„Élite“: So reif, düster und verführerisch wie nie

Beitragsbild: Patrick (Manu Ríos) lässt sich seine Freiheit nicht nehmen // MATÍAS URIS/NETFLIX © 2021

Überwachung, Kontrolle, Ausspähen – Spionage. Die Spanierinnen und Spanier haben da so ihre Erfahrungen: Ob die spanische Bevölkerung während der Franco-Diktatur, nun das mutmaßliche Ausspähen katalanischer Politiker:innen, Aktivist:innen und Menschen aus deren Umfeld durch den spanischen Geheimdienst CNI oder andere staatliche Organisationen und nun auch die Schüler:innen von Las Encinas durch Benjamín Blanco Commerford, ihren schon zuvor für seine diktatur-affinen Methoden bekannten Schulleiter, der schließlich gar zu Kollektivstrafen greift.

Disziplin – Exzellenz – Leistung

So jedenfalls geht es los in der fünften, wieder sehr bunten, wunderbar ausgestatteten und selbstredend queeren Staffel der spanischen Erfolgsserie Élite, die Netflix am 8. April eher still und heimlich gedroppt hat. Nach all den Verwerfungen der vierten Staffel entscheidet sich Benjamín (Diego Martín) zu noch härteren Regeln an der elitären Privatschule, auf die Eltern ihre Kinder trotz der mittlerweile hohen Opfer- und Todeszahlen doch noch schicken. So dürfen nur noch maximal drei Menschen miteinander stehen, körperliche Annäherung ist verboten, ebenso die Nutzung von Mobiltelefonen und so weiter und so fort.

Kann Samuel (Itzan Esamilla) seiner Vaterfigur Benjamín (Diego Martín) trauen? // MATÍAS URIS/NETFLIX © 2021

Das lassen die Schüler:innen um Samu (Itzan Escamilla), Rebe (Claudia Salas), Omar (Omar Ayuso) und Co. natürlich nicht so ohne Weiteres auf sich sitzen. Oder doch? Samuel ist erstaunlich handzahm gegenüber dem ausgemachten Klassenfeind, gar sanfter als dessen eigene Kinder Ari (Carla Díaz), Mencía (Carla Díaz) und Patrick (Manu Ríos) es sind. Vor allem Patrick hat von den Mätzchen, die sein Vater nicht nur in der Schule abzieht, allmählich genug und nur noch Verachtung dafür übrig (auch wenn er nach wie vor nach dessen Empathie sucht).

Pssst, pssst!

Um diese Mätzchen dreht sich dann auch der Großteil der wirklich spannenden und lebendigen fünften Staffel der Hübsche-Leute-Mit-Hässlichen-Problemen-Serie. Wir erinnern uns: Am Ende der vierten Staffel tötete Guzmán (Miguel Bernardeau) Armando de la Ossa (Andrés Velencoso), der Mencía in eine sexuelle Abhängigkeit zu zwingen versuchte, Ari töten wollte und irgendwie unsaubere Geschäfte betrieb. Diese wiederum hängen mit dem Tech-Business zusammen, das Las Encinas-Schulleiter Benjamín so reich machte. 

Teniente (Boré Buika) hat Fragen an Mencía (Carla Díaz) // MATÍAS URIS/NETFLIX © 2021

Die Leiche Armandos versenkten Rebe, Samu und Co. im See (sie wird natürlich im Lauf der Staffel auftauchen); Guzmán machte sich mit Ander (Arón Piper) auf Weltreise; nun ist die Frage erstmal: Wo ist Armando? Dass die Polizei rumzuschnüffeln beginnt, lässt alle ein wenig nervös werden und so kommt es, wir wollen nicht zu viel vorwegnehmen, zu den für Élite üblichen (falschen) Verdächtigungen, kritischen Blicken, total unauffälligen Flüstereien in von Kameras überwachten Fluren und vielen, vielen, vielen Lügen – manche davon gut gemeint, andere natürlich nicht.

Bromance oder mehr?

Die neue Staffel macht es uns anfangs nicht ganz einfach mitzubekommen, wann wir einsteigen, wie viel Zeit seit Ende der vierten Staffel und der Neujahrsparty vergangen ist. Ebenso sind die üblicherweise zum Anfang und Ende der Episoden kommenden Blicke in die Zukunft doch etwas zu knapp gehalten. Das aber fügt sich schnell, endlich schafft Élite es wieder uns zu überraschen und auf eine falsche Fährte zu führen, jedenfalls in Teilen.

Patrick (Manu Ríos) und Iván (André Lamoglia) chillen und… netflixen?! // MATÍAS URIS/NETFLIX © 2021

Ein anderer Blick in die Zukunft mag von Beginn an bedrohlich deutlich sein und würde, so unsere Vermutung zum Cliffhanger der Staffel stimmt, einen Kreis beschließen. Dazu aber ein anderes Mal mehr, da es doch ein großer Spoiler wäre, den wir hier nicht auspacken wollen. Was wir hingegen gern auspacken, ist, dass Patrick hier neben seiner Freundschaft-plus mit Omar („Ich hatte einen großen Streit mit meinem Vater. Können wir ficken und darüber reden?“) ein neues Love-Interest in Form von Iván Carvalho (André Lamoglia), dem Sohn des Starfußballers Cruz Carvalho (Carloto Cotta), bekommt. Der allerdings definiert sich als heterosexuell und spielt die reizüberflutende Bromance-Karte, inklusive harten Gay-Baitings.

Frauen für Las Encinas

Nun wären wir nicht bei Élite, wenn es hier nicht noch die eine oder andere Verwicklung innerhalb der Familie oder zwischen einzelnen Mitgliedern der Familien gäbe, die für einige wunderbar abstruse Momente sorgen. Aber, und das zeichnet diese Staffel, die der Rezensent als eine der besten der Serie empfindet, aus, jenes Abstruse wird hier nahezu immer von nachvollziehbaren Emotionen und Zweifeln begleitet. Natürlich sind die Charaktere auch in dieser fünften Staffel nicht unbedingt durchgehend konsistent, doch bleiben sie im Großen und Ganzen bei sich. Gerade was Patrick angeht, dessen Figurenzeichnung aus Staffel vier nochmals deutlicher untermalt wird und ihn ziemlich rund werden lässt.

Der Raum gehört Rebeka (Claudia Salas) // MATÍAS URIS/NETFLIX © 2021

Ähnliches lässt sich über Rebe sagen, die bei allem nervigen Kram, den ihr Charakter über die Zeit hinweg mitzumachen hatte, eine der Favoritinnen ist und mensch wünscht sich nur: Wenn’s mal hart auf hart kommt, dann doch bitte eine Rebeka Parrilla López an der Seite zu haben, die an einer Stelle zu ihrem besten, unbelehrbaren und immer noch etwas blinden Freund Samuel sagt: „So stirbt die Integrität. Indem man leeren Versprechungen nachjagt.“ Ach Samu, hättest du doch auf diese weise junge Frau gehört.

Misslungenes Trauma

Überhaupt erzählt Élite von Beginn an starke Frauenfiguren. Dort, wo die Kerle oft schwanken, unentschlossen und zuweilen feige agieren, haben wir es zum Großteil mit Frauen zu tun, die ihren Weg zwar ebenfalls noch zu finden haben (was sowieso immer eine lebenslange Situation ist), dabei aber weniger hibbelig unterwegs sind als ihre Testosteron-Pendants. Da denken wir in dieser Staffel auch an Cayetana (Georgina Amorós), die Philippe Florian von Triesenberg (Pol Granch) seinen Vergewaltigungsversuch verzeihen möchte, doch nur, wenn er auch an sich arbeitet.

Nicht gesucht und doch gefunden: Isadora Artiñán (Valentina Zenere) und Philippe Florian von Triesenberg (Pol Granch) // MATÍAS URIS/NETFLIX © 2021

Hier allerdings verrennt die Staffel sich etwas, da ihr mögliches Trauma im Sinne eines Dreiecks des Begehrens in den Hintergrund rückt. Denn mit Isadora Artiñán (Valentina Zenere) kommt eine weitere neue Schülerin nach Las Encinas, die sich prompt der Rehabilitation Philippes annimmt und dabei vor allem Caye aus dem Bild haben möchte (und doch lange blass bleibt, die Einführung der Figur kann als misslungen gelten, wenn auch der erste Auftritt legendär sein dürfte und sie in der zweiten Hälfte an Profil gewinnt).

Der rote Faden: „Ja, ich will“

Hedonismus spielt natürlich wieder eine große Rolle: Patrick feiert als Reaktion auf die diktatorischen Gebärden seines furchtbaren Vaters eine Party ohne Regeln, ohne Grenzen, ohne sexuelle und geschlechtliche Beschränkungen (übrigens wahnsinnig geil inszeniert; Bilder kann die Serie). Isadora sorgt für Stimmung; es wird wild geküsst; wir haben eine Almodóvar-Situation und, und, und. Dabei ist ein Thema, das diese Staffel durchzieht „Zustimmung“ oder eben „consent“.

Ja, nein, vielleicht?! Mencía (Martina Cariddi) und Rebe (Claudia Salas) // MATÍAS URIS/NETFLIX © 2021

Rebe und Mencía sind die gesamte Staffel über in einer On-Off-Beziehung, hier geht es um emotionales Verständnis und die Einwilligung einander zu akzeptieren (erneut: so derb Rebeka ist, sie ist eine der empathischsten und klügsten Figuren in dieser Soap). Zwischen Patrick und einer Figur kommt es zu einer sehr sensuellen Bettsituation, die sich Zeit nimmt Wünsche, Bedürfnisse und Zweifel zu formulieren. Isadora wiederum wird einer Situation ausgesetzt sein, die wir zwar kommen sehen, die uns dennoch hart trifft. So gehört diese Staffel auch zu den düstersten der Serie – was ihr gut bekommt.

Der Adrenalinspiegel ist nicht nur der Toten wegen konstant hoch, sondern auch und vor allem, weil diese Staffel es schafft, uns mitfühlen zu lassen. Bei allem Witz, allen feinen und teils kinky-Einzeilern („Ich bin nicht schwul.“ – „Menschen werden hier schnell verwirrt.“) die es natürlich wieder gibt, nimmt Élite eine Ernsthaftigkeit an, die wir so noch nicht von der Serie kannten. Sie erzählt nicht mehr nur Geschichten, sondern widmet sich den angesprochenen Themen in einer neuen Tiefe. Dabei so unterhaltsam und immerfort irrsinnig zu sein und die Gratwanderung zwischen Sexyness, Emotion und Problembewusstsein zu schaffen, das ist eine tolle Nummer.

Ob Kleid oder V-Neck: Patrick (Manu Rios) macht immer eine gute Figur // MATÍAS URIS/NETFLIX © 2021

JW

PS: Omar (mit dem die Macher:innen ohnehin seit einiger Zeit scheinbar leider nur bedingt etwas anzufangen wissen) und Samuel haben einen komischen Konflikt; es gibt eine neue Figur – Bilal (Adam Nourou) – und Omar scheint einen neuen Lebensinhalt gefunden zu haben. Das alles wird irgendwie (erstmal) fallen gelassen. Seltsam, unausgereift… Vielleicht soll es schon auf die sichere sechste Staffel hinausgehen. Wer weiß.

PPS: Die Musik 💙

Mencía (Martina Cariddi) und Omar (Omar Ayuso) warten und warten und … // MATÍAS URIS/NETFLIX © 2021

PPPS: Iván Darsteller André Lamoglia hat übrigens angegeben, dass alles, was wir so in seiner Unterhose sehen, echt und nicht ausgestopft ist. Gut zu wissen. 

PPPPS: Wir empfehlen die Staffel im spanischen Original mit Untertiteln zu schauen; gerade wenn’s hier auch mal Portugiesisch zugeht, ist das eine große Freude. Wir haben es mit englischen Untertiteln geschaut, also verzeiht unser holpriges Eindeutschen der Zitate.

PPPPPS: Rebe: „I come out of the closet, so you get in and we never meet outside.“

PPPPPPS: Perfekte Beschreibung der Serie in Folge sechs: „[A] giant rave full of bougie psychos who won’t let you have any privacy and are always up your ass.“

Élite – Staffel 5 ist seit dem 8. April 2022 auf Netflix verfügbar (und wir empfehlen die OmU-Fassung).

Elite – Staffel 5; Spanien 2022; Regie: Dani de la Orden, Ginesta Guindal, Lino Escalera, Eduardo Chapero-Jackson; Autor*innen: Jaime Vaca, David Lorenzo, Jessica Pires, Lluís Mosquera, Almudena Ocaña; Musik: Lucas Vidal; Darsteller*innen: Itzan Escamilla, Omar Ayuso, Claudia Salas, Georgina Amorós, Carla Díaz, Martina Cariddi, Manu Ríos, Diego Martin, Pol Granch, Valentina Zenere, Valentina Zenere, Carlotto Cotta, Adam Nourou, Boré Buika; acht Folgen ca. 41-54 Minuten

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert