Die weltweit tätige Hilfsorganisation Oxfam hat erst vor kurzem berichtet, dass 521.814 Menschen weltweit unter Unterernährung leiden. Anders als wir uns also vielleicht denken mögen, ist Hunger noch immer ein Problem, das es neben Klimawandel und vielen weiteren drängenden Themen auf unserer Agenda zu bekämpfen gilt.
Hülsenfrüchte können hierbei eine wichtige Rolle spielen. Sie sind nahrhaft, verhältnismäßig günstig und können unter teils sehr schwierigen Bedingungen angebaut werden. Einer solchen Pflanze widmet sich nun eine Dokumentation von Frigge Mehring auf arte: Linsen: Das Rezept gegen Welthunger ist in der dortigen Mediathek bis zum 13. August verfügbar und trotz des eher exotisch oder fast humoristisch anmutenden Themas tatsächlich einen Blick wert.
Eine Doku über Linsen? Echt jetzt?
In der Dokumentation werden erstaunlich viele Punkte angesprochen, über die es sich einmal nachzudenken lohnt. Nein, es geht nicht primär darum, wie man Linsen am besten zubereitet oder welche Gerichte mit ihnen ganz besonders gut schmecken – dafür gibt es tolle Kochbücher von Susann Kreihe, zum Beispiel Die ganze Pflanze oder Suppen. Hauptsächlich zeichnet die Dokumentation nach, wie Linsen besser dazu beitragen können, Hunger zu bekämpfen und vielleicht auch etwas Wohlstand in weniger privilegierte Gegenden zu bringen.
In Äthiopien, wo vor einigen Jahren die Linsenernte der „Rostkrankheit“ anheimfiel, lernen wir, wie wichtig es ist, dass die Pflanzen widerstandsfähig sind. Auf Spitzbergen besuchen wir mit den Macherinnen und Machern den weltweiten Saatguttresor, der bereits bei Line Nagell Ylvisaker Erwähnung findet. Von dort geht es weiter nach Marokko, wo widerstandsfähigere Samen erprobt werden, und weiter in das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse, nach Kanada.
Das Land, das vor kurzem von einer Hitzewelle heimgesucht wurde, ist offenbar der mittlerweile größte Linsenproduzent der Welt. Forschungseinrichtungen arbeiten dort mittels genetischer Kreuzungen an noch widerstandsfähigeren Pflanzen, wie wir lernen. Und schließlich geht es nach der landwirtschaftlichen Großindustrie noch in die kleinen bäuerlichen Strukturen Indiens, wo die Trägerin des Alternativen Nobelpreises Vandana Shiva über die Bedeutung des Linsenanbaus für die Ernährung und den Wohlstand in der Region berichtet, aber auch über die Vielfalt der Sorten. Biodiversität rocks!
Von Wissenschaft und Gentechnik
Das sind die wesentlichen Stationen, die Frigge Mehring und ihr Team besuchen. Und es ist tatsächlich sehr spannend ihnen zu folgen, denn es geht weniger um konkrete Nutzung und Anwendungen oder Betroffenheitsbilder von ausgemergelten Körpern, sondern vielmehr um die Pflanze und ihre Entwicklung. Sie gehen erstaunlich wissenschaftlich an die Frage heran, zeigen, wie sich Kreuzungen bei verschiedenen Sorten erzeugen lassen und welche Probleme dabei auftreten können und wie bestimmte Eigenschaften der Pflanze verbessert werden sollen.
Das geht tatsächlich sehr tief in die Gentechnik, weit mehr, als man es sich bei dem Titel erwarten würde. Stefano Mancuso hat in seinem Buch Die Rechte der Pflanzen beschrieben, wie ähnlich sich das Erbmaterial von Menschen und Pflanzen eigentlich sind und dass es nur Nuancen sind, die uns dazu befähigen zu gehen, zu sprechen und keine Photosynthese zu betreiben. Auch das wird hier mittelbar aufgegriffen, ebenso wie der spannende Gedanke, dass Linsen zweigeschlechtliche Pflanzen sind, die sich zu großen Teilen selbst bestäuben. Es ist erstaunlich, welche Probleme beim Menschen und in unserer Kultur um Intersexualität gemacht werden, bei Pflanzen oder manchen Tieren jedoch ganz selbstverständlich sind.
Auch Linsen haben ihre Schattenseiten
Ein wenig unkritisch wird allerdings per se mit einigen Dingen umgegangen. Gentechnik ist bis heute bei vielen Menschen umstritten, auch wenn sie mit den mRNA-Impfstoffen einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie leistet. Und auch wenn es um den Einsatz von Pestiziden in Kanada geht, sind die Erläuterungen von Frigge Mehring und Kollegen erst einmal arg unkritisch. Das relativiert sich etwas durch die Einbeziehung der Trägerin des Alternativen Nobelpreises, aber leider auch nur mittelbar. Fakt ist aber auch, dass der Einsatz von zu viel Unkrautvernichter auch Insekten das Leben kostet und wir künftig sehr stark auf Eigenbestäubung bei Pflanzen angewiesen sein werden, wenn wir hier nicht gegenlenken.
Alles in allem ist die Dokumentation Linsen: Das Rezept gegen Welthunger von Frigge Mehring und Team aber trotz mancher Längen sehr aufschlussreich, nüchtern gehalten und macht auf jeden Fall Lust auf einen Teller Linsensuppe. Wir empfehlen sie zur allgemeinen Weiterbildung über Gentechnik und Ernährungswissenschaft.
HMS
Linsen: Das Rezept gegen Welthunger; Eine Dokumentation von Frigge Mehring; Deutschland, 2017; Laufzeit ca. 52 Minuten
Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal oder hier via Ko-Fi tun. Vielen Dank!
Comments