Meinungsfreiheit ja – Menschenverachtung nein

Beitragsbild: Die Bündnis 90/Die Grünen-Politikerinnen Renate Künast, Britta Haßelmann und Tessa Ganserer im Plenum während einer Kurzintervention der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch

Bei der Bundestagsdebatte zum Internationalen Frauentag kam es vergangenen Donnerstag zu aufwühlenden, trans*feindlichen und menschenverachtenden Szenen, die im Plenum fraktionsübergreifend für Aufregung, aber auch Widerspruch und Solidarität mit queeren Menschen und namentlich der anwesenden Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Tessa Ganserer sorgten. Auch uns blieb beim Verfolgen der Debatte am Donnerstagmittag zeitweilig der Lunch-Tea im Halse stecken. 

„Trans-Ideologie ist totalitär“

So griff die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch die Grünen-Politikerin Ganserer, die in dieser 20. Wahlperiode erstmals dem Bundestag angehört, unter anderem als „als Frau verkleidet“ an und blaffte ins Plenum: „Sie, fast alle hier, sind Frauenabschaffer, weil Sie, fast alle hier, der Gender-Ideologie anhängen.“ Für die eine ist trans* ein christlicher Kult, für die andere eben Ideologie, gern auch mal beides. Ebenso bezog von Storch sich auf einen transphoben Beitrag der Zeitschrift EMMA, der bereits im Januar Stimmung gegen Tessa Ganserer machte, sie als „Mann“ bezeichnete und insgesamt fünfmal ihren abgelegten Namen nannte.

Autorin Sibel Schick reagiert auf den erwähnten Beitrag in der EMMA

Auch von Storch bediente sich des so genannten Deadnamings, das trans*feindlichen und queerphoben Aktivist:innen dazu dient, trans* Menschen zu mobben. Als, wie zu vermuten steht, vermeintliche Totalitarismus-Expertin ergänzte von Storch noch, dass die „Trans-Ideologie totalitär“ sei. 

Ganserer trage zwar „Rock, Lippenstift und Hackenschuhe“ bleibe aber dennoch ein Mann. „Und wenn er als solcher über die grüne Quote in den Bundestag einzieht und hier als Frau geführt wird, ist das schlicht rechtswidrig.“ Ein ähnliches Narrativ fuhr auch der EMMA-Beitrag, der sich daran störte, dass Ganserer ihren Personenstand bislang nicht ändern ließ und sie darüber hinaus als „juristischen Mann“ bezeichnete. Dass dies als politisches Zeichen zu verstehen sei, machte die Grünen-Bundestagsabgeordnete hingegen des Öfteren klar. Sie engagiert sich gegen die restriktiven Regelungen des so genannten Transsexuellengesetzes und für ein Selbstbestimmungsgesetz, wie es nun im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vorgesehen ist.

„Niederträchtig und zutiefst menschenverachtend“

Während der Rede von Storchs kam es immer wieder zu empörten Zwischenrufen, im Plenum des Bundestages herrschte sichtlich Aufregung. Nach ihrer Rede rief Parlamentsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Die Grünen) von Storch dazu auf, „Respekt vor der Kollegin Tessa Ganserer“ zu zeigen. Es bedarf nun nicht viel, um zu ahnen, dass ihr das recht schnuppe sein dürfte. 

Es folgte eine Kurzintervention der Co-Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Britta Haßelmann, in der sie sagt: „[D]as was die Abgeordnete Storch sich gerade in diesem Haus erlaubt hat, ist niederträchtig. Niederträchtig, bodenlos, es ist homophob und zutiefst menschenverachtend.“ Uns könnten kaum ein passendere Worte in den Sinn kommen. Im Übrigen, freilich von der Meinungsfreiheit gedeckte Niedertracht und Menschenverachtung. Ist eine liberale Demokratie nicht was Tolles?!

Haßelmann fuhr entsprechend fort: „Aber dieses Haus ist ein Haus der Demokratie und der freien Rede und deshalb konnte sie das hier sagen. Es erschüttert mich zutiefst, dass jemand über eine Kollegin im Deutschen Bundestag so abscheulich und niederträchtig spricht.“ Sie ist sichtlich aufgewühlt und bewegt, ihre Intervention wird immer wieder von Applaus aus allen demokratischen Fraktionen unterbrochen.

Der Wert des Selbstbestimmungsrechts

Sie wende sich an „Sie alle: Tessa Ganserer ist eine von uns. Sie ist meine und unsere Kollegin.“ Der Frauenanteil in der Grünen-Bundestagsfraktion beträgt 59 % und Tessa Ganserer sei Teil davon und niemand habe darüber „zu richten, zu reden oder zu entscheiden, wie diese Frau ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnimmt.“ Beatrix von Storch schüttelt hier bei leicht den Kopf, Überraschung.

Britta Haßelmann bedankte sich bei ihren Parlamentskolleg:innen für den Applaus, denn dieser zeige der Öffentlichkeit, dass diese die Haltung teilen würden. „Wir sollten zusammenstehen, bei aller Unterschiedlichkeit in der Sache, als demokratische Kräfte, wenn eine solche Menschenverachtung hier im Haus passiert, stellen wir uns dem entgegen. Danke dafür.“ 

Beatrix von Storch antwortet daraufhin ihrerseits mit einer Kurzintervention, spricht erneut den Deadname Ganserers aus und nennt die Inhalte des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes absurd und sie sagt, dass die Gesellschaft nicht gezwungen werden dürfe, jemanden, der „juristisch ein Mann ist und biologisch ein Mann ist, als Frau annehmen zu müssen und auch für ihn die Quoten für Frauen zu öffnen.“

Katrin Göring-Eckardt verkündet nun, die Debatte weiterzuführen und ergänzt: „Ich freue mich, dass die Kollegin Ganserer im Haus ist.“ Diese hielt später übrigens ihre erste Bundestagsrede zur  Debatte über die Einsetzung eines Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung.

Unerträgliche und unsägliche Beleidigungen

Der erste Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Die Grünen), twitterte: „Trans Frauen sind Frauen und @GansGruen ist eine Frau!“ Was von Storch von sich gegeben habe, sei menschenfeindliche Hetze.

Aus der SPD bekräftigte die Abgeordnete Josephine Ortleb ihre Solidarität: „Wer eine Kollegin angreift, greift uns alle an. Menschenverachtende Reden bleiben nicht unwidersprochen.“

Die Fraktionskollegin Ganserers, Nyke Slawik, die zweiten trans* Abgeordnete der Grünen, wiederholte in einem Tweet die Schlagworte „Niederträchtig. Menschenverachtend. Respektlos.“

Der neue Sprecher für Queerpolitik der FDP-Fraktion Jürgen Lenders, ebenfalls neu im Bundestag und zuvor von 2008 bis 2021 Mitglied des Hessischen Landtags, verschickte eine Stellungnahme, in der er die Äußerungen Beatrix von Storchs ebenfalls homophob und menschenverachtend nennt und schreibt: „Frau von Storch hat von sexueller Identität und geschlechtlicher Vielfalt keine Ahnung.“

Dass sie das Parlament als „Theater“ bezeichne, in dem über das Selbstbestimmungsgesetz beraten werden soll, sei ein Affront „gegen unsere freiheitlichen und demokratischen Werte. Die Abschaffung des Transsexuellengesetzes ist längst überfällig.“ Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand müssten ohne diskriminierende Hürden grundsätzlich per Selbstauskunft möglich sein, so Lenders. Die Beleidigungen gegenüber Tessa Ganserer seien unerträglich, ebenso das Nutzen ihres Deadnames.

Die queerpolitische Sprecherin der oppositionellen Fraktion der Linkspartei, Kathrin Vogler, nannte die Attacken „unsäglich“ und lobte die Antwort von Britta Haßelmann auf diese „transfeindliche Hetze“.

Antidemokrat:innen und TERFs der Welt, vereinigt euch

Bevor von Storch sprach, hatte bereits ihre Fraktionskollegin Mariana Iris Harder-Kühnel die Gelegenheit zu einer Rede in der Debatte. Sie sprach davon, dass es, „als vor 111 Jahren der Weltfrauentag eingeführt wurde, ging es Frauen noch um die echten Frauenrechte.“ Heute würden vor allem Phantomdebatten geführt, da ginge es um „gendergerechte Verhunzung der deutschen Sprache oder immer wieder um das leidige Thema Frauenquote.“ Sei fährt mit absurden Anwürfen gegen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Bundesfamilienministerin Anne Spiegel, beide Die Grünen, fort. Spiegel wolle die Familie abschaffen und durch eine Verantwortungsgemeinschaft ersetzen und würde somit de facto die „für Frauen katastrophale islamische Vielehe“ legalisieren und so weiter. Wisst ihr Bescheid.

Damit hat die Debatte eines gezeigt: Ein Brückenschlag zwischen Anti-Demokrat:innen und trans*feindlichen Frauen und Feminist:innen, aka TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminists) ist gut möglich. Klasse, dann können die ja bald die Anti-Corona-QuerdenkerSpinnenden-Spazierenden ersetzen. 

Ebenso machte die Entrüstung im Plenum und darüber hinaus, wie auch die anschließenden Solidaritätsbekundungen, deutlich, dass solche Positionen weder unwidersprochen bleiben, noch dass Menschenfeindlichkeit, wenn schon von der Meinungsfreiheit gedeckt, so nicht durch Schweigen und Ignoranz goutiert wird.

Die ganze Debatte und die Kerninhalte findet ihr hier auf der Seite des Deutschen Bundestages.

QR

PS: Unsere Gastautorin Nora Eckert wird das im April im KiWi-Verlag erscheinende, von Alice Schwarzer und Chantal Louis herausgegebene Buch Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? – Eine Streitschrift besprechen.

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