Ein Wochenende zum Ende

Es hat durchaus etwas für sich, Filme die mensch vor längerer Zeit gesehen und zwar noch in Erinnerung jedoch nicht mehr im Detail im Kopf hat, ein weiteres Mal zu sehen. Denn in dem Fall gilt nicht ich ist ein anderer, sondern ich bin mittlerweile ein anderer. So war es interessant, die eigene Seherfahrung zu reflektieren, als ich kürzlich, nach über zehn Jahren, Andrew Haighs das New Wave Queer Cinema einleitenden Film Weekend (im Verleih von Salzgeber) erneut sehen konnte.

Aufgenommen und mitgenommen

In dem britischen Film geht es um Russell (Tom Cullen) und Glen (Chris New), die sich am Freitagabend in einer Schwulenbar kennenlernen und am Samstagmorgen in Russells Bett in seiner Wohnung im vierzehnten Stock einer eher prekär zu nennenden – homofeindliche Sprüche inklusive – Hochhaussiedlung aufwachen. Sich vorsichtig aneinander herantasten, noch eher verhalten verabschieden. Russell fährt zu seinem Job als Bademeister einer Schwimmhalle, später holt Glen ihn ab.

Russell und Glen beim After-Work-Deep-Talk // Foto: © Salzgeber

In Russells Wohnung fallen sie nicht sofort übereinander her, wie wir es erwarten würden, sondern sie reden. Reden über die Kunst, die Glen betreibt. Er nimmt sich und seine Sexualpartner auf Band auf, später soll dies ausgestellt werden, eigentlich. Doch wer soll schon kommen? Die Heten sicher nicht, die wollen nur über ihren Sex reden und davon hören und die Homos wollen nur Schwänze sehen, meint er – wo er recht hat, damals wie heute, meine ich.

Unbehagen oder Vertrautheit?

Sie reden über Russells Familiengeschichte, die so recht keine ist. Weswegen er sich nie vor Eltern zu outen hatte. Etwas, das ihn nun irgendwie umtreibt, er diese Erfahrungen bei anderen sucht, irgendwie. Es gibt ein wenig wichsen, danach den Abschied. Und das Geständnis von Glen: Morgen geht’s in die USA, nach Portland, für mindestens zwei Jahre zum Kunststudium. Oy vey! Doch die Einladung, ob Russell am Abend nicht zu einem Umtrunk mit Freund*innen von ihm kommen wolle.

Gras macht ja bekanntlich Lust auf Schokolade // Foto: © Salzgeber

Er kommt, sie reden, miteinander, den anderen, irgendwelchen vermeintlichen Heteros, die sich von „der Lautstärke“ gestört fühlen wollen, in der Glen über eine Sexerfahrung gone bad fabuliert. Glen kann reden, weit besser als Russell, der nicht mal mit anderen über seine (Homo-)Sexualität reden will. Geschweige denn sie nach außen zu tragen. Sie hauen ab, ziehen durch das spätabendliche Nottingham und landen wieder bei Russell. Wieder wird geredet. Nun auch mehr geraucht, gekifft, gekokst, usw. usf.

Dabei führen sie Gespräche, die, dafür dass sie einander gerade einmal vierundzwanzig Stunden mit Unterbrechungen kennen, eigentlich viel zu tief, zu weit gehen. Die gut und gern als heikel, zu persönlich bezeichnet werden könnten. Die Unbehagen auslösen könnten, vielleicht sollten. Andererseits – wofür schämen? Wir sind, wer wir sind. Außerdem sehen wir uns doch nicht mehr wieder. Morgen geht es immerhin auf einen anderen Kontinent.

Die Stimmung passt

So folgen wir den beiden über ein Wochenende, das natürlich auch noch in den Sonntag gehen wird. Wirklich guter und heiß inszenierter Sex inklusive. Überhaupt ist die Regie von Andrew Haigh, der Weekend auch schrieb und schnitt, sicher (den Look behält er auch bei Looking bei), scheint aber bei vielen ausgesucht ästhetischen Einstellungen (Bildgestaltung: Ula Pontikos) doch Raum für manch Improvisation gelassen zu haben. Dass Cullen und New perfekt in ihre Figuren schlüpfen, diese vollends ausfüllen und sie mit gelassener Ernsthaftigkeit geben, schafft beinahe den Eindruck, als würden wir hier eine Dokumentation sehen.

Wer ist eigentlich „ich“ – und wie sieht das aus? // Foto: © Salzgeber

Tun wir aber nicht. Durchaus ist es ein Spielfilm. Irgendwo zwischen queerer respektive schwuler Romanze, einem kleinen Drama, einem Ensemblefilm bestehend aus zwei Personen und einem Hochhaus sowie einer gesellschaftskritischen Komödie angelegt. Ich erinnere mich, den Film damals mit einer gewissen Faszination gesehen zu haben. Irgendwie hatte ich das Gefühl, Russell und Glen seien „weiter“ als ich. Was komisch ist, sind doch beide Suchende, Zweifelnde und für sich genommen Einsame. Vor über zehn Jahren, also 2012, habe ich das gar nicht so wahrgenommen. Komisch eigentlich – womöglich war ich mit manch eigener Suche so beschäftigt, dass deren Kern an mir vorbeiging?

Alle woll(t)en ihr Weekend

Ebenso erinnere ich mich gut daran, dass Weekend nicht nur von der Kritik, sondern auch in meinem Bekanntenkreis, wie überhaupt großen Teilen der nicht nur filmaffinen Community, gefeiert und geliebt wurde. (Wenn auch manche kritisierten, dass es die erwarteten Schwänze so doch nicht zu sehen gab – was Glen sagt!)

GuMoHomo // Foto: © Salzgeber

Auch dass damals nicht nur einige Menschen aus meinem näheren Umfeld, sondern auch so manches meiner Dates unbedingt diese Weekend-Erfahrung machen wollte. Irgendwie kennenlernen (und sei’s im Internet, was so Weekend ja schon nicht mehr wäre…), sich treffen, fummeln, verquatschen, trinken, ein paar Drogen vielleicht, reden, so mit Deep Talk, wie’s mittlerweile heißt, Sex, etc. pp. (bestenfalls mit reichlich davon). Ich weiß auch noch, dass ich das damals im Gesamten so amüsant wie irritierend fand wie im Besonderen, als eines meiner Dates mal versuchte, mich unbedingt bei sich zu behalten. Unbedingt noch was zu trinken. Vielleicht gemeinsam in die Wanne? Etwas zu essen bestellen und nochmals ein wenig aneinander fummeln, während wir warten?

Wo stehen wir heute?

Bei einigen wenigen der jungen Männer, die ich in der Zeit so traf, frage ich mich durchaus, wie es denen heute so geht (ja, der Kontakt ist bei kaum jemandem bestehen geblieben und ich gehöre nicht zu den Netz-Stalkern). Genauso frage ich mich, wo Russell und Glen denn wohl angekommen sein mögen. Beieinander, doch in einer Beziehung? Reihenhaus, wie Russells bester Freund Jamie (Jonathan Race), inklusive?

Hello, Goodbye, wie es schon The Beatles meinten // Foto: © Salzgeber

Der Film wird bald fünfzehn. Vielleicht eine Idee, die beiden wiederzusehen? Wieder zu besuchen, quasi? Oder einander wieder besuchen zu lassen, sollten sie nicht miteinander sein. Ich hätte auch gar keine Erwartungen an Weekend Revisited. Auch wenn ich hoffen würde, dass das nicht so fatal banal würde wie in André Acimans Find Me – Finde Mich, dem Call Me By Your Name-Nachfolger…

Ach wisst ihr was?! Wir belassen es einfach bei dem Abschied, den wir vor gut zehn Jahren von Russell und Glen genommen haben und nun noch einmal nehmen können, wenn er am Dienstagabend im rbb zu sehen ist. Der war recht perfekt, genau wie dieser Film, der zurecht als einer der besten queeren/schwulen Filme ever, ever, ever gilt.

JW

Weekend wird im Rahmen der sechsten Ausgabe von rbb QUEER als deutsche Erstausstrahlung Dienstag, 1. August 2023, um 22:45 Uhr im rbb ausgestrahlt und ist anschließend für 14 Tage in der ARD-Mediathek verfügbar.

Weekend; UK 2011; Regie, Buch und Schnitt: Andrew Haigh; Kamera: Ula Pontikos; Musik: Hook & The Twin; Songs: John Grant; Darsteller*innen: Tom Cullen, Chris New, Jonathan Race, Laura Freeman, Jonathan Wright; Laufzeit ca. 96 Minuten; FSK: 16; englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln; eine Produktion von Glendale Picture Company mit The Bureau & Synchronicity Films mit EM Media, im Verleih von Salzgeber

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