Freifliegende Endorphine

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Beitragsbild: Lukas und Andrew; leider ist das Bild unten abgeschnitten und es fehlen ganz nette White Socks und Co.

„‚Bilder von nackten Typen? Die gibt es doch überall. Und sogar umsonst.‘“ So beschreibt der slowakische Fotograf Phil Dlab in seinem Statement die Reaktion einiger Bekannter, als er ihnen das Konzept zu seiner Website Bodytorium im Jahr 2018 vorstellte. Damals, so schreibt er weiter, fiel es ihm schwer, „mit wenigen Worten zu erklären, weshalb meine Fotos einzigartig und speziell waren.“ Angst und Selbstzweifel spielten dabei ebenso eine Rolle wie das Problem, die Identität als Männeraktfotograf in der „recht traditionellen Slowakei“ zu akzeptieren.

Lukas in Nothing to Hide // © Phil Dlab

150mal authentische Körperlichkeit

Seine Seite, die Bilder von jungen Männern zeigt, die sich in der Tat von viel Überinszeniertem und wenig Authentischem unterscheidet, ist mittlerweile ziemlich erfolgreich und wird durch einen kleinen Blog, der einen Blick hinter die Kulissen erlaubt, ergänzt. Dlab hat in der Tat eine Lücke zu füllen gewusst; was ihm fehlte, fehlte wohl auch einigen anderen Menschen. Nun kommt mit Nothing to Hide – Young Men from Slovakia noch ein sehr sehenswerter und wahrlich individueller Bildband, erschienen bei Salzgeber Buchverlage, dazu. 

Kristian in Nothing to Hide // © Phil Dlab

Der Fotoband zeigt uns sechs der ersten von Phil Dlab abgelichteten Jungs auf 150 Fotografien in Farbe und Schwarz-Weiß. Zwei von ihnen, Andrew und Lukas, die befreundet sind, beschließen den Band mit Duo-Aufnahmen (siehe oben; man mag sich an diesen einen Gruenholtz-Band erinnert fühlen). Der Fokus des in der Slowakei geborenen, aber in Kanada aufgewachsenen Fotografen liegt auf jungen Männern zwischen 18 und 25 Jahren, die weder „Stripper noch Pornostar oder Model“ sind und es auch nicht darauf anlegen, dieses oder jenes zu werden. Selbstvertrauen, ja, aber keine Star-Attitüde; am liebsten seien ihm Jungs, die nicht wüssten, wie gut sie aussähen. Wer hier und da gern ausgeht, dürfte das nachvollziehen können.

Offenes Versteckspiel 

Immer wieder kommt Dlab in seiner ausführlichen und sehr lesenswerten Einleitung auf Natürlichkeit (auch Schamhaaren wird bei ihm wenn möglich eine wichtige Rolle zuteil) und Authentizität zurück, die den meisten der Bilder durchaus anzusehen sind. Auch wenn es nicht immer leicht sei, nackte Männer wirklich entspannt und beiläufig zu fotografieren, müssten doch die meisten Aufnahmen in Innenräumen entstehen, muss er also „nackte Männer dabei fotografieren, wie sie sich vor der Öffentlichkeit verstecken.“ 

Umso mehr freut es, dass er hier eine Auswahl nicht nur von ganz verschiedenen Typen getroffen hat, sondern auch einige Bilder in der Natur entstanden sind: Beim Joggen auf der Straße, am See, im Wald oder auf der Burgruine Plavecký hrad/Burg Blasenstein am westlichen Fuß der Kleinen Karpaten. Dass Dlab uns beschreibt, wie kalt es an jenem Tag gewesen sei, nötigt uns nur noch mehr Respekt vor Danko, den er dort fotografierte, ab.

Mehr als nur Körper

Denn das ergänzt den Band noch um einen sehr feinen Punkt: Die fotografierten Jungs bleiben nicht völlig anonym, haben nicht nur einen, möglicherweise pseudonymisierten, Namen, sondern haben einen Background, sie kommen von wo her und sind mehr als nur ihr Körper. Recht passend eröffnet Nohthing to Hide mit Dominik – der zur Fußballmannschaft von Bratislava gehörte und „der Erste“ war, den Dlab für seine Website fotografierte.

Dominik in Nothing to Hide // © Phil Dlab

Gefolgt von bereits erwähntem Danko, den der Fotograf als chaotischen und unpünktlichen und doch anbetungswürdigen und sympathischen Typen beschreibt und Samuel, der mit Bart älter aussieht als 22, was durch jene Bilder ohne Bart, dafür aber mit Schamhaar, bestätigt wird. Dlab spart in seinen kurzen Texten dabei nicht aus, dass es durchaus einiges an Vertrauensarbeit benötigte, bevor sich manche der jungen Männer nackt fotografieren lassen wollten. Dies, weil es entweder verpönt schien oder sie ein Problem beziehungsweise noch keinen offenen Zugang zu ihrer Körperlichkeit gefunden hatten.

Sexualität ins Offene

Körper ist eben immer auch Sexualität. Und die ist leider allzu oft mit Scham behaftet, wird in eine dunkle und heimliche, peinlich berührte Ecke geschoben. Etwas, das Dlab am Beispiel der klassischen Speedo aka dem Badeslip beschreibt, da gibt’s direkt noch ein wenig – bedauerliche – Kulturgeschichte. Doch Sexualität muss sich immer irgendwo Bahn brechen; dies besser im Offenen als allzu verdeckt. Nacktaufnahmen die irgendwo zwischen Zufall, Spontanität, Verwegenheit und Geilheit changieren, sind sicherlich ein geeignetes Ventil. Dabei ist der Band mitnichten ein gebundener Porno, wenn es auch an an- und erregenden Aufnahmen nicht fehlt. Dass wir unterschiedlichen Typen begegnen, macht die Sache umso ansprechender, zumal sie jeder für sich gänzlich anders auf die Betrachtenden wirken mögen.

Andrew in Nothing to Hide (hier nun auch die Socks) // © Phil Dlab

Jemand, der Vielseitigkeit in einer Person verkörpert, ist sicherlich der Turner Andrew, „der am häufigsten fotografierte Typ auf Bodytorium“, der mal selbstbewusst, mal ertappt, mal nachdenklich, mal verschmitzt, mal rallig und mal irgendwie alles zusammen rüberkommt. Bei manch einer Aufnahme ist man geneigt, an Postcards from London zu denken, Stichwort: Fenster oder auch Ausstellungskasten. Dass Andrew jedenfalls dem Typus „lieber Kerl mit rauer Schale“, dem Dlab in der Slowakei öfter begegne, entspricht, glaubt man gern sofort.

Der Appetit ist angeregt

Ebenso, dass er eine gute Zeit mit seinem besten Freund Lukas haben kann, der das Buchcover ziert und ein zufriedener und unkomplizierter Typ sei: „oft lächelnd, oft lachend, und wenn er sich auszieht, bekommt er praktisch immer einen Ständer.“ Die von ihm gezeigten Fotografien bestätigen all das und es sind nun mitnichten die schlechtesten Eigenschaften, um vor der Kamera zu brillieren und unsere Augen zum Glänzen zu bringen. Dass im Raum Ostmitteleuropa, wo vor allem Homosexualität noch immer nur schwierig gelebt werden kann, so eine Arbeit entsteht und uns Einblicke erlaubt, ist ein wichtiges Zeichen an die traditionell rückwärtsgewandten Geister der Gegend. Ganz unabhängig von der sexuellen Identität der jungen Männer.

Lukas und Andrew in Nothing to Hide, ein wenig posen geht halt doch immer // © Phil Dlab

Die Hoffnung, die Phil Dlab im Epilog äußert, dass Nothing to Hide als „köstlicher kleiner Appetithappen auf dem Weg zu einem befriedigendem Hauptgericht“ wirken mag, kann definitiv als erfüllt angesehen werden. Zumal das Hauptgericht die Möglichkeit einer Steigerung impliziert – das wäre schön, denn bei allem Außergewöhnlichen und Einzigartigen, was der Band an mancher Stelle bietet, ist an anderer Stelle und gemessen an Dlabs im Buch geäußertem Anspruch an sich selbst durchaus noch Luft nach oben. 

JW

PS: Es soll kurz angemerkt werden, dass die Pressebild-Auswahl für Nothing to Hide dem Band nicht vollends gerecht wird.

PPS: Bring back the Speedo!

Phil Dlab: Nothing to Hide – Young Men from Slovakia; Juli 2021; Hardcover, gebunden; 176 Seiten; 32 x 24 cm; Texte in deutscher und englischer Sprache; kreiert und gestaltet von Björn Koll und Johann Peter Wirth; ISBN: 978-3-95985-623-2; Salzgeber Buchverlage; 39,00 €

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