Gewohnte „überlegene Schönheit“

Beitragsbild: links das Cover mit Lukáš, rechts Robert unter der Dusche // © Phil Dlab/Salzgeber

„Neunzig Prozent der Arbeit benötigt man für die Rekrutierung. Die Fotosession, die einen sechs Stunden lang geistig und körperlich von in Anspruch nimmt, ist der belohnende Höhepunkt nach einem zermürbenden Aufstieg.“

Phil Dlab im Vorwort zu „Nothing to Hide 2 — Young Men from Slovakia

Dass der in der Slowakei geborene, aber in Kanada aufgewachsene Fotograf Phil Dlab, der 2010 in das Land seiner Geburt zurückkehrte, seine Arbeit mit Bergsteigerei vergleicht, ergibt nicht nur in Hinblick darauf Sinn, dass einige der Fotografien der zumeist heterosexuellen, immer sportlichen jungen Männer zwischen 18 und 25 Jahren in den Kleinen Karpaten entstanden. Auch ist Dlab begeistert von Sport wie Sportlern und der Natur, überhaupt davon, im Freien zu sein. 

Freiheit zum Genießen

So sieht er auch seine Fotografie als Befreiung, natürlich auch für die jungen Models, die „ihre Masken und die soziale Fassade“ ablegen und „einen Tag lang die Freiheit genießen“ können, wie er in seinem Artist’s Statement zu Nothing to Hide 2 — Young Men from Slovakia schreibt, der nach großem Erfolg als Folgeband von Nothing to Hide im November 2022 bei Salzgeber Buchverlage erschien (Phil Dlab wollte das erste Buch gern als „köstlichen kleinen Appetithappen auf dem Weg zu einem befriedigendem Hauptgericht“ betrachten). Erneut gestaltet wurde der um die zwanzig Seiten stärkere und mit 49,00 Euro zehn Euro teurere Band von Björn Koll und Johann Peter Werth sowie erstmals Jan Baszak.

Martin in Sauna-Atmosphäre und selbst in diesem s/w-Foto sind seine Augen durchdringend // Foto: © Phil Dlab/Salzgeber

Zwischen der Entstehung und der Fertigstellung der beiden Bildbände lag nun die Hochzeit der Covid-19-Pandemie und der Beginn des Angriffskriegs von Putins Russland gegen die Ukraine. Auf beides geht Dlab auch in seinem einleitenden Text ein und schreibt: „Ich bin ziemlich sicher, dass ich während der Arbeit am ersten Buch geistig nicht so erschöpft war wie heute.“ Mensch merkt’s, ist sein gesamtes Statement am Ende zwar nicht weniger lebensbejahend als jenes zum ersten Band aber doch weniger spielerisch.

Sportliche Schlitzohren

Den Fotografien der sechs Jungs — Šimon, Patrik, Martin, Michal, Lukáš und Robert — ist dies kaum anzumerken. Entstanden sind die gezeigten Bilder im ersten Jahr von Phil Dlabs erfolgreicher Foto-Website bodytorium 2019 und im Jahr 2020. Genau wie im ersten Buch werden die teils in Farbe, teils in Schwarz-Weiß geschossenen und abgedruckten Portraits und Aktfotografien von kurzen Statements des Fotografen eingeleitet, die uns das Kennenlernen und die Beziehung beschreiben.

Ein Šimon im Kornfeld // Foto: © Phil Dlab/Salzgeber

Ebenfalls gleich geblieben ist der Abschluss von Nothing to Hide, der in Duo-Aufnahmen besteht. Waren es im ersten Band die Freunde Andrew und Lukas, sind es hier Lukáš und Robert (witzigerweise überzeugte Andrew die beiden wohl letztlich, gemeinsam zu posieren), zur Zeit der Fotografien 18 Jahre und Oberschüler. Lukáš, „ein Schlitzohr mit fragwürdigen Geheimnissen“ plant dem Pfad seines Vaters zu folgen und auf die Militärakademie zu gehen und Robert musste nach einem Unfall das Boxen aufgeben, gleicht dies aber mit Gewichtheben aus. 

Sprachlose Superlative

Das Shooting mit den beiden — die wir zuvor ausführlich in Einzelstrecken mal in der Natur, mal vor der Wand und mal in Bett und Bad begleiten — muss Phil Dlab nachhaltig beeindruckt haben. Anders lässt sich seine beinahe sprachlose Rückbesinnung auf die Zeit der Aufnahmen während des slowakischen Queer Film Festival kaum erklären. Eine „Sache der Poesie und einer viel besseren Ausdruckskraft als der, über die ich derzeit verfüge“, schreibt er, um die Fotosession dann ein „besonderes, unwahrscheinliches und in meiner Vorstellung ein ‚ans Unmögliche grenzende[s] Ereignis“ zu nennen.

Patrik am See // Foto: © Phil Dlab/Salzgeber

Außerdem „mutig und rebellisch“ — nach diesen Superlativen wundert es ein wenig, dass der Salzgeber Buchverlag keines der gemeinsamen Fotos von Lukáš und Robert in die Pressebildauswahl aufgenommen hat. Eine erneute Wiederholung, schrieb ich doch schon im PS meiner Besprechung zum ersten Buch, „dass die Pressebild-Auswahl für Nothing to Hide dem Band nicht vollends gerecht wird.“ 

Auf der Suche nach Neuem

Apropos Wiederholung: In Nothing to Hide 2 (der kreativer auch „Still Nothing to Hide“ hätte betitelt werden können) erläutert der spazier-affine Fotograf einmal mehr, wie aufwendig und unsicher die Anbahnung der Shootings ist und wie wenig zuverlässig dies über die sozialen Medien funktioniert. Ebenso wissen geneigte Betrachter*innen bereits, dass er eben nicht nach professionellen Models suche, „Pornostars, Stripper, Exhibitionisten, betrunkene Schwule am Rande der Gay Pride Paraden“ ihn wenig interessieren, sondern eher jene, die sich ihrer Attraktivität nicht bewusst seien. Seine wichtigste Aufgabe und Hauptverantwortung bestehe darin, „herumzuschlendern, Kontakte zu suchen und Menschen zu treffen“, das ist in dieser Deutlichkeit allerdings neu und verdeutlicht die Schwierigkeiten, die die Pandemie dem „introvertierten Extrovertierten“ bereitet haben dürften. 

Ein Lukáš steht im Wald // Foto: © Phil Dlab/Salzgeber

Nichtsdestotrotz ist der Band gut gefüllt und bietet insbesondere für Freunde der Art, wie Dlab seine Models agieren lässt und ablichtet, einige Schauwerte. Da die Bilder größtenteils jedoch im zeitlichen Umfeld des ersten Nothing to Hide entstanden, sind sowohl Bildgestaltung wie auch einige Merkmale der jungen Männer recht ähnlich. Wer also eine Weiterentwicklung erwartet oder wünscht, dürfte enttäuscht sein. Wer mehr vom Gleichen möchte hingegen begeistert (wenn es dieses Mal auch keine harten Schwänze zu sehen gibt). 

Schöne Natürlichkeit

Denn so ähnlich vieles ist, so trifft das auch auf die durchaus einnehmende Natürlichkeit der Fotografien, das Streichen der Anonymität durch Anekdoten und zumeist offene Gesichter zu. So etwa beim Parkour-Athleten Šimon, den Phil schon einige Jahre kannte, bevor er ihn fotografierte, der ihm schon „so manche Tage gerettet“ habe und dessen Nacktheit er als einen Schatz bezeichnet, der verewigt werden musste. Und in der Tat ist dieser Šimon ein natürlich schöner Mann mit wunderbarer Ausstrahlung. 

Patrik // Foto: © Phil Dlab/Salzgeber

Genauso glauben wir gern, dass Patrik, der in früher Kindheit von der Ukraine in die ostslowakische Stadt Košice (in der Dlab etwas sieht, das ihm mittlerweile in Bratislava fehle) umsiedelte, nur die zwei Zustände „Turbo“ und „Aus“ kennt. Beinahe romantisch wird es, wenn es heißt: „Ich könnte ein ganzes Buch mit Fotos und Gedichten über ihn füllen.“

Hauptgericht oder Amuse-Gueule?

Nach nur einem Bier war Dlab überzeugt, in Model Martin ein Wunder zu sehen und all jenen, die es ein wenig bulliger mögen und/oder auf durchdringende Augen stehen, dürfte sich dieses zumindest kurzzeitig auch ohne Bier manifestieren. Ebenfalls sehr breit ist der 25-jähirge Michal, ein Fitnesstrainer mit vollem Bart, der dem Fotografen von dem ebenfalls bärtigen Samuel aus Band eins vorgestellt wurde. Überschneidungen also auch im übertragenen Sinne. Dennoch wird trotz mancher Ähnlichkeit die Individualität eines jeden Menschen deutlich; der Typus mag gleich sein, die Person ist es eben nicht. 

Für Aficionados von natürlicher, gern naturbezogener Fotografie ostmitteleuropäischer junger Männer, die eine Mischung von Maskulinität und Verschmitztheit vermitteln und nicht dem durchschnittlichen Schönheitsideal nacheifern, ist Nothing to Hide 2 — Young Men from Slovakia definitiv als Hauptgericht zu empfehlen. Für alle, die sich beim Betrachten ein wenig herausgefordert fühlen und die Nacktheit gern intellektuell untermalt hätten, ist der Band bestenfalls ein Amuse-Gueule. 

JW

Phil Dlab: Nothing to Hide 2 – Young Men from Slovakia; November 2022; Hardcover, gebunden; 194 Seiten; circa 170 Fotografien; Format: 32 x 24 cm; Texte in deutscher und englischer Sprache; kreiert und gestaltet von Björn Koll, Jan Baszak und Johann Peter Wirth; ISBN: 978-3-95985-664-5; Salzgeber Buchverlage; 49,00 €

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert