Kriminalbeamte suchen Bauernopfer

Hmm… geht es weiter mit den inhaltlich wie formal eher experimentellen Tatorten?! Diese Frage mag mensch sich nach dem von Sabine Derflinger inszenierten (ihrem dritten inzwischen wie auch diverse sehenswerte Folgen von Die Füchsin) und von Lukas Sturm geschriebenen Wiener Tatort: Bauernsterben durchaus stellen. Spielt er dieses Mal doch vermehrt im Umland Wiens (okay, keine absolute Seltenheit im österreichischen Team Moritz Eisner und Bibi Fellner) und in einem Schweinemastbetrieb. In diesem namens Schoberhof wird nämlich der Inhaber, Max Winkler, tot aufgefunden.

Kapitalismus vs. Tradition

Eisner (Harald Krassnitzer) und Fellner (Adele Neuhauser) werden in eher fragwürdiger Freizeitbekleidung zum Tatort gerufen. Hier verhält sich insbesondere der Rumäne Darius (Marko Kerezovic) seltsam verdächtig. Zumal er einen Ausflug in die Heimat zu einer Familienhochzeit plante. Ebenso hat eine Kollegin ihn aus wohl nicht nur ermittlungstaktischen Gründen im Visier. Doch entpuppt sich der Verdacht schnell als falsch.

Im Bild: Harald Krassnitzer (Moritz Eisner, li.), Marko Kerezovic (Darius), Adele Neuhauser (Bibi Fellner) // Foto: © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Was aber ist mit der eigenen Familie? Geneigte Krimi– und True-Crime-Fans wissen, dass Mord gern dort bleibt. Max Winkler wollte expandieren und zum Big Player der Schweinezucht in Österreich werden. Er hatte damit aber keinen Erfolg, weil das Projekt einer Futtermittelfabrik, die er mit Unterstützung der EU und in Kooperation mit einem von Wien aus operierenden Agrarmulti in Bulgarien errichten lassen wollte, gescheitert war.

Im Bild: Haymon Maria Buttinger (Alois Schober, li.), Doris Hindinger (Irene Winkler, 2. v. li.), Adele Neuhauser (Bibi Fellner), Harald Krassnitzer (Moritz Eisner) // Foto: © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg,

Der Hof somit quasi insolvent. Was Winkler lange Zeit sowohl seiner Frau Irene (Doris Hindinger; erinnert etwas an Loretta aus der letzten Staffel Bauer sucht Frau) als auch seinem traditionsbewussten und apfelaffinen Schwiegerpapa Alois Schober (Haymon Maria Buttinger), der zudem große Firmenkonglomerate ablehnt, verschwiegen hatte. Hoppala! Aber ein Motiv?

Tierrechte vs. Tierfutter

Und dann wird es noch ein wenig voller in diesem an Personen und Verdächtigen reichen Tatort: Ins Visier der Ermittler:innen gerät eine TierschutzNGO, die immer wieder Protest- und Sabotageakte am Schoberhof verübte (Stichwort: MÖRDER). Ebenfalls dazu kommen Hinweise einer Beamtin der Europäischen Antikorruptionsbehörde OLAF und einer Juristin von der Europäischen Staatsanwaltschaft. Aufrgrund dieser gehen Moritz und Bibi den internationalen Geschäftsverstrickungen Winklers auf den Grund. Dabei dürfte Beihilfebetrug in großem Stil betrieben worden sein – und es gab vor wenigen Wochen eine anonyme Anzeige gegen den bulgarischen Konzern, die auf genaues Insiderwissen am Schoberhof hinzuweisen scheint.

Julia Wozek (als IT-Hackerin Mina Truschner, li.), Christina Scherrer (Meret Schande, re.) // Foto: © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Tjajaja – ganz schön was los in der österreichischen Landwirtschaft, was?! Und wie! Und mit wie viel Wiener Schmäh! (Für den dieser Preuße ab und an ein zweites Mal hinhören musste.) Natürlch geht es auch um die moralische Auseinandersetzung „Tier lieben“ kontra „Tiere essen“. Wenn Bibi und Moritz recht demonstrativ vor einer Demonstration eine Wurstsemmel essen, mag das etwas on the nose sein, bleibt aber unterhaltsam. Innerhalb der NGO gibt es zusätzlich einen Generationenkonflikt. Und überhaupt, scheinen wortkarge Personen manches Mal mehr zu sagen, als manch Engagierte – die nie so recht zuhört – mit sehr vielen Worten.

Humor plus Spannung gleich Debatte

Bei allen gesellschaftlichen Fragen und erwähtem Witz („Polizei verhaftet Schwein“, „#SAUVERHAFTUNG“, …) sowohl der immer stimmigen Chemie zwischen Neuhauser und Krassnitzer, bietet der Tatort: Bauernsterben auch einiges an Spannung. Es ist wirklich lange Zeit offen, wer hier Täter*in sein könnte. Wer hier wie in was verstrickt war und welche zwischenmenschlichen Verhältnisse es hier und dort gegeben haben mag. Einen nicht unwesentlichen Hinweis bietet dabei der Inhalt eines Saumagens.

Im Bild: Martin Leutgeb (als Vorarbeiter Sepp Obermeier) // Foto: © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Natürlich frotzelt Rechtsmediziner Kreindl (Günter Franzmeier) wieder ebenso rum wie Oberst Ernst Rauter (Hubert Kramar) wieder rumbrüllt. Der übrigens ausnahmsweise dieses Mal nicht in den Fall verstrickt zu sein scheint. Oder? Jedenfalls ist dieser Wiener Tatort so mysteriös wie unterhaltsam (versehen mit eindrücklich-spezieller Musik von Martina Eisenreich) und stößt natürlich mitten in eine seit Jahren geführte und nun wieder stärker aufkochende Debatte. Was ihn so experimentell wie zeitgemäß sein lässt.

AS

PS: Moritz Eisner sagt, dass er keine Bügelfalten ausstehen kann. Antwort Bibi: „Lavendel ist auch nicht besser.“

Harald Krassnitzer (Moritz Eisner), Adele Neuhauser (Bibi Fellner) // Foto: © ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg

Tatort: Bauernsterben ist am Sonntag, 15. Oktober 2023, um 20:30 Uhr im Ersten zu sehen (zuvor gbit es einen Brennpunkt: Krieg in Nahost) und ist anschließend für 30 Tage in der Mediathek verfügbar.

Tatort: Bauernsterben; Österreich 2023; Buch: Lukas Sturm; Regie: Sabine Derflinger; Bildgestaltung: Thomas Benesch; Musik: Martina Eisenreich; Darsteller*innen: Harald Krassnitzer, Adele Neuhauser, Günter Franzmeier, Hubert Kramar, Martin Leutgeb, Julia Wozek, Marko Kerezovic, Haymon Maria Buttinger, Claudia Martini, Doris Hindinger, Krarin Lischka, Christina Scherer, Maxi Blaha, u. v. a.; Laufzeit ca. 88 Minuten; eine Produktion des ORF, hergestellt von Graf Film – ein Lizenzerwerb der ARD Degeto fürdie ARD

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