Influencerinnen nicht vor Anfeindungen gefeit. Doof, wenn sie schließlich an einem Kabel von der Decke baumeln und nicht mehr ganz so viel influencen können.

Moritz Vogt (Golo Euler) kommt mit seinen Kindern nach Hause. Thiel (Axel Prahl) muss ihn vom Tod seiner Frau unterrichten // © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost

So endet die Karriere der Evita Vogt (Lara Louisa Garde), die als MagicMom einen sehr erfolgreichen Videokanal betrieb. Dass sie den Kanal ihrer Körperaktivität allerdings nicht selbst stillgelegt hat, ist für Frank Thiel (Axel Prahl) und Prof. Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) im Tatort: MagicMom nicht so offensichtlich, wie es erscheinen mag. Im Gegenteil, MagicMom wurde sogar übertötet, also mehr als einmal hätte sie das Zeitliche segnen können – ein klassisches Muster, wenn jemand ganz sicher gehen will, dass die Gute aufhört mit dem Influencen…

Münsteraner Motive

Wer also hätte ein Motiv, MagicMom in die Sphären des digitalen Papierkorbs und des analogen Grabs verschwinden zu lassen? Jemand aus ihrer Followerschaft, zum Beispiel ein alleinerziehender Vater wie Jakub LonesomeDad Schmidt (Aviran Edri), der sich vielleicht allzu sehr von Vogt hat verzaubern lassen, während sie ihn abblitzen ließ? Oder die beste Freundin und Wettbewerberin Sabine BusyBine Hertweck (Agnes Decker), die ihrer Freundin den Erfolg neidete und vielleicht (oder vielleicht auch nicht) von MagicMom erpresst wurde? Ähnlich verhält es sich mit der Nachbarin Thekla Cooper (Monika Oschek), die primär genervt von Evita war.

Thekla Cooper (Monika Oschek) im Gespräch mit Boerne und Thiel // © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost

Oder haben wir es mit ganz anderen Eifersuchtsmotiven zu tun, beispielsweise von Evitas Mann Moritz (Golo Euler), der seiner Frau den Erfolg geneidet haben könnte. Dass MagicMom jedenfalls ein solide laufendes Business auf die Beine gestellt hatte, wird schnell erkenntlich, denn schließlich musste sie ein eigenes „Büro“ (wir würden es eher als modernes Großraumlager mit Minibar bezeichnen) einrichten, um all ihre Devotionalien, Testexemplare und Unterlagen aufzubewahren. Lief bei ihr…

Influencen macht nicht nur Freu(n)de

Wir sehen, es gibt so einige Leute, die etwas gegen die erfolgreiche Influencerin hatten. Thiel und Boerne müssen sich also ganz analog mit einer Reihe verschiedener Tatverdächtiger, Motivlagen und Behauptungen auseinandersetzen. Wie so häufig – wenn zuletzt auch deutlich weniger – sind sie hier wieder in ihrer üblichen Schnoddrigkeit im Einsatz, müssen sich aber in der Tat als „alte weiße Männer“ in Welten und Gedanken einleben, mit denen sie bislang nicht allzu vertraut sind.

BusyBine (Agnes Decker) im Gespräch mit Kommissar Thiel // © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost

Dazu zählt die Welt der sozialen Medien und des Influencertums. Dass sich damit Geld verdienen und eine Familie ernähren lässt, müssen hier vermutlich nicht nur die beiden Cis-Ermittler lernen. Genauso ist die am Rande immer wieder aufploppende Debatte um die Stelle eines oder einer Sensibilitätsbeauftragten, die bei den Münsteraner Behörden eingerichtet werden soll, nichts, was der großen Aufmerksamkeit eines Thiel oder gar eines Boerne bedürfte. Mirko Schrader (Björn Meyer) und Silke Haller (ChrisTine Urspruch) jedenfalls kloppen sich verbal um die Position, verbrüdern sich aber im Zweifel gegen ihre Chefs, wenn die einen uninformierten oder abschätzigen Spruch ablassen- ein Beispiel für halbwegs gelungenen Intersektionalismus.

Münster ist überall

Denn in der Tat werden auf diesem (vom Fall vollkommen unabhängigen) Handlungsfeld einige Themen abgehandelt, die von größerer gesellschaftlicher Tragweite sind. Es geht ums Gendern und um queere Repräsentation, um Gleichstellung und Sichtbarkeit – alles also Dinge, die in der Welt der Thiels und Boernes bisher keinen Platz fanden. Dass sie in entsprechenden Momenten also eher abschätzig reagieren, mag einerseits ärgerlich sein, andererseits aber spiegelt es vielleicht doch die Wirklichkeit an vielen Orten dieser Republik wider.

Auf dem Straßenfest kommen Schrader (Björn Meyer), Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann) und Alberich (ChrisTine Urspruch) zusammen – und reden über Gleichstellung // © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost

Zumindest scheint es für das kleinbürgerliche Münster zu gelten, das wir in diesem Tatort immer wieder neben der mondänen und weltgewandten Sphäre des Influencertums präsentiert bekommen. Allerdings wirken die Szenen auf dem Münsteraner Feuerwehr fest (oder was auch immer das für eine Szenerie sein soll, auf der wir Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), ihrem influencernachwüchsigen Neffen Titus (Casper Gold) sowie Drogenbaron „Vaddern“ (Claus Clausnitzer) wiederholt begegnen) eher implantiert und stark überinszeniert – ebenso wie die eingeschnittenen Songclips des Livesängers so gar nicht zur Dramaturgie des Falls passen mögen. Vor allem Drehbuchautorin Regine Bielefeldt dürfte hierfür verantwortlich zeichnen (oder doch eine Freundschaft eines der Hauptdarsteller…?).

Egal, wenn sich Thiel und Boerne hier also eher wenig sensibel verhalten, dann akzeptieren wir das mal als Konsistenz der Figuren, freuen uns aber umso mehr, wenn wir in den kommenden Folgen vielleicht ein wenig Charakterentwicklung hin zu mehr Verständnis für Minderheiten sehen könnten (wobei diese Tatorte für viele womöglich auch deswegen so unterhaltsam sind, weil es eben keine Entwicklung der Figuren gibt). So oder so unterhält uns der Tatort: MagicMom von Regisseurin Michaela Kezele trotz üblich proletenhaftigem Slapstick einigermaßen gut, selbst wenn die Fallauflösung einmal mehr eher in den Hintergrund der erzählten Geschichte tritt.

HMS

Boerne (Jan Josef Liefers) und Thiel (Axel Prahl) // © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost

Tatort: Magic Mom läuft am Sonntag, 5. März 2023, um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one, anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Magic Mom; Deutschland 2023; Regie: Michaela Kezele; Drehbuch: Regine Bielefeldt; Bildgestaltung: Felix Novo de Oliveira; Musik: Christian Biegai & Kerim König; Darsteller: Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Christine Urpsruch, Mechthild Großmann, Björn Meyer, Claus D. Clausnitzer, Golo Euler, Laura Louisa Garde, Agnes Decker, Monika Oschek, Yvonne Pferrer, Aviran Edri, Julius Casper Gold; Laufzeit: ca. 88 Minuten; Eine Produktion der Bavaria Fiction (Niederlassung Köln) im Auftrag des WDR für die ARD.

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