Irgendwie haben die Schwarzwälder Torten, äh, Tatort-Menschen es gerade mit Familien in diversen Konstellationen mitsamt all ihrer Probleme. Kürzlich ermittelten die Kommissare Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) im Umfeld einer gewissen Sandra, anschließend ging es in tiefe menschliche Abgründe im Tal und im aktuellen Fall Das geheime Leben unserer Kinder wird eine Patchwork-Familie in ihren — zugegeben etwas ignoranten — Grundsätzen erschüttert…
Von Nasenbluten und Schulden
…denn so perfekt, wie Miriam Schenk (Susanne Bormann) und Paul Wolf (Christian Schmidt) sich einzureden versuchten, dass ihr Leben sei, ist es mitnichten. Alles beginnt damit, dass Paul auf dem Pullover seines fast erwachsenen Stiefsohnes Benno (Aniol Kirberg) recht viel Blut findet. Das sei vom Nasenbluten meint dieser. Ok then. Anschließend fährt Paul ins Hotel zu seiner Affäre, derweil Miriam in ihrer Manufaktur bastelt, um die drei plus Pauls Tochter Zoé (Caroline Cousin, eben noch im Fokus eines dämlichen Borowski) durchzufüttern.
Zeitgleich wird die Leiche von Bennos bestem Freund Christopher angespült. Tobler kommt etwas verspätet an den Tatort, da ihre Nichte Vanessa (Lola Höller) verkündet, vorübergehend bei ihr einziehen zu wollen. Berg ist missmutig, vermisst schon wieder seinen Urlaub. Irgendwie nimmt seine Schluffigkeit von Fall zu Fall zu. Hat aber auch was. Schnell finden die beiden heraus, dass Chris in die Freiburger Drogenszene verwickelt war. Was passt, denn Benno und Zoé schulden einem ominösen Pizzabuden-Inhaber Geld…
Vom Schwulsein und Influencertum
…es entspinnt sich ein semi-verzwicktes, von Kai Wessel routiniert inszeniertes Netz aus Geheimnissen, alten und neuen Lügen sowie manch ein Beziehungsdrama (Miriam lässt sich noch von ihrem Ex Oliver (Kai Ivo Baulitz) scheiden, was Paul misstrauisch macht). Unschuldige flüchten, Schuldige jagen und am Ende ist alles anders, als mensch denkt oder eben doch genau so. Dabei fokussiert sich der Tatort: Das geheime Leben unserer Kinder nicht ausschließlich auf die für den Fall relevante Patchwork-Familie, sondern beleuchtet immer mal das Familienleben Toblers und führt dazu mit Marius Ullrichs (Max Woelky) noch eine mehr oder minder heimliche schwule Liebschaft Chris’ ein.
Obendrauf gibt’s noch den einen oder anderen Kommentar zur verspielten Zukunft sowie zu waghalsigen Social-Media-Aktivitäten dieser jungen Leute. Hier riskiert auch die rebellische Vanessa manches Mal Kopf und Kragen — sie wolle schließlich Influencerin werden. Wenn Eva Löbau als ruhig-resolute Franziska Tobler ihrer Nichte aufträgt, erst einmal einen Businessplan zu entwerfen, glänzt dieser von Astrid Ströher geschriebene Tatort auf beinahe loriothafte Weise: „Heute ist Samstag!“ — „Ja, als Influencerin hast du dann auch kein Wochenende mehr.“
Von Ironie und Dummheit
Dann wiederum wirkt manch andere Anmerkung zu nicht ganz standardisierten Familienverhältnissen wie auch Social Media seltsam anachronistisch. Oder womöglich soll das harte Ironie auf der Metaebene sein. Das wäre natürlich ein Wahnsinns-Gag. Erst recht, wenn er auch darauf bezogen werden könnte, wie unglaublich, unfassbar, unsagbar dämlich sich die sogenannten Erwachsenen hier verhalten.
Es ist eine Sache zu lügen, zu verheimlichen, zu manipulieren. Sei es zum eigenen Vorteil oder um das eigene Kind zu schützen. Eine andere ist es, sich dabei so zu verhalten, dass sich selbst der Elefant im Porzellanladen beschämt abwenden und vorsichtig rückwärts rausgehen würde. Was Miriam Schenk und Paul Wolf anstellen, um an ihre Kinder ranzukommen, diesen aus der Patsche zu helfen, etc. ist derart unbeholfen und unsinnig, dass es ein Fest des Absurden ist.
Wenn es am Ende zu einem weiteren Todesfall unter recht offensichtlich künstlich erzeugtem Regen und aufgrund überbordender Blödheit kommt, denkt mensch sich jedenfalls womöglich: Eigentlich hätten hier noch weit mehr Personen ins Messer laufen müssen. Exaltierte Dummheit schadet dem Planeten nämlich auch. Spannend vor allem, da das Ende mit dem eigentlichen Fall, der recht konventionell aufgelöst wird, im Grunde nichts mehr zu tun hat. Unterhaltsam ist das alles allemal und somit durchaus eine Empfehlung für einen launigen Sonntagabend nach der Bremenwahl.
AS
PS: Mit einem alten VW-Bus oder sonstiger Drecksschleuder nach Neuseeland auswandern zu wollen um dem Klimawandel zu entkommen ist… also… uhm… ist das etwas, das die Gen Z so im Kopf hat?!
Tatort: Das geheime Leben unserer Kinder läuft am Sonntag, 14. Mai 2023, um 20:20 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Das geheime Leben unserer Kinder; Deutschland 2023; Regie: Kai Wessel; Drehbuch: Astrid Ströher; Bildgestaltung: Andreas Schäfauer; Musik: Jens Grötzschel: Darsteller*innen: Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner, Susanne Bormann, Christian Schmidt, Caroline Cousin, Aniol Kirberg, Kai Ivo Baulitz, Max Woelky, Dalila Abdallah, Lola Höller; Laufzeit: ca. 89 Minuten; Eine Produktion des Südwestrundfunks, Producer Timo Held; Redaktion Katharina Dufner
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