„Mini-Mösen“ im Weltall

Das Streben nach Glück ist wohl eines der hehrsten Ziele, das wir Menschen haben. Manche lesen ein Buch nach dem anderen, andere fahren regelmäßig in den Urlaub, wieder andere rauben eine Bank aus, um sich mit der Beute ein schönes Leben zu machen. Manche lassen sich auch ihren Körper verändern: Tattoos, Piercings oder solche Dinge.

Der Bauchnabel der Welt

Und dann gibt es jetzt eine neue Möglichkeit, die zu unermesslichem Glück führt: die Wiederaufbereitung des Bauchnabels für seinen ursprünglichen Zweck. Gemeinsam mit einem Bad in irgendeiner Lösung und tollen Apparaturen am Kopf taucht der oder die Patient*in ab in eine Art Trance oder Limbus, die das Belohnungssystem im Gehirn maximal stimuliert und so zu einem Zustand absoluter Glückseligkeit führt.

Magda Wächter (Barbara Philipp) und Felix Murot (Ulrich Tukur) // © HR/Bettina Müller

So ist zumindest die Lage, mit der sich Felix Murot (Ulrich Tukur) und Magda Wächter (Barbara Philipp) im neuesten und wie so häufig ziemlich abgedrehten Wiesbadener Tatort: Murot und das Paradies konfrontiert sehen. Natürlich wissen sie das zu Beginn noch nicht und müssen diesen Sachverhalt erst ermitteln, aber das ist unglaublich witzig mitanzusehen.

Rheinblick in den Tod

Murot wird zu Beginn von seinem Therapeuten, pardon, Analysten, Dr. Wimmer (Ex-Tatort-Ermittler Martin Wuttke) fortgerufen, denn in einer recht luxuriösen Wohnung mit Rheinblick wird die Leiche einer Frau gefunden. Was zuerst wie Selbstmord erscheint, entpuppt sich doch schnell als Kriminalfall.

(v.l.n.r.) Ruby Kortus (Ioana Bugarin), Eva Lisinska (Brigitte Hobmeier) und Felix Murot (Ulrich Tukur) // © HR/Bettina Müller

Als die Gerichtsmedizinerin Dr. Dr. Kispert (nächste Ex-Ermittlerin: Eva Mattes) den wiederhergestellten Bauchnabel der Toten enthüllt oder spätestens als die zweite Leiche mit ähnlicher Modifikation auftaucht, ist klar, dass die Fälle zusammenhängen, zumal beide in der Frankfurter Bankenszene tätig waren und kurz vor ihrem Ableben ähnliche – verdächtige – Deals abschlossen. Murot und Wächter machen sich auf, in der Szene zu ermitteln und stoßen auf bizarre Elitenpartys, Robin-Hood-Räuberinnen mit chiropraktischem Können und schlussendlich das titelgebende Paradies…

Nicht nur Haarspalterei

Regisseur und Drehbuchautor Florian Gallenberger hat sich hier offenbar eine ziemlich abgedrehte Geschichte einfallen lassen, mit der er uns am Sonntagabend beglückt – oder viele vielleicht auch vergrault. Ähnlich wie der Münchener Weihnachtstatort aus dem Vorjahr oder auch manch andere Folgen mit dem genesenen Wiesbadener Kommissar (zum Beispiel Die Ferien des Monsieur Murot oder Murot und das Gesetz des Karma) ist auch dieser Fall einer, der das Publikum spalten wird.

Ruby Kortus (Ioana Bugarin) und Felix Murot (Ulrich Tukur) // © HR/Bettina Müller

Viele werden vermutlich relativ schnell ab- oder umschalten, denn es ist in der Tat viel, wenn wir Murot in seiner Gedankenwelt im Weltall begegnen oder eben über plastische Chirurgie zur Wiederherstellung des Bauchnabels thematisieren. Gleichzeitig wird damit die Reihe der sehr experimentellen Tatorte in dieser Saison eindrücklich fortgeführt, denn sich auf diese Geschichte einzulassen, erfordert zwar einiges an Aufgeschlossenheit, kann aber reich belohnt werden.

Abgedreht

Dazu trägt neben dem zwar etwas abgedrehten Drehbuch auch manch humoristisches Element bei, witzige Dialoge und selbst die erwartbaren Momente bringen uns sehr viel Freude und Unterhaltung. Dazu zählen – wie so häufig – auch das wiederholte Intervenieren von Magda Wächter, die erneut dazu aufgerufen ist, Murots Leben zu organisieren und dann einmal mehr zu retten. Murots egoistische Suche nach dem eigenen Glück stürzt also andere einmal mehr ins Unglück, was eine besonders schöne Ironie der Geschichte darstellt.

Felix Murot (Ulrich Tukur) und Eva Lisinska (Brigitte Hobmeier) // © HR/Bettina Müller

Der Tatort: Murot und das Paradies ist eine ziemlich abgefahrene Geschichte, die von „Mini-Mösen“ über Weltraumszenen bis hin zum Erfrierungstod vieles für uns bereithält. Murot bringt sich wie immer in den Schlamassel und kann froh sein, dass er eine so fürsorgliche Wächterin hat, die ihn immer wieder aus der kältesten Badewanne zieht.

HMS

Felix Murot (Ulrich Tukur) // © HR/Bettina Müller

Tatort: Murot und das Paradies läuft am 22. Oktober 2023 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Murot und das Paradies; Deutschland 2023; Buch und Regie: Florian Gallenberger; Kamera: Holly Fink; Musik: Antoni Komasa-Łazarkiewic; Darsteller*innen: Ulrich Tukur, Barbara Philipp, Martin Wuttke, Brigitte Hobmeier, Ioana Bugarin, Eva Mattes, Jan Krauter, Alex Kapl

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert