„Polizei am Arsch“

Über die Berliner Polizei wird immer wieder diskutiert. Oftmals zurecht, aber gleichzeitig haben es die Beamtinnen und Beamten nicht immer leicht mit der ihnen anvertrauten Klientel. Einen auf die Berliner Art und Weise charmanten Umgang damit hat die bisherige Tatort-Kommissarin Nina Rubin, deren Darstellerin Meret Becker sich am Sonntag aus der ARD-Krimireihe verabschiedet.

BERlin

Bei der Premierenvorführung von Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht am vergangenen Montag im Berliner Delphi Filmpalast erschien Becker in einem Outfit, das nach ihrem eigenen Bekunden „Polizei am Arsch“ hatte. Und damit dürfte sie vielleicht nicht nur im übertragenen Sinne gesprochen haben.

Meret Becker ein letztes Mal als Nina Rubin im Tatort. „So long, farewell, auf wiedersehen, goodbye / I leave and heave a sigh and say ‚Goodbye‘, goodbye“ // © rbb/ARD/Hans Joachim Pfeiffer

Denn – wie Patricia Schlesinger, die Intendantin des federführenden rbb in ihrem Eingangsstatement und -dank erläuterte – der letzte Fall für Nina Rubin spielt zu großen Teilen auf dem Flughafen BER, also somit auch einem vor allem berüchtigten Ort der Hauptstadt (und ja, natürlich liegt er eigentlich in Brandenburg). Für Rubin und ihren Ermittlungspartner Robert Karow (Mark Waschke, der hier gerade am Ende erneut zeigt, was für ein hervorragender Schauspieler er ist) schließt sich hier ein kleiner Kreis, denn auch ihr erster Fall spielte sich auf dem Flughafen ab. Und eine gehörige Portion Queerness, ebenfalls sehr passend zum Berliner-Tatort-Outlet, gibt es auch.

Wasserleiche und Bandenkrieg

Wir beginnen aber an anderer Stelle, in Berlin-Mitte, nahe der Bezirke Kreuzberg und Friedrichshain. Aus der Spree haben die Ermittler eine Leiche gefischt – ohne Kopf, Finger abgeschabt und der Zustand des Körpers dürfte schon einmal besser gewesen sein. Während Karow sich unverzüglich, akribisch und wie gewohnt garstig-kritisch an die Arbeit macht, wird die Kollegin Rubin unversehens in eine andere Ermittlung gezogen.

Welch Wunder, diese soll sich am Ende als integraler Bestandteil der genannten Mordermittlung erweisen. Julie Bolschakow (Bella Dayne) hat nämlich in eine russische Familie eingeheiratet und ist damit Teil einer mafiösen Clanstruktur geworden. Doch nun will sie dieses Leben ablegen, wendet sich an Rubin und will Beweise liefern, die die Familie und ihre Machenschaften auffliegen lassen – und sie ins Zeugenschutzprogramm bringen.

Nina Rubin (Meret Becker) und Julie Bolschakow (Bella Dayne) kommen sich zu Rosentolz‘ „Liebe ist alles“ sehr nahe // © rbb/Aki Pfeiffer

Als in diesem Umfeld noch ein Krieg zwischen den Bolschakows und einem anderen Clan auszubrechen droht, werden die Schritte für Julie in die Freiheit allerdings immer schwieriger. Rubin und der zwischenzeitlich widerwillig eingeweihte Karow müssen tief in die Trickkiste greifen, um Julie aus den Fängen ihrer „Familie“ zu retten. Und selbst dann zeigt sich die ganze Macht des Clans, der sich bis hin zu Maulwürfen – oder vielmehr Ärschen – in der Polizei und am Flughafen verzweigt.

Ein funkelnder Rubin

Nina Rubin steht in ihrem letzten Fall ganz eindeutig im Mittelpunkt. Sie wirkt abgekämpft, triste und erschöpfte Blicke, von Beginn an, Freude mag die ganze Folge über nicht aufkommen. Ihr Ende ist dennoch nicht vorgezeichnet, mehrere Möglichkeiten, wie die Figur den Tatort verlässt, bleiben bis zum Ende offen. Meret Becker verkörpert mit ihrem schauspielerischen Talent, aber auch dank der grandiosen Maske von Sonia Salazar-Delgado und Emilia Grund sehr gut die bereits erwähnte Tristesse, die im Berlin-Style genauso gut nach einem durchzechten Wochenende im Berghain oder einem anderen Club – in der Nähe des Fundorts der Leiche soll es ja davon so manche geben – hätte stattfinden können. Wer die letzten Folgen aus Berlin gesehen hat, wird auf jeden Fall belohnt, denn der Abschied war ein längerer Prozess, der nun an seinen Höhepunkt kommt.

Rubin (Meret Becker, l.) und Karow (Mark Waschke, r.) stehen in ihrem letzten gemeinsamen Fall vor ungeahnten Herausforderungen // © rbb/ARD/Hans Joachim Pfeiffer

Kollege Karow, anfangs noch ein wenig an der Seite stehend, verbeißt sich wie gewohnt in den Fall und kommt dem anfänglichen Nebenkriegsschauplatz um Julie immer mehr auf die Schliche. Ein fataler Fehler seinerseits – ungestüm, wie die Berliner eben sind – wird den Fortgang der Geschichte in eine neue Richtung drehen. Manchmal ist Füße stillzuhalten und den Kolleginnen und Kollegen zu vertrauen eben doch die bessere Alternative.

Rollentausch

Ein grandioses Spiel liefert aber vor allem Bella Dayne in ihrer Rolle der Julie ab. Die verängstigte Clansgattin, die aus ihrem Kerker nur ausbrechen will, nehmen wir ihr ebenso ab wie die promiskuitive Gattin (und Schwiegertochter?), die den guten Anschein wahren will und muss. Als sich zum Ende manches zuspitzt – auch ihre Lippen noch einmal – sind wir ihr einfach nur dankbar für eine überzeugende und packende Rolle.

Wer seine Familie liebt, der flieht: Zwischen Julie (Bella Dayne, 2.v.li.) und ihrer Schweigermutter Koshka (Jeanette Spassova, re.) entbrennt ein Streit – Ehemann Yasha (Oleg Tikhomirov, 2.v.re.) und der Bodyguard müssen eingreifen // © rbb/ARD/Hans Joachim Pfeiffer

Die Geschichte selbst (Regie: Ngo The Chau, Drehbuch: Günter Schütter) hat, wie so häufig, ihre Höhen und Tiefen. Anfangs noch getragen und teils gezogen – die erste Hälfte fühlte sich deutlich länger an – nimmt die Folge in der zweiten Hälfte deutlich an Fahrt und Dynamik auf. Manch düstere Verfolgungsszene gibt vielleicht vor, etwas mehr zu sein, als sie wirklich ist, aber im Wesentlichen fühlen wir uns dennoch gefesselt und spannend unterhalten – auch wenn am Ende fast ein wenig viel Melodrama dabei ist (und der Kollege meinte „Ach, die typischen, random-Tatort-Moves…“).

A long goodbye

Nach Anna Schudt (Martina Bönisch im Dortmunder Tatort) verlässt nun mit Meret Becker die zweite starke und… sagen wir sehr direkte und im besten Sinne herbe Frauenfigur den Tatort (erneut der Kollege: „Die zwei charismatischsten Ermittlerinnen sind nun weg“). Beide haben uns in den vergangenen Jahren viel Freude und manch einen witzigen Spruch bereitet, uns gezeigt, dass Polizei manchmal vielleicht wirklich „am Arsch“ ist, aber hey, viele Ecken von Berlin sind das auch (und vermutlich auch in Dortmund).

Ein Abschied, so herzlich wie aufrichtig: Meret Becker springt Mark Waschke um den Hals; links Regisseur Ngo The Chau, rechts die Moderatorin des Abends Marion Brasch und Malik Aslan-Darsteller Tan Caglar // Foto: © the little queer review/HMS

Mark Waschke verabschiedete seine Co-Kommissarin aus 15 Tatorten in sieben Jahren (oder war es andersrum?) sehr herzlich mit einem Gedicht. Poesie ist vielleicht nicht die große Stärke seiner Figur Robert Karow, aber mit dem Abgang seiner Partnerin dürfte sich auf jeden Fall das Versmaß im Berliner Tatort ändern. Wir sind gespannt auf die kommenden Folgen, aber so viel dürfte klar sein: Ein wenig „am Arsch“ dürfte der Berliner Tatort in Zukunft sein, denn Meret Becker aka Nina Rubin wird sehr fehlen.

HMS, Mitarbeit AS

Nina Rubin (Meret Becker) blickt in Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht ein letztes Mal zurück // © rbb/ARD/Hans Joachim Pfeiffer

Tatort: Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht läuft am 22. Mai 2022 um 20:15 Uhr im Ersten; um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht; Deutschland 2022; Regie: Ngo The Chau; Drehbuch: Günter Schütter; Kamera: Claus Jürgen Pfeiffer; Musik: Dürbeck & Dohmen; Darsteller*innen: Meret Becker, Mark Waschke, Bella Dayne, Oleg Tikhomirov, Nadeshda Brennicke, Tan Caglar, Tristan Seith, Gode Benedix; Laufzeit: ca. 88 Minuten; Im Auftrag des Rundfunk Berlin-Brandenburg hat die Provobis Gesellschaft für Film und Fernsehen mbH (Produzent Jens C. Susa) die Realisation übernommen. Die Redaktion liegt bei Josephine Schröder-Zebralla (rbb) und Verena Veihl (rbb). Die Dreharbeiten wurden als „Green Producing“ entsprechend den offiziellen Nachhaltigkeitskriterien der ARD umgesetzt.

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