Eine Insel mit Spitzbergen

Eine abgelegene Inselgruppe hoch im Norden – Spitzbergen ist für viele eine große Unbekannte. Und doch scheint der unwirtliche Archipel eine fast magische Wirkung auf viele Menschen auszustrahlen. Zwischen nordischem Charme, polarer Kälte und gleichermaßen relativer klimatischer Milde – dem Golfstrom sei (noch) dank – finden sich hoch im Norden diese faszinierenden Inseln.

Der italienische Fotograf Paolo Verzone, unter anderem dreifacher Gewinner des renommierten World Press Photo Awards, hat Spitzbergen für den mareverlag fünfmal in vier Jahren besucht. Seine Aufnahmen hat er in einem aufwändig und sorgsam gestalteten Bildband gemeinsam mit einem Vorwort von Nikolaus Gelpke und einem die Bildauswahl gut einordnenden kurzen Essay von Barbara Wimmer unter dem schlichten Titel Spitzbergen zusammengestellt.

Schwarzes Gold

Spitzbergen, so erfahren wir in dem einführenden Essay, war nicht immer so hoch im Norden. Vor langer Zeit wuchsen hier Pflanzen und Bäume, die den Archipel mit großen Mengen an Kohle ausgestattet – manche sagen gesegnet, andere dürften die Kohle eher verfluchen – haben. In jedem Fall lässt sich sagen, dass der Bergbau Spitzbergen seit langen Jahren prägt wie kaum eine andere Tätigkeit.

Polarnacht in Barentsburg mit der orthodoxen Kirche der Bergbausiedlung // © Paolo Verzone/mareverlag

Paolo Verzone kommt also nicht umhin, die vielfältigen Prägungen, die Spitzbergen durch den Bergbau erfahren hat, zu porträtieren. So finden wir Bilder von bewohnten und verlassenen Siedlungen und Bergbaudörfern, Anlagen, die der Kohleförderung dienten, aber auch Transportutensilien, die uns heute zuweilen wie aus der Zeit gefallen erscheinen mögen, aber gleichzeitig viel über die Geschichte und Nutzung dieses Archipels erfahren lassen.

Die Welt forscht

Anders als viele denken mögen, gibt es keine indigene Bevölkerung auf Spitzbergen und somit auch keine originäre Kultur. Der Archipel steht seit dem Spitzbergenvertrag von 1925 unter norwegischer Verwaltung, aber Bürgerinnen und Bürger aus allen Signatarstaaten dürfen sich visumsfrei dort niederlassen, beispielsweise zu Forschungszwecken. So überrascht es nicht, dass gerade Forschungseinrichtungen einen großen Teil der Bilder einnehmen.

Von der Forschungsklausel macht heute nicht zuletzt China regen Gebrauch, in der Vergangenheit waren aber auch Russland und zuvor die Sowjetunion sehr aktiv hoch oben im Nordmeer. Eine Reihe von russischen oder sowjetischen Spuren – die Mehrzahl der Russinnen und Russen wurde 1998 in das heute seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine führende Land zurückbeordert – findet sich auch konsequenterweise unter Verzones Ablichtungen.

Licht und Mensch

Licht wiederum ist das nächste gute Stichwort. Egal, ob es Tag- oder Nachtaufnahmen sind, Polarlicht, Dämmerung, Innen- oder Außenaufnahmen, es scheint, dass Verzone seine ganze fotografische Erfahrung in die Waagschale wirft. Die Aufnahmen sind so vielfältig und eindrucksvoll, wie wir sie nur selten zu Gesicht bekommen. Der Verlag goutiert dies mit einer bewusst aufwändigen Gestaltung im Leineneinband mit Schutzumschlag, dickem und robustem Papier und manch unauffälligem, aber dennoch sichtbarem stilistischen Element.

Nordlicht über dem Hubschrauberlandeplatz des norwegischen Schiffs „Svalbard“ // © Paolo Verzone/mareverlag

Auch wenn es in Spitzbergen an wilden Tieren fehlt – diese wurden bewusst nicht in die Bildauswahl aufgenommen (und dafür gibt es wahrlich manch anderen tollen Band) – die ganze Wildnis, Schroffheit und auch die Widerständigkeit der Menschen, die auf Spitzbergen leben, kommt in dem Band zur Geltung. Und egal, ob zu Lande oder zur See, in der Forschungseinrichtung oder mit Blick auf die größte Stadt Longyearbyen, auch die Menschen, die Spitzbergen oft nur zeitweise bevölkern, kommen in Verzones Fotoband nicht zu kurz.

Spitzbergen in Bildern erzählt

Die Journalistin Line Nagell Ylvisåker hat in ihrem Buch Meine Welt schmilzt beschrieben, welchen Widrigkeiten der Archipel im Nordmeer ausgesetzt ist. Die globale Erwärmung macht vor Spitzbergen keinen Halt. Im Gegenteil, nirgends erwärmt sich die weltweite Temperatur so schnell wie in der Arktis. Und damit müssen Mensch, Tier und die Landschaft leben und sich anpassen.

Spitzbergen mausert sich allen Widrigkeiten zum Trotz nach und nach zu einem Ziel für Touristinnen und Touristen, beherbergt eine internationale Saatgutbank und verabschiedet sich zunehmend vom Kohlebergbau. Spitzbergen hat eine bewegte und bewegende Geschichte, eine schroffe und dennoch anmütige Natur und Paolo Verzone zeigt uns mit seinem grandiosen Bildband Spitzbergen genau diese Vielfalt.

HMS

Paolo Verzone (Fotografie): Spitzbergen; mit einem Essay von Martina Wimmer; 132 Seiten; Hardcover mit Schutzumschlag und Leinenband; Format: 30 x 26 cm; ISBN: 978-3-86648-685-0; mareverlag; 58,00 €

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