Hoffnung ist was für Anfänger*innen

Hmm…. Also außer xHamster und dem „im Dschungel drin“ habe ich zuletzt keine schwulen und/oder queeren Filme und Serien geschaut. Dann dachte ich mir – hey, Andrew Haigh (der vom Weekend und Looking) schreibt (lose basierend auf der Romanvorlage von Taichi Yomada) und inszeniert einen Film mit Andrew Scott (der u. a. als James Moriarty die weit überschätzte Sherlock-Serie aufgewertet hat) und Paul Mescal (dem wir einfach mal verzeihen, dass er in der Serienadaption des schlechten Buches einer BDS-Anhängerin mitgewirkt hat) und die haben da Sex. Mr. Haigh weiß ja durchaus, wie dieser gut darzustellen ist. Little did I know, dass dieser Film mich so semi kaputtmachen würde.

Das Leben im Kopf

Nun ist es schwer zu beschreiben. Denn je weniger mensch weiß, desto intensiver wirkt All of Us Strangers auf eine*n. Andrew Scott spielt Adam, der als Film- und TV-Autor ein eher einsames Leben in einem anonymen Hochhaus führt. Eines Tages klingelt sein betrunkener Nachbar Harry (Mescal) bei ihm und will ihn zu einem Drink oder auch was anderem überreden. Adam lehnt ab, dafür wird es später nachgeholt…

© 2023 Searchlight Pictures All Rights Reserved

…oder wird es? Adam jedenfalls ist dabei etwas Neues zu schreiben, erinnert sich an seine Kindheit. Seine Eltern (eine rauchende Claire Foy und ein auch mit Schnauzer sehr sexy aussehender Jamie Bell) starben bei einem Autounfall als er zwölf Jahre alt war. Nun gräbt Adam in seiner Erinnerung, die bis in die Fantasie reicht. Er stellt sich vor, wie er als nun erwachsener Mann mit seinen Eltern sprechen würde. Sich outet, all die ungesagten Dinge ausgesprochen werden, miteinander gestritten und sich wieder versöhnt wird.

All die Dinge, die wir uns gewünscht hätten

Das mag für jene, die womöglich in einem eher… konservativen Elternhaus aufgewachsen sind, schwierig sein. Es gibt beispielsweise eine Szene, in der Adam mit seinem Vater spricht und ihm sagt, dass sie ihm verboten hätten, die Beine zu überkreuzen – machen halt nur Girls und Fags (damit sind hier keine Kippen gemeint). Papa sagt dann, dass er wahrgenommen hat, dass Adam in der Schule gehänselt wurde und immer mal in seinem Zimmer geweint hat. „Wieso bist du denn dann nie zu mir gekommen?“, fragt der sinngemäß. Daddy sagt nicht viel dazu, aber, dass er ihn als Schüler wohl auch gehänselt hätte.

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Das Faszinierende an All of Us Strangers ist, dass selbst solche schmerzhaften Szenen liebevoll sind. Mensch merkt, dass Adams Vater es nicht besser gewusst hätte, der nicht homofeindlich zu sein scheint. Oder schien. Mutter redet nach seinem Fantasie-Coming-Out kurz nicht mit ihm, sie braucht ihre Zeit – aber liebt den Sohn. Also kurzum: Es geht sehr menschlich zu in Andrew Haighs neuem Film. Selbst die Dinge, die wir uns nicht wünschen zu erleben oder erlebt zu haben, machen hier keine schlechten Menschen. Sie sind aus Unsicherheit, Sorge und Angst geboren und von beunruhigter Zuneigung geprägt.

Keine Freude ohne Schmerz

Adam nimmt Harry mit in seine „Fantasie“-Welt und der versteht nicht recht, was da so passiert. Das wird in intensiven Gesprächen (klar bei Haigh) aufgearbeitet. Aber redet Adam da wirklich mit dem sehr heißen Harry oder bildet er es sich womöglich nur ein? Ist Harry also vielleicht nur sein Unterbewusstsein? Spiegelt er „nur“ sich und seine Gedanken selber? Die tollen Bilder von Jamie D. Ramsey (Moffie) lassen uns weiter zweifeln. Immer wieder gibt es Gegenlicht, gebrochene Spiegelungen, usw. usf. Was also ist real?

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Diese Frage wird am Ende des Films natürlich aufgelöst. All of Us Strangers ist ein wunderbares Ding voller Schmerz, ungelöster Probleme; handelt von (versehentlich) verpassten Gelegenheiten und dem Willen, diese für sich aufzulösen. Ein Film, der die Zuschauer*innen herausfordert, ja vielleicht gar quält. Auf jede Freude folgen Schmerz und Abschied. Ein Film, der lange nachwirken dürfte, im Guten wie im Schlechten. Ein Film, der entzückt und verstört. Ein aufrichtiger Film über den Umgang mit Verlust und Angst. Dies auch nicht zuletzt durch die großartigen Leistungen von Scott, Mescal, Foy und Bell (zuweilen ist es wie ein Kammerspiel, da sich alles bis auf wenige Ausnahmen in geschlossenen Räumen abspielt).

Eine dringende Empfehlung. Aber, auch wenn ich sonst nicht dazu tendiere, sowas zu schreiben – nehmt eure Taschentücher mitAll of us Strangers dürfte selbst die Hartgesottensten zum Heulen bringen. Und wenn ihr gerade etwas verarbeitet… nun dann mag euch der Film entweder helfen oder (re-)traumatisieren. Ist ja auch ne Therapie.

JW

PS: Toller Soundtrack, grandios passende Musikauswahl.

All of Us Strangers läuft ab heute, 8. Februar 2024, im Kino

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