„Wir leben nicht mehr in der gleichen Wahrheit“

Der oben stehende so simple wie erschreckende Satz fällt zu Beginn des letzten Drittels der aufrüttelnden Dokumentation Der Feind im Inneren – US-Veteranen gegen die Demokratie, die heute Abend um 22:10 Uhr in Erstausstrahlung auf arte gezeigt wird. Gesagt hat ihn Michael Breen, ein ehemaliger Offizier der Airborne Division der US-Army, der sich dem Kampf gegen den Kampf der Demokratie verschrieben hat. Manches Mal gar nicht so leicht, da sich doch jene, die 2020 in Louisville aufmarschierten oder am 6. Januar 2021 das Kapitol stürmten, oftmals als Verteidiger Amerikas und der Verfassung begreifen.

Radikalismus und bürokratische Gewalt

Dies wird klar, wenn in der eindrücklichen Dokumentation der Veteranen Charlie Sadoff sowie Koautor und Produzent Kenneth Harbaugh etwa der Gründer das rechtsradikalen Oath Keepers, Stewart Rhodes (mittlerweile zu 18 Jahren Haft für seine Rolle im Kapitolsturm verurteilt), zu Wort kommt. Oder Eric Braden, ebenfalls Veteran, der meint, mit Joe Biden sei ein Vebrecher unrechtmäßig Präsident geworden und es gelte, das Land vor diesen zu schützen. Und vor Kommunisten. Immer vor den Kommunisten! Dass hier eine alte Gefahr aus Zeiten des Kalten Krieges ins Heute transferiert wird, auch daran arbeitet sich der Film ab.

Hinter den Kulissen: das Filmteam mit dem ehemaligen Ranger der US-Armee und jetzigen demokratischen Abgeordneten Jason Crow (Mi.) in seinem Büro // © AAE Film LLC / Foto: WDR

Was die Einschüchterung von Wähler*innen als eine Form der Unterdrückung derselben mit dem Ku-Klux-Klan und der Jim-Crow-Ära zu tun hat, erläutert Esosa Osa, stellvertretende Vorstandsvoritzende von Fair Fight Action. Sie erläutert, dass bürokratische Gewalt genauso viel Schaden anrichten kann wie physische und verweist ebenso noch einmal darauf, dass die Wahlbeobachter-Truppe des Trump-Teams sich „Army for Trump“ nannte und so stark mit militaristischen bis bedrohlichen Motiven spielte.

Gegen Sozen, Homos und Juden

Das passt, da extremistische Gruppierungen wie die bereits erwähnten Oath Keepers sowie die Patriot Front, der National Socialist Club 131 oder die Proud Boys (die Trump mehr als einmal öffentlich goutierte, was mit der Lobpreisung von Terrororganisationen zu vergleichen sei, wie im Film gesagt wird) eben genau darauf abzielen: Du kannst für dein Land und deine Werte kämpfen, die Verfassung und die Wahrheit verteidigen. Für das Gute! Gegen das Böse aka den Deep State, die Weltverschwörung, das verweichlichte Unamerikanische (aka sozialistische Homos) und dunkle Mächte (aka die Juden).

Dabei werden (ver-)zweifelnde US-Veteranen oftmals als unverstandene Opfer (die sie ja in Teilen nicht selten sind) angesprochen, die hier eine Art Wahl-Familie und Freunde finden könnten, die das Gleiche erlebt haben und nun ebenso verloren sind, wie sie selbst. Nach und nach wird man(n) dann mehr und mehr reingezogen. Die ultimative Wahrheit wird gelehrt, die Kampffähigkeit genutzt – der Mensch wird, so nötig, stärker radikalisiert. Der vermeintliche Zusammenhalt der Schicksalsgenossenschaft und der verbindende Hintergrund schweißen zusammen.

Die faschistischen Rattenfänger bekämpfen

So wäre es beinahe auch Kristofer Goldsmith, einem ehemaligen vorgeschobenen Beobachter der US-Army, ergangen. Er steckte schon mitten in der Radikalisierung, diese auch befördert durch diverse Portale und Gruppen im Internet, die ihrerseits „aufdeckende“ Filme veröffentlichten, die das ganze Ausmaß der angeblichen Verschwörung aufzudecken vorgaben bzw. noch immer vorgeben. Diese sind natürlich durchsetzt von rassistischen, antisemitischen und homofeindlichen Mythen und Narrativen.

Demonstranten, die gegen die Wahl Joe Bidens auf die Straße gehen und der Lüge der gestohlenen Wahl anheimgefallen sind (Aus: Der Sturm aufs Kapitol – Ein amerikanisches Trauma) // © ZDF

Goldsmith konnte sich dem dank seines Studiums und aufmerksamer Kommilitonen gerade noch entziehen und ist heute mit dem von ihm gegründeten Task Force Butler Institute als Nazi-Jäger aktiv, das sich vorgenommen hat, potenziell kriminelles Verhalten zu dokumentieren und die „faschistischen Rattenfänger“ zu bekämpfen. Besondere Sorgen mache er sich derzeit um die Generation Z, die (mit konservativen Werten) in vergleichsweise friedlichen Zeiten in den USA aufwuchs, zur Army ging, dort womöglich nicht fänden, was sie suchten und nun über das Versprechen im Verbund mit dekorierten und erfahrenen Kameraden dem patriotischen Ziel eines besseren Amerikas zu dienen, angelockt würden.

Unvorbereitet für das Ausmaß der Lüge

In diesem Zusammenhang wäre der 6. Januar 2021 nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen mag. Auch da viele es besser wüssten, ihre Werte aber aus Opportunismus und Machtstreben verrieten. Zu sehen war dies deutlich im Vorfeld der Sturms auf das Kapitol, als in Repräsentantenhaus und Senat die Bestätigung der Wahl – im Grunde eine rein formale Zeremonie – von den Republikanern, meist wider besseren Wissens (einige sind vermutlich nur dümmliche Mitläufer), die Rechtmäßigkeit der Wahl von Joe Biden als US-Präsident angezweifelt wurde.

Was an diesem Tag vor, während und nach des Angriffs im US-Kongress geschah, wer sich wie äußerte, wie viele Lügen und ja, auch wie stark Unmenschlichkeit von manch erfahrener Abgeordneten-Zunge rollte, das kann im größtenteils aus O-Tönen bestehenden dokumentarischen Hörspiel Im Auge des Sturms von Maxi Obexer (Sonntag, 7. Januar um 17:04 Uhr auf WDR 5) vernommen werden.

6. Januar 2021, Sturm auf das Kapitol: Etwa 15 Prozent der Beteiligten waren ehemalige Angehörige des US-Militärs oder der Polizei // © Associated Press / Foto: WDR

Das ergänzt sich sehr gut mit Der Feind im Inneren, wo auch gesagt wird, dass es unfassbar sei, dass die Menschen nicht realisiert hätten, wie schlimm der 6. Januar 2021 gewesen ist. Auch Esosa Osa meint, hier könne etwas geschehen, das wir aus anderen Gegenden der Welt kennen, aus dem wir aber nie die richtigen Schlüsse zögen: Eine Gefahr aus dem Inneren für Land, Leute und Regierung wurde abgewehrt. Mensch wähnt sich in Sicherheit und bekommt es nicht gebacken, auf eine zweite Welle vorbereitet zu sein, die dann umso härter treffe.

Kommt es zum Bürgerkrieg?

Davon ausgehend, dass diverse der genannten nationalisitischen, faschistischen und rechtsextremistischen Gruppierungen gut organisiert sind, im Hintergrund Menschen stehen, die weit besser vernetzt sind als lautschreierische Selbstdarsteller à la Rhodes oder Enrique Tarrio (inhaftierter Ex-Proud-Boys-Chef) und es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit versteckte Trainingsplätze und Waffenlager gibt… nun gute Nacht Ordnung und guten Morgen Bürgerkrieg.

Ist das möglich? Ein Civil War? Sicherlich. Schon die geplante Entführung und Ermordung demokratischen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, sollte die Wahl 2020 erschüttern, das Land destabilisieren und einen Bürgerkrieg hervorbrigen. (Erstaunlich und erschreckend übrigens, dass es in den USA keine Handhabe gegen Terrorismus aus dem Inneren gibt, was natürlich die Lone-Wolf-Legendenbildung unterstützt.)

Was geschieht, wenn die Wahl 2024 vom Kongress gekippt wird? Eine Frage, mit der sich zu beschäftigen auch außerhalb der USA angebracht ist. Denn die Wahrscheinlichkeit besteht durchaus, so viel ist am Ende von Der Feind im Inneren – US-Veteranen gegen die Demokratie klar. So mag die Doku dabei helfen klar zu machen, dass Amerika nicht nur ein feines Urlaubsziel, die Heimat des vermeintlichen Polit-Clowns Donald Trump und eine solide Binge-Watch-Serien-Schmiede ist. Nein… es ist auch eine wankende Demokratie, die es verpasst, sich zu erneuern und alte Gegebenheiten zu hinterfragen.

AS

PS: Apropos alte Gegebenheit hinterfragen: Das Wahlsystem in den USA ist mehr als überholt und in großen Teilen gar undemokratisch; von Gerrymanderiung und dem Schließen von Wahllokalen mal gar nicht zu sprechen. Wie fehlerhaft dies und wie brüchig dadurch auch das ganze politische System der Weltmacht USA ist, zeigen die beiden Journalisten Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby in ihrem Buch mit dem programmatischen Titel Im Wahn – Die amerikanische Katastrophe auf, das in aktualisierter und erweiterter Paperback-Ausgabe im Herbst 2021 bei dtv erschienen ist. Unsere Rezension lest ihr zum Vorwahlstart der Republikaner Mitte Januar.

PPS: Apropos Bürgerkrieg: Es gibt wohl kaum ein passenderes Jahr, um einen Film mit dem Titel Civil War ins Kino zu bringen. Inszeniert und geschrieben hat diesen Alex Garland (Ex Machina, Men) und zu sehen sind unter anderem Kirsten Dunst als Kriegsreporterin, Wagner Moura, Jesse Plemons als so genannter Patriot und Nick Offerman als US-Präsident. In den USA soll der Film im April in die Kinos kommen – wir halten euch auf dem Laufenden, wann Civil War im Verleih von DCM Films hierzulande startet.

Polizisten halten auf den Treppen des Kapitols die Stellung (Aus: Der Sturm aufs Kapitol – Ein amerikanisches Trauma) // © ZDF

Der Feind im Innereen – US-Veteranen gegen die Demokratie ist am heutigen Dienstag um 22:10 Uhr auf arte zu sehen und bis zum 31. März 2024 in der arte-Mediathek verfügbar. Im Anschluss wiederholt der Sender Der Sturm aufs Kapitol – Ein amerikanisches Trauma von Dagmar Gallenmüller und Gaston Saša Koren (bis 30. Juni 2025 in der Mediathek).

Im Auge des Sturms ist am 7. Januar 2024 um 17:04 auf WDR 5 zu hören und anschließend in der ARD-Audiothek zu finden.

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